Texas Outlaws


Stop! Um Missverständnissen vorzubeugen: Dies ist keine Story über die Südstaaten Gruppe "The Outlaws". Zwar kommen unsere "Gesetzlosen" auch aus dem Süden der USA, doch musikalisch feuern sie aus anderen Rohren: Gemeinsam machen sie Front gegen die verstaubte Musik-Mafia in der Country-Metropole Nashville. Ob sie nun Kris Kristofferson, Willie Nelson, Waylon Jennings, Lee Clayton, Joe Ely oder Guy Clark heißen sie alle haben die ungeschriebenen Gesetze der Countrymusik missachtet und sich gerade deswegen durchgesetzt.

Die feuerrote Sonne sinkt langsam in den Schluchten des Canyons. Ein einsamer Reiter erscheint auf einer Felsanhöhe. Der Mann auf dem Rappen trägt einen Lederhut, der ebenso speckig ist wie seine ausgefranste Lederjacke, die abgewetzten Jeans und die verstaubten Cowboystiefel Aus seinem braungebrannten, unrasierten, von Wind und exzessivem Leben gezeichneten Gesicht blicken entschlossen zwei leicht gerötete Augen. Augen, die schon viel von dieser Welt gesehen haben. Es sind die Augen eines Outlaws…

So ähnlich werden wohl die Assoziationen der meisten von Euch sein, wenn sie das Wort Outlaw (deutsch: Gesetzloser) hören. Das ist nicht unbedingt falsch, doch die Outlaws, um die es hier geht legen nicht mehr wie Jesse James und Billy The Kid ihre Gegner mit einem Colt um. Sie schießen stattdessen mit eigenwilligen Texten — z. B. gegen das stockreaktionäre Country-Mekka Nashville, mit dem sie traditionell auf Kriegsfuß stehen.

Heute haben sich die ehemaligen Rebellen durchgesetzt und sind in Sachen Country absolut tonangebend. Und das, obwohl sie in ihren Texten kein Blatt vor den Mund nehmen und über Dope und Sex singen, was in der ursprünglich konservativen Countrymusik ein eigentlich undenkbares Novum war. In Countrytexten durfte man bis dahin allenfalls einem Pferd über die Nüstern oder einem Truck über den Kotflügel streichen — doch um Gottes willen nicht einer Frau über die Brust… – . Doch das war nicht das einzige Dogma der Nashville-Mafia, das gebrochen werden musste. Viele der sogenannten Outlaws fingen an, Schritt für Schritt Rockelemente in ihre Musik einzubauen — was angesichts der Verfeindung des Country- und Rock-Lagers völlig indiskutabel erschien. Hinter diesen rockigen Songs und ihrer Outcast-Philosophie aber verbarg sich das Geheimnis ihres späteren Erfolges. Aufgeschlossene, hauptsächlich junge Leute, die bisher einen großen Bogen um den doch sehr bürgerlichen Country gemacht hatten, wurden plötzlich wach und hellhörig. Und auf einmal verkauften einige der Rebellen mehr Schallplatten als die etablierten Stars. Und das zählt auch oder gerade in Nashville. Manchen der Nashville-Bosse wird es angesichts dieser Tatsache sicher schwarz vor Augen werden. Denn indirekt waren sie es doch, die ungewollt diese Bewegung ins Laufen brachten, indem sie den Outlaws die Tür vor der Nase zuschlugen, weil sie sich nicht in ihr Bild des cleanen Country-Sängers pressen ließen.

Ganz deutlich wird das am Beispiel Willie Nelson, der heute als Vater der Outlaw -Bewegung gilt Der am 30.4.1933 in Abott (Texas) geborene Sänger wurde von seinen Großeltern frühzeitig zur Musik geführt. Schon bald wurde ihm klar, dass ein in normalen Bahnen verlaufendes Leben für ihn nicht in Frage kam. Nach dem Militär heiratete er und tingelte durch die Gegend, um Enzyklopädien und Staubsauger zu verkaufen. Zwischendurch trat er

immer wieder in kleinen Clubs und Kneipen auf. Bald aber hatte er davon die Nase voll, ließ sich scheiden und ging nach Nashville, wo er mit Songs seinen Unterhalt verdienen wollte. Kurz zuvor noch hatte er das Stück „Family Bible“ für 50 Dollar verkauft — es entpuppte sich wie viele andere als Millionen-Seiler.

