Nichts – Düsseldorf


Wo gibt’s das heute noch? Eine Band macht erste öffentliche Regungen – und prompt stehen sowohl Publikum als auch die komplette Kritikerriege einmütig hinter ihr. Nichts heißt die Band aus Düsseldorf und hat mit dem ungewöhnlichen Namen reihenweise dumme Sprüche (auch von mir) provoziert: Von Nix kommt Nichts usw. Ganze Lastwagenladungen voller Bleistifte dürften wohl diesen Einleitungsbemühungen der Schreiberlinge zum Opfer gefallen sein. Daß man damit den musikalischen Bemühungen der Band wohl kaum gerecht geworden sein dürfte, liegt auf der Hand. Deshalb jetzt lieber erst etwas zur Band.

Meine erste Begegnung mit dem Phänomen Nichts fand bei einem Freund statt. Er habe da eine Cassette, die hätte noch keiner, ließ er verlauten und schwärmte dabei in den höchsten Tönen. Nun gut – es hatte auf jeden Fall gereicht, mich gründlich neugierig, aber auch skeptisch zu machen. Cassette in den Recorder geschoben und Minuten später war ich so geleutert, daß ich sämtliche Lobeshyinnen auf der Stelle unterschreiben wollte.

Über den freundlichen Lothar Rieger vom Schallmauer-Label war es dann keine Schwierigkeit, an die Adresse der Nichts-Leute zu kommen. Mit zittrigen Fingern machte ich einen Interview-Termin mit meinen neuen Helden fest Ganz locker waren sie und hatten auch schon am nächsten Tag Zeit, mich zu besuchen. Da hieß es natürlich, schnell noch ein paar Informationen über die Band zu sammeln. Vier Mitglieder hat Nichts: Zwei davon, Micky Matschkopf (git) und Fritz Fotze (dr), waren vorher beim KFC, sind aber nach Produktion derer Langspielplatte ausgestiegen. Dazu kommen Paul Popperkind (bs) und Prunella Prustekuchen (Gesang). Gott oh Gott – das sind ja Namen – Wie spricht man die denn an? Etwa: „Guten Tag Herr Matschkopf?“ D.as Problem löst sich ‚ schließlich ganz von selbst, als Fritz F. zur Wohnungstür hereinstolpert und mich mit einem lockerem: „Tach, ich bin der Tobias“, begrüßt. Fritz heißt also Tobias, Micky heißt Michael, Prunella hört auch auf Andrea, während man Paul auch Chris rufen darf. Das hört sich ja schon viel menschlicher an, doch so ganz‘ glücklich sind weder Micky noch Fritz mit ihren Nachnamen. Fritz: .Die haben wir uns damals beim KFC zugelegt. Heute schreibst du am besten Micky M. und Fritz F.“ Nicht nur beim Namen, auch beim Gespräch reagieren die beiden empfindlich auf die Vergangenheit. Micky: „Nach der Platte sind der Fritz und dich beim KFC ausgestiegen. Und die Gründe dafür? Da hab ich absolut keinen Bock, das so publik zu machen. Das sind irgendwie so Querelen, das ist immer peinlich.“ Daß peinlich wohl noch untertrieben ist, erfahre ich wenig später, als ich einen zweiten Gesprächstermin zu vereinbaren suche und dabei erwähne, daß ich ganz gerne die Nichts-Story mit einer KFC-Geschichte kombiniert hätte. Auf der Stelle ist Mickys Freundlichkeit zum Teufel; stattdessen schlägt mir merkliche Kühle entgegen. Micky: “ Wenn du das nur mit dem KFC und uns zusammen machen willst, dann vergiß es. Da ist es uns schon lieber, es erscheint gar nichts.“ Mehr ist aus der Gruppe nicht herauszubekommen – und erst von einem Bekannten erfahre ich Einzelheiten. Zum Beispiel, daß Micky und Tommi Stumpf zu gemeinsamen KFC-Zeiten ein Herz und eine Seele gewesen sein sollen, daß es aber schließlich irgendwo einen Bruch gegeben hätte, der die beiden spinnefeind werden ließ.

Aus dem Nichte ans Tageslicht: Die Ex-KFCler Micky Matschkopf und Fritz Fotze (!) legen mit ihrer neuen Band einen Blitzstart vor.

Doch genug der Intim-Informationen, lieber mehr zur Bandgeschichte. Micky erzählt weiter: “ Wir sind also ausgestiegen und hatten unheimlich viel Energie und dachten, wir packen es voll. Gerade durch den Split hatten wir den Mut, etwas Neues zu machen, haben echt rumgesucht und auf einem Punklestival in Moers die Andrea getroffen.“ Freunde haben dann empfohlen, Andrea doch mal ans Mikro zu lassen – und siehe da, man war auf Anhieb überzeugt ,Die Andrea kam zu uns in den Proberaum und hat dann einfach so gesungen, zu,Radio“, das wir mit dem KFC schon gemacht hatten, und das hat sich total gut angehört. Wir wußten, die kann an sich nix, aber die ist total gut. Und den Paul kannte ich noch von der Schule.“ Paul, der Popperkind heißt, weil er so schön ist (Popper) und noch bei seinen Eltern wohnt (Kind), lebte zu der Zeit gerade von der Tänzerei und war schon in der „Plattenküche“ aufgetreten. Zu viert haben sie dann reingehauen und in fünf Wochen ein komplettes Programm auf die Beine gestellt. Eigentlich hatte es ja gar keine Langspielplatte, sondern nur eine Democassette werden sollen. Doch Cassetten lassen sich erfahrungsgemäß schlechter verpacken und Naturwaren sie gestern noch bei einem lokalen Alternativ-Label, so klopft heute schon der Große Bruder an die Tür…

lieh auch schlechter verkaufen als LPs. Deshalb Vinyl.

Vom KFC her kannte die Band schon das Schallmauer-Label, so daß es fast Ehrensache war, dort zu unterschreiben. Fritz: „Wir hatten auch Angebote von der Industrie, aber die hohen wir abgelehnt. Da sind wir die kleinen Fische, die Nullen. Wenn du erst mal in den großen Verkaufszahlen hängst, dann kannst du dir das immer noch überlegen und sagen: Nä, liebe EMI, für die Prozentzahlen gehe ich lieber zur CBS, oder bleibe bei der Schallmauer, da krieg ich mehr Geld! Aber wenn du noch nichts vorweisen kannst, dann wirst du bei der Industrie fertig gern acht. Du wirst gebeutelt, bevor du beuteln kannst. Wir sind kein Abschreibungsobiekt.“ Daß sich diese Taktik bewährt hat, dürften die Verkaufszahlen der MADE IN EILE-LP belegen. Bis Ende September waren bereits gut 20.000 Exemplare verkauft. Zusätzlich hat man noch einen Vertrag über eine Singleauskopplung mit der CBS ausgehandelt. Rechtzeitig zum „Bananas“-TV-Auftritt der Gruppe am 8. September erschien der Titel „Radio“ beim Mediengiganten. Bereits nach drei Wochen waren auch davon an die 7000 Stück abgesetzt. Ob sich die Gruppe auf Dauer zu den Erfolgsbands Ideal, DAF und Fehlfarben wird gesellen können, muß die Zukunft zeigen.