Rickie Lee Jones


Für den plötzlichen Erfolg war ihre Haut zu dünn. 1979 als neues Wunderkind gepriesen, ertränkte die labile Künstlerseele den Erwartungsdruck im Alkohol. Nach fünfjähriger Selbst-Therapie hat Rickie Lee Jones nun wieder festen Boden unter den Füßen. Versicherte sie jedenfalls ME/Sounds-Mitarbeiter Willi Andresen in Los Angeles.

Ich erwischte sie an ihrem allertiefsten Punkt. Auf allen Vieren kam sie aus dem seitlichen Dunkel auf die Bühne gekrochen. Kaum einer bemerkte das kriechende Häufchen Elend. Doch als sich das Wrack am Mikrofonständer hochhangelte, ging durch das Publikum im „Troubadour“ von Los Angeles ein unüberhörbares Raunen. Auch der Hauptakteur des Abends, Rocksänger Billy Vara schien über die baumelnde Alkohol-Leiche durchaus erfreut. Denn kaum hatte sein Überraschungs-Gast die ersten Töne ins Mikro gehaucht, wußte jeder, wer diese unglaublichen Stimmfetzen zwischen Jazz und Verfall herausstammelte: Rickie Lee Jones.

Diese tragische und zugleich faszinierende Szene ereignete sich vor sieben Jahren. Rickie Lee Jones kauerte auf der Talsohle ihres schnellen Erfolges. Von ihrer Debüt-LP hatte sie zwei Millionen Exemplare verkauft, doch der schnelle Erfolg war nicht verkraftbar. Sie kann sich gut an jenen Auftritt erinnern, auch wenn er ihr heute etwas peinlich ist. „Grundsätzlich bereue ich nichts von dem, was ich in den letzten Jahren erlebt und gemacht habe“, meint sie mit wiedererstarktem Selbstbewußtsein. Wir sitzen im Büro von „Geffen Records“ am Sunset Boulevard in Los Angeles, und meine Gesprächspartnerin hat wiederum arge Probleme mit sich selbst. Anno 1989 sind es jedoch weniger Drogen und Alkohol als vielmehr eine knallenge Jeans. „Es ist das erste Mal, daß ich diese Jeans seit meiner Schwangerschaft trage“, verrät das eitle Frauenzimmer in ihr. Rickie Lee Jones ist seit 18 Monaten Mutter einer Tochter namens Charlotte. Die neue Rolle hat sie total verändert, die unverhoffte Verantwortung die einstige Schnapsdrossel ins Leben zurückgezerrt.

Nach fünfjähriger Studio-Pause hat die 34jährige Sängerin aus Chicago ihre fünfte LP FLYING COWBOYS zusammen mit dem „Steely Dan“-As Walter Becker fertiggestellt. Das komplexe Werk knüpft an das beeindruckende Niveau von Rickie Lees Einstand vor zehn Jahren an und läßt die Schwachpunkte aus der ersten Hälfte der 80er Jahre vergessen. „Stimmt“, meint die etwas fahrig wirkende Sängerin, die ein Kritiker einst als eine „funky Florence Nightingale“ feierte. „Ich habe viel von der damaligen Einfachheit in der Songstruktur aufgegriffen. „

Die elf Songs versprühen wieder jene unterkühlte Atmosphäre, die schon die ersten beiden Platten als außergewöhnliche Studioarbeiten auszeichneten. Zu der Coolness ist jedoch inzwischen eine bislang unbekannte Wärme getreten, wie sie nur aus der Feder einer Frau mit großen Gefühlen und Phantasie stammen kann. Gerade in Songs wie „Away From The Stig“ ist diese neue emotionale Komponente unüberhörbar.

Die Wende war für Rickie Lee von geradezu existentieller Bedeutung:

„Nach MAGAZINE lief bei mir partout nichts mehr“, erinnert sie sich kopfschüttelnd. „Ich hatte nichts zu sagen, und es wurde verdammt brenzlig für

mich, da ich mit Musik nun mal meinen Lebensunterhalt verdiene. Was sollte ich machen ? Sollte ich etwa als Kellnerin jobben und mit ansehen, wie die Leute verdattert in ihren Hamburger hineinprusten: Mensch, ist das nicht Rickie Lee Jones?“

Das triste Dasein von tellerschleppenden Kellnern hatte die Sängerin schon mal gefristet. 1973, als Rickie Lee gerade 19 Jahre alt war, arbeitete sie in Los Angeles in einem italienischen Restaurant. Das Trinkgeld war zwar nicht so üppig wie die Mahlzeiten, aber zum Überleben reichte es allemal. Dennoch mochte sie selbst auf dem Tiefpunkt ihrer Karriere nicht mehr zurück zu mißmutigen Köchen und beschwerdefreudigen Gästen.