In Nashville selbst konnte man mit Willie Nelson nicht viel anfangen. Den Country-Mogulen gefielen zwar seine einträglichen Songs, doch als Sänger wollte man ihn nicht akzeptieren. Ein reifer Mann, der nicht ducken wollte und mit Zöpfen und rotem Vollbart rumlief, war für Nashville einfach nicht tragbar.

Hier wurden hauptsächlich sogenannte, Rhinestone-Cowboys“ von der Stange produziert. Man nahm einen gepflegten jungen Mann, steckte ihn in einen Glitzeranzug mit falschen Klunkern (den „Rhinestones“) und spielte mit ihm eine Platte ein. Verkaufte die Platte nicht, wurde der Künstler schneller in die Wüste geschickt, als man ihn aufgebaut hatte.

Willie selbst hatte zwar zwischenzeitlich Plattenverträge, doch wurde für ihn nicht viel getan, weil man ihn für renitent und kommerziell nicht verwertbar hielt. Anfang der Siebziger hatte Willie Nashville endgültig satt und zog zurück nach Texas. In einem 1973 veröffentlichten Interview erklärte er diesen Schritt folgendermaßen: Ich verließ Nashville, weil ich mich verändern wollte. Ich wollte meine Ziele auf einem anderen Weg erreichen, doch man sagte mir: „Das ist der Weg, wie wir arbeiten, denn das ist der Weg, wie wir es immer getan haben! Okay, das ist fein für Nashville, aber ich hatte andere Ideen und ging deshalb weg. Hierin Texas kann ich so arbeiten wie ich will.“

Diesen Schritt wird Nelson wohl nie bereut haben, denn er blühte geradezu auf. In den folgenden Jahren brachte er Platten heraus, die auch im heutigen Rückblick noch immer zu seinen besten zahlen. Allen voran das 1975 veröffentlichte Konzeptalbum RED HEAD-ED STRANGER, das die Geschichte eines umherstreifenden Outlaws erzählt. Fast ebenso stark waren das 71er Album SHOT-GUN WILLIE und PHASES AND STAGES von 1974.

Willies Rückkehr nach Texas brachte die Outlaw-Bewegung endgültig ins Rollen. Um ihn herum bildete sich in Austin eine neue Country-Szene. So wie sich die schnieke „Grand Old Opry“

in Nashville von einem rauchigen Club in Austin unterscheidet so verschieden waren auch die beiden Country-Metropolen. In Austin regierte kein schmieriger Musik-Mafia-Boss, sondern nur der Spaß. Höhepunkt jedes Jahres war das von Willie Nelson veranstaltete .Fourth Of July Picnic“, zu dem er seine Freunde und Country-Kollegen einlud Beim ersten Picknick stand einer ganz oben auf der Gästeliste:

Waylon Jennings. Auch er ist einer der Outlaws und ebenso wie Willie schon seit Jahrzehnten im Business. Am 15. Juni 1937 wurde Jennings in einem texanischen Kaff namens Littlefield geboren. Seine erste Berührung mit dem Musik-Biz machte Waylon mit 12 Jahren als DJ einer kleinen Rundfunkstation. Herangewachsen zog er ins nahe Lubbock, wo er sich mit dem dort geborenen Buddy Holly anfreundete. Holly bot ihm an, in seiner Band ¬ den Crickets ¬Bass zu spielen.

Am 3. Februar 1959 wurde ihre Freundschaft jäh unterbrochen. Es war der Tag, an dem Buddy Holly und zwei seiner Bandmitglieder bei einem Flugzeugunglück ums Leben kamen. Eigentlich hätte auch Waylon Jennings in der Maschine sitzen sollen, doch „Big Bopper“ J.P. Robertson, ein anderes Crickets-Mitglied, war an Grippe erkrankt und bat Waylon um den komfortableren Platz im Flugzeug. Der Tod von Holly setzte Waylon arg zu: „Buddy war einer der ersten Leute, die an mich geglaubt haben. Er war ein echter Freund.“

