Rückkehr nach Sirius


Zum Tod von Karlheinz Stockhausen, dem einflussreichsten und bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts.

Seinen letzten großen Auftritt in der Mainstreampresse absolvierte Karlheinz Stockhausen in den Tagen nach dem 11. September 2001. Da hatte der Komponist die Terroranschläge in New York und Washington – sinngemäß – als „das größte Kunstwerk, das man sich vorstellen kann“ bezeichnet und einen erwartbaren Sturm der Entrüstung entfacht. Dabei ging es Stockhausen nicht um die Verherrlichung eines Verbrechens, er wagte lediglich davon zu sprechen, was Milliarden von Zuschauern einen ganzen Tag lang an ihre TV-Geräte gefesselt hatte: die Konträrfaszination, die von den permanent sich wiederholenden Fernsehbildern der Flugzeuge ausging, die in den Twin Towers explodierten. Die Terroristen hatten die Anschläge auch als Medienereignis geplant – ein Angebot, das von den Medien dankbar angenommen wurde.

Stockhausen Äußerung war aber auch typisch für einen, der sich als Künstler sein eigenes Universum geschaffen und abgekoppelt von der Außenwelt nur für seine Kunst gelebt hat. Angeblich las er keine Zeitungen und besaß keinen Fernseher. Als im Jahr 2001 sein Schlüsselwerk „Kontakte“, eine elektro-akustische Komposition aus dem Jahr 1960, vom musikexpress zu den „50 besten deutschen Platten“ gekürt wurde, blieb er im begleitenden Interview seltsam unverbindlich. Ihm ging es nur um Musik, und die war nichts wert, wenn der Musiker nicht experimentierte.

Karlheinz Stockhausen wurde am 22. August 192S in Mödrath bei Köln geboren. Während seines Studiums beim französischen Neutöner Olivier Messiaen in Paris lernte er Anfang der 1950er-Jahre Pierre Boulez kennen und wurde neben diesem zum wichtigsten Protagonisten der Neuen Musik. Stockhausens Komposition „Gesang der Jünglinge im Feuerofen“ (1956) gilt als Schlüsselwerk der elektronischen Musik. Freilich war der Klangneuerer nicht unumstritten bei der von den Nazis sozialisierten Kulturbourgeoisie in Nachkriegsdeutschland. Äußerungen wie die, er sei auf dem Planeten Sirius ausgebildet worden, trugen nicht unbedingt zum Verständnis Stockhausens bei. Umso willkommener war der Komponist bei den jungen Wilden der 60er- und 70er-Jahre. Can-Bassist Holger Czukay und -Keyboarder Irmin Schmidt waren Schüler des Professors. Ralf Hütter und Florian Schneider von Kraftwerk besuchten seine Konzerte. John Lennon und Paul McCartney gehörten zu seinen Bewunderern, was sie mit der Abbildung von Stockhausen auf der Collage der Plattenhülle zum Beatles-Album sgt. PEPPER’S LONELY HEARTS CLUB BAND würdigten. Miles Davis nannte Stockhausen als maßgeblichen Einfluss seiner freien Electric-Jazz-Phase Anfang der 70er-Jahre. Stockhausens Musikverständnis zieht sich durch das Werk zahlreicher popkultureller Abenteurer: von den frühen Werken Pink Floyds über Brian Enos Ambient-Phase bis hin zu den radikal-elektronischen Kompositionen von Aphex Twin.

Die Bewunderung beruhte allerdings nicht auf Gegenseitigkeit. Bei einem „Blind Date“ im Jahr 1997 mit der Wochenzeitschrift „Die Zeit“, bei dem ihm Krautrock aus den 70er-Jahren vorgespielt wurde, bemängelte der Komponist zu Recht den strukturellen Konservatismus in der zeitgenössischen Popmusik. Im Grunde war der größte musikalische Neuerer des 20. Jahrhunderts aber selber ein konservativer Mensch. Wer seine CDs beim Stockhausen-Verlag bestellen wollte, musste das – in Zeiten von Internet und Pay-Pal – per Fax oder Brief und Verrechnungsscheck tun. Karlheinz Stockhausen starb am 5. Dezember 2007 in Kürten-Kettenberg im Alter von 79 Jahren.

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