Mitch Ryder – Politik von der Bühne


Seit gut drei Jahren ist Mitch Ryder wieder präsent. Nach inzwischen fünf neuen Alben schien es Zeit für ein Resümee. Der ab „schwierig“ geltende Sänger aus Detroit zeigte sich alles andere als zugeknöpft und bezog offen Stellung, vor allem auch zu seinem politischen Engagement in den USA. VLon einem monumentalen Husten abgesehen, macht Mitch Ryder auch physisch einen gesünderen Eindruck denn je zuvor. Am Vorabend des Beginns einer Tournee (.Kann interessant werden: 21 Gigs in 20 Städten an 25 Tagen mit dem Gekeuche…“) spreche ich mit einem abgeklärt wirkenden Mann, der genau weiß, daß er selbst bei seinen Fans in die Nähe einer gewissen Reizschwelle geraten ist. Doch davon später. Ungefähr ein Dutzend Stichworte standen auf dem Zettel knapp die Hälfte erübrigte sich, da Ryder – entgegen den Erwartungen – förmlich lossprudelte und dabei Fragen abhandelte, bevor sie gestellt werden konnten (,good spirit lor this one“). Ob er sein Comeback nach mehrjähriger Pause auf dem Abstellgleis irgendwann mal bereut hätte, wollte ich wissen. Mein, eigentlich nie, denn die Musik war und ist das Ventil, um all die Frustrationen abzubauen, die sich angesammelt hatten und mit denen ich noch heute versuche fertig zu werden. Aber ich muß gleich offen sagen, daß es ein Comeback in Europa ist. Ich habe einen Vertrag für die Bundesrepublik, die Schweiz und Österreich, England, Schweden, Frankreich und Holland“. Und USA? Haben die Firmen die Rückkehr des Mitch Ryder bemerkt? ,Das ist das Problem. Nach dieser Tour und einem anschließenden Urlaub werde ich landauf landab unterwegs sein, um mich wiedermal um Kontakte zu jbem ühen. Man will dort näm lieh noch immer, daß ich „Sock It To Me „spiele, aber das m ach e ich definitiv nie wieder, das wäre Verrat an mir selbst und ein potentielles Sich-Ausliefem an die damaligen Zustände mit all dem Beschiß. Keine Gefühlsduselei: Wenn ich 1979 nicht den Draht zu euch bekommen hätte, wäre gar nichts gegangen. Aber da ist eine noch größere Sorge. Ich tragein gewisserHinsicht Verantwortung auch für die Band, die nun schon von Beginn an beieinander ist. Aufgrund m einer – sagen wir -Psychose gegenüber der US-Industrie werden die Musiker um jede, aber auch jede Art von Anerkennung zuhause gebracht, vom Geld ganz zu schweigen. Ich weiß nicht, wie lange sie das noch mitfhachen. Europa -und das ist keine Spur überzeichnet hält uns am Leben“. Wie steht man denn zu den wie ich finde – für amerikanische Verhältnisse ungewöhnlich expliziten politischen Texten? „Die Leute beginnen, das jetzt zu akzeptieren, die Firmen natürlich nicht. Die Texte waren überhaupt mit ein Grund dafür, daß ich wieder angefangen habe. Ich konnte all das in Worte fassen, was ich über die Jahre in mich hineingefressen hatte. Das reichte von der Bewältigung homosexueller Erfahrungen in „Cherry Poppin“ bis zu „The Jon“, der Geschichte eines Freundes, der mich Anfang der siebziger Jahre nach vielen Gesprächen zu einem Sympathisanten der kommunistischen Partei werden ließ“. Verstehst du dich rundum als politischen Autor? .Sagen wir so: Ich bin extrem engagiert, was natürlich in der Situation begründet liegt, die in den Staaten herrscht. Es tut sich da endlich etwas, nachdem die Europäer uns erst anstoßen mußten, uns wachgerüttelt haben. Speziell in Detroit – und ich weiß nicht, ob das bis hierher durchdringt brodelt es gewaltig. „Come summer, come summer!“ ist dort der berechtigte, von Wut getragene Wunsch. Wenn genügend Solidarität geübt wird, kann das einen totalen Knall geben. Immer mehr haben das schwachsinnige Gerede satt, von wegen “ Wir können es uns leisten, die Sowjets zu bombardieren, denn von uns werden einige übrigbleiben“. Mit so etwas Leute zu bequatschen, die keine Arbeit, aber umso mehr Hunger haben – eigentlich unfaßbar. Und darum schreibe ich über Militarismus, Rassismus und Korruption, denn es muß einen Platz für Politik in der Musik geben. Wir können vielleicht nicht verändern, aber zumindest an den Grundfesten rütteln. Als Musiker habe ich die einmalige Chance, ein größeres Publikum anzusprechen – und es wäre eine Schande, diese Gelegenheit ungenutzt zu lassen. Für mich ist das Pflicht, das ist mein Selbstverständnis“. W as für ein Amerika sieht er im Jahre 1 nach Reagans Antritt? „Ich dessen erkenne ein Land, an Universitäten Politik wieder kritische Politik zu werden beginnt. Ich sehe – wenn auch noch vage – eine Solidarität zwischen den sogenannten Intellektuellen und den Arbeitern. In Detroit, und ich wohne mitten im ärgsten Schlamassel, sehe ich vor meiner Haustür 40% Arbeitslose unter der schwarzen Bevölkerung, knapp 20% bei der weißen, denen allen jetzt auch noch die Unterstützung gekürzt wurde. Das ist mit die höchste Quote im ganzen Land Und leider, aber man hat gut reden, mußten sich die Arbeiter bei Chrysler und General Motors wohl auf den „selbstbefürworteten“ (lacht zynisch) Lohnstopp einlassen: weniger Geld oder ganz ohne Job – was für eine Alternative! Ich sehe einen Präsidenten, der durch und durch unfähig ist und der das Volk gar nicht wahrnimmt. Das ist der Prototyp des satten, gesunden, reichen Konservativen. Subventionen …Ni ch t s fließt zurück, nur auf die ohnehin schon fetten Bankkonten. Washington D.C., das ist Hollywood: ONE BIG PERFOR-MANCE, nur nicht im Besitz dergroßen Studiobosse, sondern von alles beherrschenden Lobbyisten. Und das meinte ich z.B. in dem Song, War“ mit Jt’s Time To Go To War!