Erst 1965 hatte er wieder Kontakt zur Plattenbranche. Alt-Country-Star Chet Atkins brachte Waylon zur RCA. Er zog nach Nashville und nahm einige Platten auf. Jennings hatte sich den ungeschriebenen Nashville-Gesetzen zwar nie unterworfen, doch die Arbeitsmethoden in Nashville befriedigten ihn nicht. Es war eine Zeit, in der aus Frustration Unmengen gesoffen wurden und er zusammen mit Johnny Cash und Bobby Bare die Gegend verunsicherte. Als dann Nashville obendrein noch in Richtung seichtem MOR-Pop schielte, hatte Waylon endgültig genug. “ Wie soll ich mit einem Mund voller Feuerwerkskörper Pop singen, ’sinnierte er damals. Zuerst sah alles danach aus, als ob Waylon resignieren würde. Doch sein Drummer Richie Albright und der neue Manager Neil Reshen konnten ihn noch einmal überreden, einen neuen Anfang zu machen. Waylon willigte unter der Bedingung ein, dass er ab sofort keine künstlerischen Kompromisse einzugehen

habe. Lieb war das der konservativen RCA sicher nicht, doch da Waylon zu keinem Einlenken bereit war, gab auch sie widerwillig grünes Licht.

Das nächste Album LA-DIES LOVE OUTLAWS zeigte in der Tat einen veränderten Waylon Jennings. Zeichnete er sich bisher durch seine markige, soulige Stimme aus — sowie durch den von ihm entwickelten „chicken-picken“-Gitarren-Stil (er selbst nennt es die „stotternde Gitarre“), so sang er jetzt auch Texte, die von zeitgemäßeren Cowboys und Outlaws handelten.

Ein zweiter Startschuss zur Outlaw-Bewegung war getan. In Insiderkreisen munkelte man auch, der vom damals noch unbekannten Lee Clayton geschriebene Titelsong „Ladies Love Outlaws“ habe der Bewegung ihren Namen gegeben. Waylon selbst war geradezu prädestiniert, diesen modernen Outlaw zu verkörpern. Mit seinem pechschwarzen, schulterlangen Haar und den abenteuerlichen Bartstoppeln sah er fast schon ein wenig dämonisch aus. In seiner Stimme hatte er genug Soul, um genauso überzeugend die — von der Damenwelt so geschätzte — sentimentale Seite auszudrücken.

In den folgenden Jahren avancierte Waylon zum Outlaw-Superstar, der vor allem in der jüngeren Generation seine Anhänger fand Er veröffentlichte bis heute einige hervorragende Alben, von denen besonders HONKY TONK HEROES, DREA-MING MY DREAMS, WAYLON LIVE, OL‘ WAYLON, I’VE AL-WAYS BEEN CRAZY und WHAT GOES AROUND COMES AROUND hervorzuheben sind. Ein weiteres hervorragendes Album namens WAYLON & WIL-LE spielte er gemeinsam mit seinem langjährigen Freund Willie Nelson ein. Außerdem veröffentlichte seine Firma WANTED! THE OUTLAWS — einen Sampler, auf dem Waylon, Willie, Tompall Glaser und Jessie Colter, Waylons Frau, zu hören sind.

Ebenfalls einer der ersten im Bunde war Kris Kristofferson. Auch er brachte völlig neue Elemente in die Country-Musik ein. Kris machte das Unmögliche möglich und sang in seinen Liedern über Sex. Einige der ganz konservativ-Verbohrten erwarteten damals sicher täglich, dass Kristofferson von Gottes Blitz auf offener Straße getroffen würde. Doch ganz im Gegenteil! Wie auch Waylon kam Kris besonders gut beim jungen amerikanischen Publikum an. Er drückte mit seinen intensiven Texten das Lebensgefühl einer ganzen Generation aus.

Kristoffersons Weg begann am 22. Juni 1936 in Brownsville (Texas) und führte ihn über die High School zur Oxfort-Universität nach England. Fünf Jahre war er Hubschrauber-Pilot in Deutschland, zwischendurch schrieb er zwei Romane, die jedoch nie veröffentlicht wurden — und natürlich einen Haufen Songs. Doch sein bürgerliches Leben und sein gutbezahlter Job konnten ihn letztlich nicht befriedigen. Kris ging nach Nashville — doch das einzige, was seine heutige Plattenfirma ihm damals bieten konnte, war ein biederer Hausmeister-Job. Kris nahm an. Fünf Jahre fristete er vor sich hin, bis der Sänger Roger Miller sein Songschreiber-Talent erkannte und drei seiner Stücke, u.a. „Me And Bobby McGee“, aufnahm. Kris bekam einen Plattenvertrag und war schon bald ein gefragter Songschreiber. Janis Joplin machte bekanntlich „Bobby McGhee“ zum Welthit.

