Richie Blackmore’s Rainbow


"Wir hätten das Erbe von Deep Purple in jedem Fall angetreten. Auch wenn sie sich nicht aufgelöst hätten ", meinte Ritchie Blackmore unlängst in einem Interview. Nach der zweiten LP seiner neuen Mannschaft, "Rainbow" ("Rainbow Rising") erscheint das auch gar nicht mehr so abwegig. Ritchie Blackmore 's Rainbow repräsentiert heute das, was aus Deep Purple hätte werden können, wenn die Gruppe sich gesund weiterentwickelt hätte.

Bei Deep Purple steckte schon lange der Wurm drin, bevor sich Ritchie entschloß, eigene Wege zu gehen. Ehe er sich zu diesem Schritt durchringen konnte, hatte man fast schon vergessen, daß er tatsächlich zu den besten Rock-Gitarristen zählt. Sein nervenzerfetzendes Spiel schien sich nur noch von einem Konzert zum anderen, von einer LP zur anderen unverändert dahinzuschleppen. Von Ideen keine Spur mehr, nur noch abgefuckte Routine; lustlos mit einem zynischen Gesichtsausdruck, so sah man Ritchie bei den letzten Konzerten mit Deep Purple.

Auf’s falsche Pferd gesetzt

Skepsis erntete er auch noch, nachdem er seine erste „Rainbow“-Formation vorgestellt hatte. Mit dem zierlichen Ronnie Dio hatte er wirklich einen guten Fang gemacht. Woher dieser Zwerg sein wahnsinniges Rock-Organ nimmt, ist rätselhaft. Er strahlt genau die Energie aus, die Ritchie für seine dynamischen Ideen braucht. Ronnie, Chef der Gruppe Elf, wurde zusammen mit seiner» Musikern zunächst als Blackmore’s neues „Orchester“ präsentiert. Daß es hier bald Krach gab, war vorauszusehen. Als Umsteige-Vehikel für Ritchie waren die Musiker gut genug, besaßen bis auf Ronnie jedoch nicht das nötige Profil, um mit dem Meister klarzukommen. Nach der ersten LP „Rainbow“ feuerte Ritchie alle bis auf Ronnie, der nicht nur eine riesige Stimme besitzt, sondern auch als Songschreiber dem „Boß“ gute Anregungen liefert.

Bevor die erste LP erschien, gaben Ritchie und Ronnie unzählige Ideen zum Besten. So sollte z.B. Ritchies Vorliebe für mittelalterliche Musik wirkungsvoll verarbeitet werden. Doch als sich das mit Vorschußlorbeeren bedachte Produkt auf dem Plattenteller drehte, konnte man nur abwinken. Bis auf wenige Ausnahmen hätte man uns sämtliche Titel als das Neueste von Deep Purple unterjubeln können: durchschnittliches Hardrock-Gewäsch mit einigen wenigen Lichtblicken, aber immer noch gut genug, um anhängliche Blackmore-Fans zu befriedigen.

Ritchie spielt wieder

Mit neuen Leuten, dem Drummer Cozy Powell, Jimmy Bain (Baß) und Tony Carey (Keyboards), schaffte es Ritchie Blackmore schließlich doch, seine Ideen etwas wirkungsvoller umzusetzen. „Rainbow Rising“ ist darum eigentlich erst als echter Einstieg in die neue Karriere zu werten: neues Label (Oyster), neue Leute (die endlich kapieren, was er vorhat) und neue Spielfreude. Vielleicht gelingt es ihm sogar, sein angekratztes Image als Gitarrist wiederherzustellen. Sein Spiel zeigt sogar schon kalifornische Einflüsse, so locker hat er seine Gitarre lange nicht mehr behandelt. Ein wenig Saitenquälerei gehört natürlich noch dazu, denn Rainbow ist eine Fetzergruppe, die noch frisch und unverbraucht vom Leder zieht. Mit offenen Armen wartet Ritchie jetzt auf die Scharen von verlassenen Purple-Fans, die er mit seiner Band mit Sicherheit über den „Verlust“ hinwegtrösten kann. Nach der schwerfällig stampfenden Monotonie des verschiedenen „Dinosauriers“ Deep Purple (Jon Lord), werden sie sich bestimmt erfreut einem Hardrock-Act zuwenden, der ihnen außer Ohrenschmerzen noch einige musikalische Abwechslung bietet.

Die Purple-Fans kommen bestimmt

Ritchie Blackmore investiert jedenfalls fleißig in seinen „Regenbogen“. Jetzt, Da er merkt, daß er seine Perlen nicht mehr vor die berühmten Säue wirft, bewegt er sich wieder aus seiner verbiesterten Rolle heraus, erklärte sogar, daß er sich als voll integriertes Gruppenmitglied sieht und nicht ais Star mit Backing-Mann schaff. Aber in dieser Beziehung ist er unberechenbar. Daß er den Tun angibt, und die Gruppe hauptsächlich Medium für seine Ideen Ist, wird er nicht abstreiten können, auch wenn es auf der Bühne demokratisch zugeht.

Doch in einem Punkt schränkt er sich realistisch ein: Daß Painbow sofort wieder als absoluter Top-Act dort einsteigt, wo Purple aufgegeben haben, erscheint wohl auch ihm illusorisch. Obwohl die Konzerte in den Staaten äußerst erfolgreich verliefen, bevorzugt Blackmore kleinere Säle. Er ist sogar bereit, mit Rainbow als Vorgruppe zu spie en, zum Beispiel bei Jethro Tull oder Alice Cooper. Doch beides fiel in letzter Minute ins Wasser. Jetzt steuert er mit Rainbow Europa an – mit einem schrägen Blick auf die englische Presse, die ihn nicht gerade mit Samthandschuhen angefaßt hat.