„Nein, das war keine Alternative mehr. Ich bin den Weg der Exzesse und des Leidens bis ans bittere Ende gegangen. Aber wenn man seine eigenen Grenzen entdeckt hat, sollte man auch die Kraft haben, wieder umzukehren. „

Rickie Lee verkroch sich zunächst in einem Vorort von Paris, bevor sie sich Anfang 1987 zwecks einer radikalen Selbstfindung auf die Seychellen abseilte. Dort funktionierte auch plötzlich wieder der Kopf, und neue Song-Ideen tauchten aus der jahrelang vernebelten Kreativität auf. „Es war ein mühsamer Neubeginn, da ich jegliche spontane Beziehung zur Musik verloren hatte. Ich hatte meine Heimat verlassen, weil ich auch zu Amerika keinen Bezug mehr hatte. Jenes Jahr war ein schwarzes Jahr für mich, und ich durchlebte eine tiefgreifende Metamorphose. Ich kroch aus dieser kaputten Person heraus und in einen völlig neuen Menschen hinein. Ohne meinen Mann Pascal hätte ich das nie geschafft.“

Pascal Nabet-Meyer spielt auf zwei Songs der neuen Jones-LP mit und ist der erste vollwertige Partner, den die eigenwillige Frau Rickie Lee Jones seit ihrer Affäre mit Tom Waits wirklich akzeptiert.

Den bekanntesten Underdog der westlichen Hemisphäre hatte die Sängerin im Herbst 1977 im Tropicana Motel am Santa Monica

Boulevard kennengelernt.

Das denkwürdige Zusammentreffen der beiden Exzentriker löste in Frau Jones offenbar einen Kreativ-Schub aus. Jedenfalls schrieb die Künstlerin damals fast alle Songs, die später auf ihrem Debütalbum veröffentlicht wurden. Eine bleibende Erinnerung an die Zeit mit Tom Waits ist ein Foto von Rickie Lee Jones auf der Rückseite des 1978 erschienenen Waits-Werks BLUE VALENTINE.

Heute ist Walter Becker der zweite Mann, der im Leben der neuen Rikkie Lee Jones eine tragende Rolle spielt. Zunächst wollte sie von dem ehemaligen Ex-Steely Dan-Studiotüftler nichts wissen. Für ihren Neubeginn testete sie Anfang 1988 daher zunächst einige englische Produzenten aus, die sie allerdings schnell wieder verwarf. „Du kennst doch die Engländer“, redet sie sich in Rage. Ihr Lieblings-Thema?

“ Die sind doch so mit sich selbst beschäftigt und geiern nur dem großen Geld und den schnellen Hits hinterher. A als Künstler bleibst du bei solch einer Zusammenarbeit auf der Strecke, weil sie von Kunst keine Ahnung haben. “ Die Ressentiments gegenüber dem Amerikaner Becker konnten dagegen schnell ausgeräumt werden. Der Mann erwies sich doch noch als netter Kerl“, obwohl er zunächst gar nicht so wirkt.

Musikalisch hatte sie keinerlei Vorbehalte gegenüber dem erfahrenen Studio-Mann, da sie wußte, daß sie .. letztlich immer der Boß im Studio sein würde. „

Nur ein Problem hatte sie mit dem „Steely Dan“-Maestro: In seiner Gegenwart bekam sie keinen einzigen Ton über die Lippen.“.Weil ich im Inneren immer noch dieses Image von Walter mit mir rumschleppte, konnte ich es nicht ertragen, wenn er im Raum saß, während ich singen mußte. “ Becker mußte also jedes Mal das Aufnahmestudio verlassen, wenn sein Schützling vors Mikro trat.

„Zunächst war er etwas pikiert“, erinnert sich Rickie Lee an jene brenzligen Momente, „aber er nahm die Sache gelassen. Das zeichnet einen Mann wie Walter aus. Er hat eben schnell gelernt, mit meinen Macken zu leben.“