Als Interpret seiner eigenen Songs indes konnte er nie hundertprozentig überzeugen. Dafür fehlte ihm einfach das stimmliche Charisma etwa eines Waylon Jennings. Waren seine ersten Platten noch überzeugende persönliche Statements, so nagte der plötzliche Erfolg doch offensichtlich stark an der Kreativität. Ein möglicher Grund für das Abflachen der jüngsten Platten wird vielleicht auch sein neues Hobby gewesen sein: Der schöne Kris entdeckte seine Vorliebe für den Film und spielte erfolgreich mehrere große Rollen. Besonders hervorzuheben ist dabei sein Auftritt als „Billy“ in Sam Peckinpahs „Pat Garret jagt Billy The Kid“.

Obwohl nicht aus Texas, sondern aus Alabama stammend, gehört auch Lee Clayton zu den Texas-Outlaws. Er verkörpert den cleveren, introvertierten Kopf, der spannungsgeladene Songs und intensive Texte zu schreiben versteht. Genau wie Kristofferson schlug auch Lee Clayton zuerst ein gutbürgerliches Leben ein. Er heiratete früh, hatte einen gutbezahlten Job, fuhr einen Sportwagen und trug flotte Klamotten. Doch zufrieden war er nicht. Er erinnerte sich an seinen alten Vorsatz: In meinem Leben wollte ich eigentlich nur drei Dinge unbedingt machen. Ein Flugzeug fliegen, Musik machen und dann und wann mit einer guten Frau zusammen sein…“

Lee kündigte seinen Job, ließ sich scheiden und ging zur Airforce, um Pilot zu werden. Zwar wurde sein Wunschtraum wahr, selbst eine Maschine zu fliegen, doch seine musikalischen Ambitionen kamen dabei ein wenig zu kurz. 1969 verließ er Uncle Sam, um sich in Nashville als Sänger und Songwriter zu versuchen — vorerst natürlich erfolglos.

Durch Waylon Jennings, der 1972 zwei seiner Songs aufnahm, kam der Stein ins Rollen. Lee bekam einen Plattenvertrag und veröffentlichte 1973 die LP LEE CLAYTON. Das Album wurde ein FlopLee tourte noch einige Monate und verschwand dann urplötzlich in der Wüste. “ Viel getan habe ich dort eigentlich nicht, hauptsächlich rumgesessen und die Sonne auf- und untergehen sehen; viel nachgedacht, auf Berge geklettert und eines Tages wurde mir klar, dass es wieder Zeit war, etwas zu bringen.“

Mittlerweile schrieb man das Jahr 1976 — und Lee brachte einen wirklichen Knüller heraus: BORDER AFFAIR hieß das Meisterwerk, das auch Kritiker diesseits des großen Teiches aufhorchen — die Käufermassen jedoch ziemlich kalt ließ. Doch da bekanntlich aller guten Dinge drei sind, traf Lee mit seinem dritten Album genau ins Schwarze. Mit der LP NAKED CHTLD und dem ausgekoppelten Song „I Ride Alone“ gelang ihm ein Achtungserfolg in den USA und Europa. Ein reiner Countrysanger war Lee schon lange nicht mehr — vielmehr ein gestandener Rokker mit einer durchschimmernden Country-Vergangenheit. Markenzeichen von Claytons Songs waren seine rauchige Stimme und die wie ein Wüstenkojote heulende Lead-Gitarre seines Mitstreiters Phillip Donnelly.

Die 1981 veröffentlichte LP THE DREAM GOES ON enthielt zwar keinen Hammer wie J Ride Alone“, konnte ansonsten aber den Standard des Vorgängers halten. Dieses Jahr hatte Mr. Clayton vom Business erst einmal wieder genug. Auch die BRD-Tour platzte, weil er plötzlich wieder in der Wüste verschwand.

