Solo für Wolfgang


BAP – das war immer eine große Familie. Krach und Krisen konnte man sich da beim besten Willen nicht vorstellen. Aber weit gefehlt: Nach sieben erfolgreichen Alben hat sich Deutschlands Lieblingsband eine Zwangspause verordnet. Wolfgang Niedecken nutzte die Zeit für ein Solo-Album -Teddy Hoersch fragte ihn, was dran ist an den Trennungs-Gerüchten im Hause BAP.

Da wo ein weicher Teppichboden deine Schritte dämpft, da hinter der Glastüre mit dem Geheimcode-Schloß, da liegt das EMI-Studio.

Im Ruheraum herrscht gemütliches Durcheinander. Zwei Keyboards warten auf ihren Einsatz. In der Ecke brummelt die Kaffeemaschine vor sich hin. Wolfgangs omnipräsenter Hund Blondie bellt und erhebt sein Hundehaupt aus dem Flightcase. „Der hat das hier schon zu seinem Gebiet erklärt“, beruhigt mich Wolfgang.

Das Interview kann beginnen. Thema: Niedeckens Soloalbum SCHLAGZEITEN. Krise bei BAP?

„Also man darf Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Es heißt offiziell nicht: Ich mache ein Soloalbum und BAP Pause. Es ist genau andersherum. Es ist in der Band per Abstimmung beschlossen worden, eine längere spiel- und studiofreie Zeit einzulegen. Anderthalb bis zwei Jahre. Dadurch hatte ich endlich mal die Zeit, das zu tun, was mir schon länger im Kopf herumschwirrt. Es ist ja wohl klar, daß ich mehr Stücke schreibe als auf die BAP-LPs passen. Außerdem kam dazu, daß ich mit einigen Musikern schon immer einmal oder immer noch mal spielen wollte. „

Wir verziehen uns in die EMI-Kantine. Alle paar Minuten kommt einer vorbei und sagt „Halb“, „Wie geht’s“ … Die BAP-Geschichte ist hier überall präsent: sieben Alben. AHL MÄNNER AALGLATT, das letzte in einer Reihe von Bestsellern.

„Die Produktion und Vorgehensweise bei diesem Album hat mir überhaupt nicht behalt. Der Major saß zu Hause und hat sich zu meinen Texten Musik einfallen lassen. Meistens kam dann die Nummer: Der Text ist aber zu lang, können wir da nicht etwas kürzen? Im Proberaum wurde auch nicht gespielt, sondern möglichst viel per Linn- und Simmons-Drum zusammengebastelt. Es war eigentlich nie so, daß wir alle gemeinsam die Stücke gespielt haben. Aber eine Band ist doch nur deswegen eine Band, weil sie zusammen Musik macht. „

Mit jedem Satz wird klarer, daß es bei BAP mächtigen Knatsch gegeben haben muß. Doch bei aller Kritik beeilt sich Niedecken stets, mir zu erklären, daß BAP für ihn mehr ist als nur eine Band, daß BAP Priorität hat.

Die Probleme des erfolgsverwöhnten Kölner Ensembles datieren zurück in die Zeit, als AHL MÄNNER … aufgenommen wurde, in München mit, wie viele fanden, einem unpassenden Produzenten namens Mack.

Und prompt gab es die erwarteten Schlagzeilen: Schmal Boecker und Jan Dix verließen BAP, weil sie von Major Healey und Mack zur völligen Untätigkeit verurteilt worden waren. Plötzlich soll Jan. der Trommler, den Takt nicht mehr gehalten haben. Plötzlich erschien Schmal, der Perkussionist, nur noch als der Freund von Wolfgang, einer auf den man sowieso verzichten kann. Plötzlich war selbst der vielgelobte kölsche Lyriker Niedecken einer, der ellenlange und nie endenwollende autobiografische Gedichte absonderte.

Des Pudels Kern hieß in diesem Fall „Nie Met Aljebra“, inzwischen das Herzstück von Niedeckens Solowerk. Das 10-Minuten-Opus ist eine monologische Kindheitserinnerung. Wiederaufbau, Wirtschaftswunder, Kubakrise, der Kakaogeruch auf dem Schulhof. Prügelstrafe und Krämerladen verdichten sich collageartig zu einem Bild des Nachkriegsdeutschlands, wie Niedecken es erlebt hat.

