Mike Oldfield: Michael und die eiserne Jungfrau


Nach 16 LPs hängt ihm die musikalische Serienproduktion zum Hals heraus. Auf des Künstlers Landsitz erfuhr ME/Sounds-Redakteur Michael Weilacher Pikantes über Vergangenheitsfrust und Zukunftslust.

Der Frust sitzt tief. Wenn die Sprache auf Virgin-Boss Richard Branson kommt, erhebt Flüster-Fan Mike Oldfield die nasale Stimme: „Wäre ich an seiner Stelle gewesen und hätte gemerkt, daß ich als Schallplattenmensch einen Musiker unglücklich mache, dann hätte ich gesagt: ‚So wichtig ist unser Vertrag nicht. Wenn du nicht mehr mit mir zusammenarbeiten willst, dann geh deinen eigenen Weg und mach, was du willst.'“ Dem genialen Geschäftemacher Branson aber war eine Äußerung dieser Art nie zu entlocken. Der Virgin-Chef erwies sich als wahrhaft eiserne Jungfrau, pochte auf Einhaltung des Kontrakts und setzte sich, auch juristisch, durch.

Ein Umstand, der die zarte Künstlerseele des Umsatzträgers Mike Oldfield immer wieder mal aus dem Gleichgewicht brachte – zuletzt bei der Arbeit an Heaven’s Open, Oldfields 16. und wahrscheinlich letzter LP für Virgin – trotz erfolgreicher Zusammenarbeit mit der deutschen Tochterfirma, die denn auch von Oldfields Unmut verschont bleibt.

„Mein neues Album ist unter wirklich widrigen Umständen entstanden. Ich fühlte mich unter Druck gesetzt. Innerlich hatte ich eigentlich das Gefühl genug LPs für Virgin aufgenommen zu haben. Dadurch ist Heaven’s Open auch so ’ne Art akustischer Protest geworden.“

Das hört man denn auch – und zwar spätestens bei dem fast 20minütigen Epos „Music From The Balcony“. Oldfield’sche Harmonien, wundervoll flauschig wie immer, zerhackt der Meister mutwillig und im Minutentakt mit wüsten Soundfetzen aus dem Sampler. „Das Stück war meine Reaktion auf einen üblen Vertragsstreil mit Branson. Ich war wegen seiner Haltung mir gegenüber stocksauer. Als es uns schließlich doch gelungen war, die Wogen zu glätten, flog ich nach Barbados, um zu arbeiten. Vom Balkon meines Hotels aus hatte ich einen fantastischen Blick auf einen tropischen Garten mit Kolibris, riesigen Bäumen, Affen und exotischen Blumen – ein herrlich friedvoller Ort.“

Nicht herrlich genug offenbar, um Oldfields dauerhaften Seelenfrieden sichern zu können. „Plötzlich erinnerte ich mich an den Streit mit Richard. Und da ich nur so schreiben kann, wie ich mich gerade fühle, kam es zu jenen kompositorischen Wutausbrüchen, die jetzt auf der Platte zu hören sind. Ich war total durcheinander. Mein Verstand arbeitete absolut unorganisiert. Schließlich sagte ich mir: ‚Komm Junge, beruhige dich und schau dir einfach diese herrliche Landschaft an.‘ So entstanden die harmonischen Passagen. Was immer man von dem Album halten mag, auf alle Fälle ist Heaven’s Open eine sehr ehrliche Platte geworden.“

Daß er mit den ungewohnten Disharmonien den einen oder anderen Fan verschrecken könnte, macht dem sensiblen Künstler keine Angst. „Ich kann mich nicht daran erinnern, beim Komponieren jemals bewußt auf die Kommerzialität eines Titels geachtet zu haben. Ich ziehe meine Befriedigung ausschließlich aus der Musik – und nicht daraus, was mit der Musik passiert, wenn sie erst einmal vermarktet wird.“

Wer so spricht, den kann die Sorge um schnöden Mammon wohl kaum allzu sehr plagen – eine Feststellung, die Master Mike ohne Umschweife bestätigt: „Geld brauch‘ ich nicht mehr zu verdienen. Das ist ganz sicher wahr.“ Auf seinem altenglischen Landsitz Rough Wood Croft, einem vornehmen Herrenhaus aus dem 19. Jahrhundert, blickt Ferrari-Fahrer Oldfield 25 Kilometer nordwestlich von London mit Frau und zwei Kindern einer gesicherten Zukunft entgegen.

So richtig zufrieden wirkt er aber nur dann, wenn er über den auslaufenden Vertrag mit Virgin Records sinniert – eine geschäftliche Ehe, die für Oldfield im Laufe der Jahre zum Trauma geworden zu sein scheint.

„Heaven’s Open ist das letzte Album für Virgin. Das bedeutet, daß ich zum ersten Mal seit endlosen Jahren wieder unabhängig bin – eine sehr wichtige Sache. Jetzt bin ich nicht mehr gezwungen, wie am Fließband ein Album nach dem anderen abzuliefern.“

Was Mike, der stille Millionär, mit seiner neugewonnenen Freiheit anfängt, erzählt er in jenem Seitentrakt seines stattlichen Anwesens, in dem das hochmoderne 48-Spur-Studio untergebracht ist: „Ich arbeite an einer neuen Fassung von Tubular Bells. Damit mußte ich zwangsläufig warten, bis ich meinen Vertrag mit Virgin erfüllt hatte, denn mir war nicht danach, die Platte zu einem bestimmten Zeitpunkt abzuliefern. Jetzt kann ich zehn Jahre daran arbeiten, wenn ich Lust dazu habe. Ich kann warten, bis mir die besten Ideen kommen, die ich jemals hatte. Und genau das wünsche ich mir für Tubular Bells II.“

Beseelt von derart hohem Qualitätsbewußtsein, hat der 37jährige Oldfield für die jüngere Konkurrenz in erster Linie Abfälliges übrig: „Die Charts bestehen heute zu 95 Prozent aus gefälschter Musik, die mit Computern gemacht wird. Musik von total kommerziell ausgerichteten Leuten, die verzweifelt dem Erfolg hinterher rennen. Sie hat gerade mal den Wert eines Stück Papiers, mit dem du dir den Hintern abwischt, nachdem du geschissen hast – du wirfst es im Klo und spülst es runter.“

Schuld am Übermaß akustischer Wegwerfprodukte sind nach Oldfields Auffassung die bösen Plattenbosse:

„Statt auf Qualität und Vielfalt in der Musik zu achten und letztlich damit mehr Geld zu machen als mit irgendwelchem billigen Kram, kopieren sie immer wieder kurzlebige Klänge aus den Charts. Daß dieses Vorgehen vollkommen blödsinnig ist, kapieren die nicht. Daßr ist ihr Hirn einfach zu mickrig.“

Oldfield selbst möchte in Zukunft zunehmend auf Neues setzen. Nach beinahe 18 jähriger Vokal-Abstinenz ist auf seiner jüngsten LP sogar seine Stimme zu vernehmen. „Singen zu lernen, war eine wundervolle Erfahrung. Es ist einfach fantastisch, wenn der ganze Körper in die Musik einbezogen ist. Ich war niemals vorher so glücklich.“