Der Benjamin unter den Outlaws heißt Joe Ely und gilt als Multitalent und absoluter Meister des Honky Tonks. Über ihn möchte ich an dieser Stelle keine weiteren Worte verlieren — außer, dass er zu meinen Favoriten zählt und uns in Kürze eine eigene Story wert ist. Demnächst also mehr über Ely in diesem Theater…

Auf jeden einzelnen der Outlaws näher einzugehen, würde den Rahmen dieser Special-Story sprengen. Deshalb seien einige Namen nur kurz erwähnt: Billy Joe Shaver ist einer der wichtigsten Songschreiber der Texas-Szene. Er hat z.B. fast alle Stücke des Waylon-Albums HONKY TONK HEROES geschrieben. Bei dem schon erwähnten Tompall Glaser sieht es auf dem deutschen Plattenmarkt ebenso übel aus. Glaser hat seinen Anteil an der Outlaw-Bewegung besonders durch seine hervorragende Zusammenarbeit mit Waylon Jennings geleistet.

An Chaoten, Drogenfreaks und Schluckspechten mangelt es der Outlaw-Bewegung nicht Zwei besonders hart gesottene Burschen sind David Allen Coe und Johnny Paycheck. David Allen Coe hat sein Outlaw-Image anscheinend besonders ernst genommen. Zwanzig Jahre verbrachte er wegen Mordes im Knast („Als ich noch jung war, habe ich viel Chemie geschnüffelt. Vielleicht hat das meine Birne aufgeweicht.‘); er hat Gerüchten zufolge nicht weniger als sechs (!) Frauen und lebt hauptsächlich von Sex, Skandalen und in den USA recht gut laufenden Plattenveröffentlichungen. Genau wie im Falle von Johnny Paycheck sind seine LPs (beide CBS) in der BRD nicht erhältlich. Seines Chaotentums wegen kann man auch Bobby Bare, obwohl er nicht in direkter Beziehung zur Texas-Szene steht, zu den Outlaws zählen. Bare arbeitet schon Jahrzehnte erfolgreich in Nashville, ohne auf seinen exzessiven Lebensstil und die dementsprechend freakigen Texte zu verzichten. Besonders fruchtbar fällt dabei die seit 1975 bestehende Zusammenarbeit zwischen Bare und dem satirischen Songschreiber Shel Silverstein aus. Die LPs mit den bezeichnenden Namen DOWN & DIRTY und DRUNK & CRAZY sind bedenkenlos zu empfehlen.

Zu meinen persönlichen Favoriten zählen neben Jennings, Clayton und Ely auch Jerry Jeff Walker und Guy Clark. Im Vergleich zu den anderen Haudegen wirkt der ehemalige Gitarrenbauer Guy Clark eher wie ein stilles Mauerblümchen. Wenn es jedoch darum geht, wer in Texas momentan zu den profiliertesten und gefragtesten Songschreibern gehört, mischt Clark ganz oben mit Auch als Interpret seiner eigenen Stücke hinterlässt er einen nachhaltigen Eindruck. Alle seine bisher veröffentlichten LPs gehören in jede gute C & W-Sammlung; sein Erstling OLD NO 1. gilt als Meilenstein in der Geschichte der Country-Musik. Guy Clark versteht es vorzüglich, neben stampfenden Honky Tonk-Nummern sentimentale Songs zu singen, ohne dass dabei auch nur im geringsten der Gedanke an Schmalz aufkommt Exakt das ist auch eine der Stärken von Jerry Jeff Walker. Ein weiteres Plus ist seine abgrundtiefe Stimme. Wenn Jerry Jeff den Mund aufmacht, klingt es wie aus den tiefsten Tiefen eines Whiskyfasses. Der ehemalige Folksänger aus Greenwich Village — das bekannte .Mr. Bojangles“ stammt aus seiner Feder — ist mittlerweile stilistisch sehr variabel geworden. Neben rauchigen Balladen interpretiert er kochende Texas-Rocker, hier und da werden auch gekonnt Bläser eingesetzt Walker ist einerseits bodenständig — andererseits für einen Countrysänger aber auch erstaunlich experimentierfreudig. Mit seiner Lost Gonzo Band, einer der besten Begleitbands, die Texas je gesehen hat, gehörte Jerry Jeff neben Waylon und Willie zu den

Protagonisten der Outlaw-Bewegung. Seine alten vorzüglichen MCA-Alben sind in der BRD leider gestrichen, die beiden neueren Wamer-LPs JERRY JEFF und TOO OLD TO CHANGE sind über den Teldec Import Dienst erhältlich.

