Streitgespräch: Warum E-Book-Reader die kulturelle Apokalypse sind – oder eben nicht


#TeamDigital oder #TeamPrint? Auch innerhalb der ME.Urban-Onlineredaktion ist man sich da nicht ganz einig.

Der Geruch eines neuen Buches, das Knistern einer Zeitung oder das Gleiten eines Füllers über ein unbeschriebenes Blatt Papier – mit all diesen Dingen kann ME-Urban-Autor Thomas Porwol überhaupt nichts anfangen. ME-Onlinerin Annette Schimanski hingegen schätzt ein gedrucktes Buch, handgeschriebene Briefe und Artikel in Print-Magazinen. Daher geraten die beiden immer wieder in erbitterten Diskussionen aneinander. Ein Auszug.

A:
Bücher sollte man auf Papier lesen – sonst brauchst du sie gar nicht lesen. E-Book-Reader sind für mich ein Teil der kulturellen Apokalypse.

T:
Das kann ich nicht nachvollziehen. Am Inhalt des Buches ändert sich doch nichts, nur die Oberfläche, von der man die Worte liest. Und ich bevorzuge es einfach digital. Ich schätze Bücher ja nicht weniger als vorher.

A:
Aber allein die Digitalisierung nimmt dem Ganzen allen Zauber. Und dass es ein Bildschirm ist, auch wenn der sehr paperlike ist, macht auch das Feeling kaputt. Ein Buch auf einem E-Reader zu lesen, ist für mich, wie Musik auf durchschnittlichen Kopfhörern als mp3 zu hören – und Bücher im Regal sind wie Vinyl. Außerdem zählt für mich das Argument, man spare damit Gewicht, null. Außer vielleicht man reist viel – aber selbst dann würde ich bei Papier bleiben.

T:
Aber wenn ein Buch geschrieben wird, passiert das doch auch digital. Wie viele Autoren schreiben noch auf einer Schreibmaschine? Die Digitalisierung macht auch vor gedruckten Büchern nicht halt, denn die Quelle ist digital. Wenn Leute sagen, sie mögen es, ein Buch anzufassen, eben das Papiergefühl, kann ich das nachvollziehen. Mir persönlich aber total egal. Und der mp3-Vergleich hinkt ein bisschen, denn ein E-Book ist nicht komprimiert. Es fehlen keine Wörter, es ist nicht gekürzt. Bei einer mp3 entgehen dir Töne. Beim E-Book dagegen keine Wörter.

A:
Für mich muss es einfach ein richtiges Buch sein. Es geht nicht darum, dass es digital entsteht. Das Endprodukt muss auf Papier mit schönem Cover sein. Und nach frischem Buch riechen. Ich arrangiere mich mit vielem technischen Krimskrams, aber nicht mit E-Readern. Da zahlt man Geld dafür, dass man nichts weiter als eine Datei erhält. Damit kann ich einfach nicht leben. Mir ist es ja auch total wichtig Erinnerungsstücke wie Kino- und Konzerttickets zu behalten. Die kommen in ein Skizzenbuch, in das ich ab und an auch schreibe oder irgendwas zeichne.

T:
So ein Skizzenbuch kann ich aber nachvollziehen, das hat ja dann ein gewisses System. Eine Art Tagebuch hab ich mal geführt. Als ich für ein halbes Jahr Work & Travel gemacht habe. Allerdings nicht handschriftlich wie so ein Mönch. Das schlummert als 80-seitiges Word-Dokument auf meiner Festplatte.

A:
Und schon hat es für mich jeglichen Zauber verloren. Ein Word-Dokument ist für mich vollkommen kalt und hat keinerlei Persönlichkeit. Da fehlt das ganze Feeling.

T:
Aber das Feeling steckt im Text. Klar, die Präsentation ist nicht so schön, aber ein guter Text bleibt ein guter Text. Ich ziehe es auch vor, Texte anders zu lesen als in einem Word-Dokument, aber die Präsentation ließe sich ja ändern. Man könnte den Text formatieren, ausdrucken, binden. Der Text an sich bleibt aber derselbe.

A:
Ich habe einfach ein Problem damit, wenn das „Feeling“ erst beim Text beginnt. Und mich kann ein Text am Bildschirm auch nicht so fesseln wie einer auf Papier – ist mir zumindest noch nie passiert.

T:
Da ticken Leute wohl auch einfach unterschiedlich. Ich werfe meine Kinotickets jedenfalls nach der Vorstellung weg.

A:
Papier, Bücher, Zeitschriften, Skizzenbücher – das beherrscht total mein Leben und ist mir wirklich wichtig. Und mit dir zu reden, ist, als wärst du ein Flat-Earther und ich besäße gesunden Menschenverstand.