‘ – der Aulruf zur Auflehnung gegen die von oben betriebene Demontage, das eigene Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten zu können. Nicht das eigene Dasein pervertieren zu lassen, sondern selbst die Regierung umzudrehen. Aber sowas zu betreiben oder auch nur zu schreiben, ist unerwünscht und gefährlich. Deshalb habe ich mich umso mehr darüber gefreut, daß eine Gewerkschaftszeitung in Detroit den Text abgedruckt hat“. Gibt es eine Alternative? .Ich habe keine Rezepte, auch Kennedy ist nur ein Demokrat alter Schule, dem außerdem ständig irgendwelche Sachen aus der Privatsphäre nachhängen, und sowas wird bei uns hoch gehandelt… Vielleicht wirdesja mal etwas mit einer dritten Partei, die in echte Beziehung mit dem street-levelmovement gelangt, gelangen will.“ An dem in Kananda erschienenen Sampler LOOK MA, NO ~> //~ l-i ti _ _ _ _i mr WHEELS (Quality Records SV 2097, z.T. mit veränderten Fassungen) fiel mir auf, daß z.B. „Bang Bang“ und „Er ist nicht mein Präsident“ fehlen… ,Zu politisch, klarer Fall, außerdem eine Scheiß-Zusammenstellung“. In einigen Songs tauchen immer wieder religiöse Formulierungen auf – sind das nur verbale Floskeln oder steckt mehr dahinter? Jch gehöre (lacht) zu jener Spezies Christen, die bei Problemen schon mal ein .Himmel hilf!“ loslassen, aber wenn alles gut läuft, keinen Herrgott brauchen … Nein, ernsthaft:Ich wende mich strikt gegen die Selbsteinschätzung der ,nation under God“, die ich im Song .Poster“ genannt habe. Denn so wurde bzw. wird hier erzogen: Männer, stark und gottgesandt! Genauso , Gott gab UNS das Land“, diese israelische Haltung, die müssen verrückt sein, den Palästinensern, die nebenan leben, eben dieses Recht nehmen zu wollen“. Wie hält man es nervlich aus, nach wie vor im eigenen Land abgelehnt bzw. nur unter Vorbedingungen akzeptiert zu werden? .Das lingja schon viel früher an. Meine VersuchezJB. mitLesley West in dessen Band The Wild West Show zu arbeiten. Da durfte ich – gebranntes Kind pro Abend nur ein paarmal quasi als Gast auf die Bühne, damit er die Attraktion blieb. Und eine Riesenenttäuschung war bereits das Scheitern mit der Band Detroit“ (mit der Ryder eine Über-LP einspielte, bitte endlich wiederveröffentlichen!), .und seitdem bin ich wohl 30.000mal ausgeklinkt. Nichts liegt mir femer, als damit zu kokettieren. Vielleicht bin ich das Arschloch, für das viele mich halten. Nur bin ich auch jemand, der seine Gefühle immer frei rausgelassen hat. Alles andere wäre für mich genauso idiotisch wie „Ein Junge weint nicht“. Geradeich weiß, wie sehr ich auf das Publikum angewiesen bin, und deshalb kann mir jeder glauben, daß ich nicht auf die Bühnekomme, um eineschlechte Leistung zu bieten. Aber oft muß ich in den unmöglichsten Momenten an irgendwelches Zeugs denken, das schiefgelaufen ist. Und schon geht’s daneben. Ich muß mir dann mit aller Macht sagen, daß da Fans wegen mir gekommen sind und bezahlt haben, Leute, die quasi meinen Unterhalt mitbestreiten. Aber kein Jammern: die Schuld liegt eindeutig bei mir“. Oder spielt da vielleicht eine Haltung des gekränkten Superstars von einst mit (explodiert er jetzt?)? .Meine beiden Kinder aus erster Ehe“, kommt ganz ruhig die Antwort, .haben mir da geholfen. Die wissen genau, daß ich in den USA publizitätsmäßig nicht mehr mit den Assen von heute konkurrieren kann, aber sie respektieren mich, weil ich das mache, was ich für richtig halte und nicht das, was andere gern hätten. Keine Jenny TakeA Ride „-A ufgüsse m ehr, laß das Bruce Springsteen machen“ (der seine Konzerte mit einem Mitch-Ryder-Medley beschließt.) Wäre es nicht Zeit, all das in einem Buch zusammenzufassen? .Es gibt ein fertiges Manuskript. Von anfangs 700 Seiten habe ich es auf knapp 500 gekürzt. Es geht aber nicht nur um das Musikgeschäft und trägt nur teilweise autobiographische Züge. Es ist mehr eine Anhäufung von Dialogen. Nein, einen Verleger gibt es noch nicht“. Dann ist die Cassette zu Ende, die vorgesehene Zeit längst überschritten. Ihr vermißt erwartete Fragen zur Musik, zur neuen LP SMART ASS und all das? Nun, genau das wollte ich verhindern.