Die Liste der Texas-Outlaws ließe sich noch beliebig weiterführen; aus Platzgründen habe ich mich hier auf die wichtigsten und schillerndsten Figuren beschränken müssen. — Doch was macht diese sogenannten Outlaws so bemerkenswert? Was unterscheidet einen Waylon Jennings oder Lee Clayton von einem Johnny Cash oder Glen Campbell?

Einerseits haben die Outlaws das musikalische Spektrum der Countrymusik enorm erweitert. Nicht einmal bewusst und mit Absicht — sie waren halt nur undogmatisch und für Anregungen von außen offen. In den rauchigen und feuchtfröhlichen Musik-Clubs von Texas ging es nur darum, dass man zu der Musik eine Kuh fliegen lassen konnte ob es nun Country, Blues, Rock, Tex-Mex oder irgendeine obskure Mischung daraus war.

So gesehen war und ist die Texas-Szene ein musikalischer Schmelztiegel, der viele unterschiedliche Musiker hervorbrachte. Während ein Willie Nelson heute noch eher ursprünglichen Country spielt, hat der Rock bei Lee Clayton und Joe Ely die Oberhand gewonnen. Der entscheidende Unterschied zu den cleanen Nashville-Stars ist jedoch die Lebensphilosophie der Outlaws. Sie sind keine blindwütigen Gesetzlosen, sondern Männer, die sich ihre eigenen Gedanken machen und ihre eigenen Gesetze formulieren. Ob es nun darum geht, dass sie ihre Musik und Texte machen, ob sie sich ihren Joint nicht verbieten lassen wollen — ob sie in ihrem Lebensstil ihr eigenes Ding durchziehen wollen. Lust und die Freiheit, diese Lust ausleben zu können, das sind die bestimmenden Faktoren dieser Lebensweise. Gleichzeitig ist die Outlaw-Philosophie eine sehr individualistische — ja fast schon einsame Lebenseinstellung. Lee Clayton hat das in seinen Texten wohl am intensivsten verarbeitet: “ They say,There goes a stränge one/ he sits back to the wall… he rides, yes he rides alone“ („I Ride Alone“). Lees Texte über seine Vergangenheit und Selbstfindung sind mir wie schon lange nichts mehr unter die Haut gegangen. Das Motto auf dem Cover von THE DREAM GOES ON: „Know Yourself, Be Yourself, Lee Clayton, Planet Earth, 1981“ bringt das autarke Selbstverständnis prägnant auf einen Nenner.

Etwas weniger philosophisch angehaucht sind die Texte von Waylon Jennings oder die seiner Songwriter. Sie handeln von einem modernen Cowboy — einem Allem und sich selbst gegenüber harten Mannsbild, der aber auch sentimental werden kann, wenn es darum geht, dass die Ladies die Outlaws zwar lieben, doch leider selten verstehen. Und wenn es sein muss, nehmen sich die beiden großen W’s (Waylon & Willie) auch mal selbst ein bisschen auf die Schuppe: „Mamas don’t let your babys grow up to be cowboys/ don’t Jet thern pick guitars an d drivin‘ old trucks/let them be doctors and lawyers and such/Mamas don’t let your babys grow up to be cowboys/ they neverstay home andthey’re always alone/ even with someone they love.“

Da gerade in Amerika jeder neue Trend kräftig vermarktet wird, war es nur natürlich, dass es mit dem Outlaw-Mythos nicht anders lief. (Man beachte nur die Marlboro-Werbung). Waylon und Willie sind heute steinreiche Männer. Und doch wäre es falsch, ihnen deshalb Rückgrat und Ehrlichkeit abzusprechen. Wer konsequent auch in trockenen Zeiten immer nur das gemacht hat, was er wirklich wollte, dem darf auch mal das Glück in Form der netten, bunten Scheinchen zulächeln. Ein Graffiti-Spruch auf Waylons Album OL‘ WAYLON verdeutlicht seine gesunde Einstellung zu diesem Thema: „/ don’t need the money“ und etwas kleiner darunter: „but I’ll take it.“