T:
Meine Loyalität gilt dem fliegenden Spaghetti-Monster.

A:
Nur für mich sind das nicht nur unterschiedliche Meinungen. Für mich ist das eine Lebenseinstellung, die den Charakter prägt.

T:
Für mich prägen die Inhalte, die ich konsumiere, meinen Charakter und nicht wie ich sie konsumiere.

„Ich denke nur, dass die Art des Konsums durchaus den Charakter prägt, aber vor allem auch die Psyche.“

A:
Dass einen die Inhalte prägen und nicht, wie man diese konsumiert, erscheint mir auch als richtig – aber nur im ersten Moment.

Vielleicht lebe ich auch in einer Blase. Ich bin mit Vinyl, vielen Büchern und Zeitschriften aufgewachsen und habe viele Menschen um mich, die etwas mit Kunst machen oder in der Architektur tätig sind und dort sind Stift und Papier noch wichtig.

Was ich an diesen Menschen schätze, ist ein Sinn für Ästhetik, der sich durch deren Leben zieht – das betrifft dann auch deren Kleidung, das Auto oder die Wohnung. Ich will damit nicht sagen, dass du keinen Wert auf Ästhetik legst, aber du sagst ja selbst, bei dir zählt Funktionalität.

Aber alles um einen herum wirkt ja auch auf einen – es gibt ja nicht umsonst Dinge wie Healthy Architecture. Außerdem mag ich, wie besonnen diese Menschen oft sind, und sie noch diese Fähigkeit haben, sich ohne etwas Digitales beschäftigen zu können – oder in Urlaub zu fahren und kein Drama daraus zu machen, wenn sie ihr Handy haben liegen lassen. (Wie auch immer so etwas passiert.)

Ich will damit nicht sagen, dass alle, die anders agieren oder denken, fahrlässige Volldioten mit hässlichen Wohnungen sind! Ich denke nur, dass die Art des Konsums – sei es nun, wie man Musik hört, schreibt, liest, zeichnet, entwirft oder einrichtet – durchaus den Charakter prägt, aber vor allem auch die Psyche.

Die Handlung, wenn ich in einen Laden gehe und mir ein Buch kaufe, es also in die Hand nehme, mir Zeit dafür lasse und es zuhause in Ruhe lese, anstatt bei Amazon auf „Bestellen“ zu klicken und es dann zehn Sekunden später auf dem E-Reader zu haben, die tut mir erstens gut, und macht meines Erachtens mein Leben auch wertvoller. Ich wäre mit einem All-Digital-Life sehr unglücklich und es würde mir jeglichen Sinn für Kunst, Bücher und Musik rauben.

„Mir das Medium egal, im Falle einer Geschichte ist für mich die Geschichte relevant, nicht ob sie gedruckt oder gespeichert ist.“

T:
Ob etwas digital ist, ist nicht Messlatte, die ich an Dinge anlege und entscheide, ob ich sie mag. Ich finde nicht etwas gut, weil es in der Cloud ist oder auf einer SD-Karte gespeichert. Mir ist das Medium egal, im Falle einer Geschichte ist für mich die Geschichte relevant, nicht ob sie gedruckt oder gespeichert ist.

E-Book-Reader, Smartphones, Computer sind Werkzeuge, die ich mir gerne zu nutzen mache – aber sie sind auch nicht immer die besten Werkzeuge. Fotos und Gemälde kann man auf einem Tablet betrachten, doch wirklich zur Geltung komme sie nur gedruckt oder auf Leinwand.

Ich verstehe einfach nicht, warum das Medium Buch, das auch nur eine von vielen Arten ist, um Text zu lesen, irgendwo zwischen in Steinplatten gravieren und E-Books, das einzig wahre Medium sein soll, um etwas von künstlerischem Wert zu greifen und in sich aufzunehmen. Und die Digitalisierung hat für mich noch einen weiteren Vorteil: Sie hilft, in meinem Leben physische Dinge zu reduzieren – sie erlaubt es, quasi das ganze Leben in einen Koffer zu packen. Bis auf die Schallplatten natürlich. Das ist mir viel wichtiger, als eine Wohnung voller ästhetischem Zeug.

A:
Jetzt stelle ich mir vor, dass ich in deinem Kopf in einer totalen Messi-Wohnung lebe und Interior-Videos auf YouTube gucke, um darauf klarzukommen. Ich bin aber großer Fan des Minimalismus.

T:
Und du denkst jetzt bestimmt, meine Wohnung besteht aus einem Sofa, einem Fernseher und einer Matratze auf dem Boden. Und Bierflaschen.

A:
Ne, auch noch Platten!

Annette Schimanski und Thomas Porwol