„Ich habe keinen Grund zu nörgeln“, meint Wolfgang, „weil sich die gesamte Band gegen dieses Stück entschieden hat. Wer bin ich denn, daß ich den anderen meine Sachen aufschwatze! Ich kann nicht hingehen und sagen: „Hön mal, dieser Song ist mir so wichtig, bitte stell doch mal deinen Geschmack hinten an. In der jetzigen Fassung dauert, Nie Met Aljebra‘ zirka zehn Minuten. Zu der Zeit als diese Nummer für AHL MÄNNER … vorgesehen war, dauerte sie noch eine geschlagene viertel Stunde. So ein Ding kann nur funktionieren, wenn bei allen eine Begeistenmg dafür vorhanden ist. Die konnte ich nicht erzeugen —und deswegen war der Song weg.“

Innerhalb der Band kam es zu einer Grüppchen-Bildung: hier die Fraktion um Major Healey, dort die um Wolfgang. „Gegen Ende der Produktion von AHL MÄNNER… gab es heftige Diskussionen. Zum Glück, muß ich sagen. Denn als es ganz heiß wurde, haben wir uns wenigstens hingesetzt und geredet. Einen Monat lang haben wir uns in wechselnden Konstellationen darüber unterhalten, was eigentlich seil 1982, unserem sogenannten großen Durchbrach, passiert ist. Seit dieser Zeit haben wir nämlich nicht mehr richtig kommuniziert. Okay, wir hingen nächtelang in Kneipen ab, hasteten von Erfolg zu Erfolg, waren auf der Bühne oder im Studio.

Dann wurde plötzlich alles ausgekippt — mit dem Effekt, daß wir den Wunsch halten, eine Mörderplatte zu machen. In München stellte sich aber heraus, daß es diese zwei Fraktionen qab. Die Fraktion, die da unten nicht zu Potte gekommen ist, arbeitet jetzt geschlossen an SCHLAGZEITEN mit. Jan, Schmal und ich.“

Ausschlaggebend für die Entfremdung war u.a. auch das Verhalten von Gitarrist/Songschreiber Klaus „Major Healey“ Heuser. „Der Major war während der Produktion auf einen ganz anderen Trip gekommen: internationale Popmusik sollte es sein. Und das war nun gar nicht mein Bier. Wir haben diese unterschiedlichen Auffassungen einfach nicht unter einen Hut bekommen.

Woltgangs Idee, ein Soloalbum aufzunehmen, nahm angesichts dieser Entwicklung immer konkretere Formen an. Bei BAP— so demokratisch dort entschieden werden mag — waren die Rollen scheinbar erstarrt: Niedecken der Texter, Major der Musiker, der Rest ausführende Organe.

„Ich persönlich sähe es gerne, wenn alles, was den einzelnen Bandmitgliedern einfällt, irgendwann aufs Tapet gebracht gebracht würde. Nur — das passiert nicht. Der Steve werkelt seit Jahren zu Hause an irgendwelchen Suchen herum, die er noch nie jemandem vorgespielt hat. Der Effendi strengt sich inzwischen an. um eigene Stücke anzubieten. Aber in dem Maße, in dem sich Majors musikalischer Einfluß vergrößerte, hat sich der der übrigen verringert. Ich bin da nicht ausgeschlossen. Zu AHL MÄNNER … habe ich musikalisch überhaupt nichts beigesteuert. „

Wie erstaunt muß er gewesen sein, als die Komplizen

bei SCHLAGZEITEN seine Akkorde plötzlich stimmig fanden. „Also bitte, habe ich gesagt, nur keine Schmeicheleinheiten, ihr könnt das ruhig ändern. Ich bestehe nicht darauf, daß das bleibt. „

In den meisten der neun Songtalle blieb das Grundgerüst von Wolfgangs Akkorden bestehen. „Das hat mein Selbstbewußtsein schon gestärkt. Wie mich überhaupt die Arbeit an SCHLAGZEITEN unheimlich angetörnt hat. Ich habe mich im Studio noch nie so wohl gefühlt wie diesmal. Wir haben uns Zeit gelassen, bis sich jeder in jedem Song richtig auskannte. Ich habe viel gelernt, was hoffentlich bei BAP seine Anwendung finden wird. Denn noch einmal so eine Produktion wie AHL MÄNNER … — darauf hab‘ ich wirklich keinen Bock.“

Wolfgang wird unruhig. „Lass uns endlich über das neue Ding reden „, sagt er. Denn die Abmachung ist klar: Major darf mit Mack in den USA internationale Popmusik produzieren, Niedecken macht SCHLAGZEITEN. Die Komplizen, die er dazu um sich geschart hat, sind keine Unbekannten. Außer Schmal (perc) und Jan Dix (dr) stehen ihm BAP-Roodie Axel Rieh (b) und die Dunkelziffer-Musiker Matthias Keul (keys) und Dominik von Senger zur Seite.

