The Child Of Lov


Ein Holländer zelebriert schwarzen Funk und Soul – frisch, stilvoll und so rough wie die Oranje Fußball spielt. Versteckspiele sind da überflüssig.

Gott sei Dank hat The Child Of Lov (TCOL)sein Gesicht inzwischen gezeigt. In Zukunft muss also nicht mehr jeder Artikel über den Amsterdamer Musiker mit der Information beginnen, dass niemand so genau weiß, wie er eigentlich aussieht. Vor allem aber sind seine Gesichtszüge tatsächlich so herrlich markant, dass es eine Schande gewesen wäre, sie weiterhin zu verstecken. Wenn er sich herausputzt (wie neulich zum Beispiel, um sich seinen ersten „NME“-Award als bester Newcomer abzuholen), dann sieht The Child Of Lov aus wie eine schmierige Mischung aus Zlatan Ibrahimovic und Harland Williams – wahrscheinlich einer der Hipster-Looks für 2013.

In erster Linie aber setzt der Holländer weiterhin musikalische Akzente. Vor seinem Rechner huldigt er als Sänger, Produzent, Gitarrist und Tastendrücker in Personalunion den mannigfaltigen Spielarten schwarzer Popmusik – und zwar vor allem denen, die in Hüfte und Beine gehen. Das Ergebnis klingt, als hätten Gnarls Barkley oder Outkast ihr enzyklopädisches Musikwissen und ihren stilbewussten Retrofuturismus mal eben durch Fruity Loops gejagt. Die Beats rumpeln, scheppern und grooven wie bei RZA und J Dilla, dazu gibt es minimalistische Funk-Licks, spacige Synthies, kaputte Wobble-Bässe und bis zu dreißig verzerrte Vocalspuren, die sich zu einem betörend schief-schönen Singsang vereinen. Den verstaubten, formelhaften Retrosoul der Konkurrenz fegt The Child Of Lov damit gnadenlos vom Platz, mit der Leidenschaftlichkeit und Dirtiness einer holländischen Blutgrätsche.

Viel hätte jedoch nicht gefehlt und The Child Of Lov hätte seine Identität nie verschleiern müssen. Der Eigenbrötler werkelte über Jahre unbemerkt im Stillen an seiner Musik herum und ist keiner, der die Resultate anderen unter die Nase reibt. Nicht einmal der eigenen Mutter: „Selbst wenn es ihr gefallen hätte, was hätte sie denn sagen sollen? ‚Oh, du spielst aber schön Gitarre!‘ Das wäre mir irgendwie unangenehm gewesen …“

Allerdings treibt sich in der laut ihm „nicht existenten“ Musikszene Amsterdams dieser Tage auch ein gewisser Trey Reames herum, seines Zeichens Ex-Manager solcher Größen wie Danger Mouse und Cee Lo Green.

Wie es der Zufall wollte, fielen ihm über einen gemeinsamen Freund ein paar TCOL-Demos in die Hände. Reames war begeistert, ließ seine Kontakte spielen und ein paar Wochen später saß The Child Of Lov zwischen MF Doom und Damon Albarn in dessen Londoner Studio. Letzterer sorgte für den finalen Feinschliff der Platte, der Maskenträger Doom verwandelte das düster schleppende „Owl“ mit verrauchter Stimme und grenzgenialen Punchlines („I put a fat one in the air / Like a farting cow“) in einen heimlichen Höhepunkt der Platte. „Es war völlig surreal. Ich weiß noch, wie ich irgendwann dachte: ‚Ist das seltsam. Jetzt mache ich hier mein erstes Album, zusammen mit Damon Albarn und MF Doom'“, sagt der Holländer. Wie es aussieht, dürfte der Unwirklichkeitsfaktor in den nächsten Monaten weiter hoch bleiben. Glastonbury hat bereits angefragt.

Albumkritik S. 77

The Child Of Lov nutzt für seine Produktionen bis heute das verpönte Billigprogramm Fruity Loops.

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Sein Tumblr-Blog versammelt diverse Fotos von Mariah Carey, Christina Aguilera und vor allem Kim Kardashian beim Verzehr von Fast Food.

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Der Künstler hat Literaturwissenschaften studiert. Seine Bachelorarbeit verfasste er über Paul Celan und Jacques Derrida.

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Klingt wie: Outkast, Gnarls Barkley, The Heavy