Trümmer Trauma


Später Lohn für langen Einzelkampf: Peter Murphy demontiert seine Bauhaus-Vergangenheit und pflastert den eigenen Weg mit Musik für die Massen

An den Augen sollt ihr ihn erkennen. Peter Murphy im Jahre 1992, eine hagere Gestalt im abgetragenen Kunststoffluxus eines Hilton-Foyers. Neun Jahre nach der Auflösung der düsteren Kultformation Bauhaus, deren exaltierter Frontmann er fünf Jahre war, ist er glücklicher Vater zweier Kinder, schreibt einfühlsame Popsongs und spricht leise über „Liebe, Natur, Schönheil, die einfachen Dinge des Lebens hall.“ Früher waren seine introvertierten Lieder von Psychoterror und Seelenqualen erfolgreiche Matrize für die Depressionen bleich geschminkter Jugendlicher und seine extravaganten Auftritte zwischen Tag und Alptraum lustvolle Horrorschau für spät geborene Existentialisten. Fast könnte man meinen, der Guru sei in die Jahre gekommen, wären da nicht eben diese Augen, dieser unausweichliche Blick im Grenzbereich der Normalität, der jeden Kofferträger im Umkreis von fünfzig Metern zur Salzsäule erstarren läßt. Und wären da nicht eben diese Popsongs, die tatsächlich in ihrer Tiefe und ihrer originären Kraft diese Bezeichnung neu definieren.

Peter Murphy hat sein viertes Solo-Album veröffentlicht, HOLY SMOKE, ein feinsinniges Werk von (immer noch) unheilsschwangerer Traurigkeit, aber auch zarten, sanften Momenten. Ein Album, das in seiner durchdachten Geschlossenheit die logische Fortsetzung des erfolgreichen Vorgängers DEEP und gleichzeitig die Quintessenz seines alleinigen Wegs ist. „Seil 1983 arbeile ich an meinem Profil als Solokünstler. Ich wußte, daß ich nach Bauhaus das Publikum neu erobern mußte. Ab das mit dem dritten Album plötzlich klappte, war es für mich doch sehr seltsam, nicht mehr kämpfen zu müssen. Deswegen wollte ich mich bei HOLY SMOKE nicht auf den wiedererlangten Status verlassen.

kh habe mich hingesetzt und tatsächlich versucht, ein Album zu machen, von dem ich glaube, daß es sich verkaufen könnte. Das habe ich vorher noch nie gemacht, aber mein ganz persönlicher Druck war diesmal einfach zu groß.“

Wer mit Peter Murphy spricht, weiß, daß dieser Mann nichts Unüberlegtes tut. Er schweigt und denkt. In langen Gesprächspausen durchbohrt sein Blick den hilflosen Raum, Antworten gibt er leise, aber bedacht, ohne eine Spur der Zerstreutheit, wohl formuliert auf den Punkt. Mit den früheren Grenzerlebnissen in Wort und Werk hat das nur noch wenig zu tun. „Von Bauhaus waren wir hundertprozentig überzeugt. Wir haben keine Sekunde darüber nachgedacht, ob das, was wir machen, richtig oder falsch, gut oder schlecht ist. Wir brannten für unsere Sache, doch dieses Feuer verschwindet mit der Zeit, wird zu einer anderen Art der Motivation. Die sanfte, bedachte Seite war immer in mir, aber wenn man jung ist, wagt man noch nicht, sie zu gebrauchen. Man verarbeitet Depressionen leidenschaftlicher und aggressiver. Alter macht einen nicht unbedingt friedfertiger, aber zumindest erfahrener.“ Die exzessive Leidenschaft der frühen Jahre war es auch, die Bauhaus nach der Blitzkarriere schnell das Leben kostete. Als sich Murphy und Daniel Ash (ehedem Bauhaus-Gitarrist) 1978 zusammenfanden, dachte Murphy „kaum daran, in einer Band zu sein und Platten zu machen. Mich faszinierte nur die komplette Übereinstimmung, die zwischen uns herrschte. Und als David (Jay, b) und Kevin (Haskins, dr) dazukamen, war der Zug eh‘ schon abgefahren.“ Doch nach vier Alben und mehreren Independeni-Hits quittierte Bauhaus den wegbereitenden Dienst, der Bands wie Sisters Of Mercy oder Fields Of The Nephilim das Schwarz am Horizont zeigte. „Wir haben uns zu ernst genommen, und waren deslialb mit unserer Kraft sehr schnell am Ende. “ Drei Jahre später erst beschritt Murphy seine eigenen Wege, Ash, Jay und Haskins fanden über Umwege als Love And Rockets wieder zusammen. Die Arbeit seiner ehemaligen Kollegen schätzt er sehr, doch mit Bauhaus-Folgeerscheinungen hat der ,Vater des Goth-Rock‘ seine Probleme. „Goth-Rock, was ßr ein peinliches Wort. Ich konnte mich mit den schlechten Kopien, die es von uns gibt, nie identifizieren.“

„Aus Wissen wird Weisheit“, sinniert er statt dessen auf die Frage nach seiner persönlichen Entwicklung. „Ich bin in einer entscheidenden Phase. Es gab ßr diese LP zwei Arten von Fotos — geschminkte und ungeschminkte. Und zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich erkennen, daß natürliche Bilder sehr viel mehr Energie austrahlen können, als bewußt verfremdete. Es ist interessant, plötzlich den Mut zu finden, sich zu zeigen, wie man ist.“