„Die Zusammenarbeit mit dem Matthias war von vorneherein klar. Er hatte schon bei AFFJETAUT mitgespielt, als wir einen amtlichen Keyboarder brauchten. Die Kooperation mit Dominik hat wohl einige in unserer Szene verwundert:, Wal, der spielt met! Dat kann doch nit wahr sin …?‘ Über das Thema Gitarrist war ich mir am längsten im unklaren. Wenn wir einen typischen Rock ’n Roll-Gitarristen ins Boot genommen hätten, der zu jedem Song das amtliche Solo hinschmettert und dauernd den Vergleich mit Major antreten muß, wäre das eine einfache, aber wohl keine gute Lösung gewesen. Nun, im Proberaum habe ich schon manches Mal geducht: Mein Gott, würde Dominik doch endlich mal ein Solo abfahren. Aber der groovt und groovt, bis an die Grenzen der Belastbarkeit. Als ich ihn ganz vorsichtig bat, mich doch endlich mal zu verblüffen, antwortete er: „Ich habe das alles hier in meinem Rucksack und werde es bei passender Gelegenheit auspacken.‘ Mittlerweile hat er’s ausgepackt. „

Niedecken gerät ins Schwärmen, wenn er über SCHLAGZEITEN spricht. Das Bandfeeling, die langsame und behutsame Art zu arbeiten, das Zusammenspiel — alles stimmte hier. Prominente Gäste schauten im Studio vorbei: Black Föös-Sänger Tommy Engel stand im Chor; Klaus der Geiger, ein Kölner Straßenmusikant, spielte Fidel auf „Gröön en Platania“; Julian Dawson gab ein Mundharmonika-Solo zum besten; die Chordamen Renate Otta und Anne Haigis sorgten für Gospel-Stimmen. Und last but not least trug auch Paulchen Kuhn (ja, genau der!) sein Scherflein zum Gelingen des Projektes bei.

„Das ist eine tolle Geschichte. Bei dem Stück ,Neu Leed‘ steckten wir irgendwie fest. Der Text ist ziemlich lang, und die Musik entwickelte sich auch nicht so, wie es sein sollte. An dem Abend, als gar nichts mehr lief, hatten sich einige verabredet, ein Konzert des Paul Kuhn Trios zu besuchen. Am nächsten Tag schlug Matthias aus Quatsch vor, wir sollten die Nummer ,auf Paul Kuhn‘ machen. Er fing an zu klimpern, alle stiegen ein und plötzlich lief’s.

Wenn man will, daß etwas wie das Original klingt, muß man bekanntlich das Original ranholen. Paul Kuhn wohnt um die Ecke — und wir kannten ihn auch smalltalkmäßig. Ich fragte ihn: ,Paule haste Lust?‘ und Paul hatte Lust. Ist eine tolle Nummer geworden. „

Probleme hatten die Komplizen nicht nur mit dem nunmehr fingerschnippenden Bar-Swing des „Neu Leed“, sondern auch mit der Produktion. „Zunächst dachten wir, daß wir keinen Produzenten brauchen. Es sollte eine Gemeinschaftsproduktion werden. Aber man kann die Stücke noch so gut kennen: Irgendwann sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Dann muß einer ran, der das Knäuel entwirrt, der selektiert: die deecke vun de dünne halt. Ursprünglich sollte Herwig (Mitteregger) die Sache übernehmen. Aber sein Tempo und sein Temperament paßte nicht zu unserem. Matthias und Herwig gerieten zweimal heftigst aneinander. Als die Sache ausgestanden war, kamen wir auf das Naheliegende: Wir riefen Wolf Maahn an. „

In den nächsten Tagen und Wochen wird viel zu tun sein. Promotion und Interviews für SCHLAG-ZEITEN. Irgendwann im Sommer auch ein einzelnes Konzert mit den Komplizen. Für den nächsten Sonntag hat Balou, der BAP-Manager, ein Essen mit Otto Schily vereinbart. Der soll im „Stern“ was über Niedecken schreiben. Im Oktober werden BAP aller Voraussicht nach gen China reisen: Tournee! „Bei einer Veranstaltung zu Ehren von Heinrich Böll war auch eine chinesische Germanistin anwesend. Sie hat über das Frauenbild in den Romanen Bölls promoviert. Nach all den Reden kam sie und fragte uns, ob wir nicht Lust hätten, in China zu spielen. ,Klar sagten wir, .China, haha, mach klar.‘ Sie hat’s klargemacht.“

Wie sagte Kalau immer: BAP spielt überall, wo eine Steckdose ist. Selbst in China. Amtlich!