U 2


Nach fünfjähriger Bühnenabstinenz suchten die irischen Rock-Matadore zum Auftakt ihrer Welttournee Australien heim: mit insgesamt 23 Konzerten in den fünf größten Städten des Känguruh-Kontinents. „When loves comes to town“ hieß die Botschaft, und deren Umsetzung sah so aus: Vier praktizierende Rock ’n“ Roll-Prediger versetzten ganze Heerscharen von Fans in schieres Verzücken.

Denn der weltweit grassierende U 2-Virus hat sich auch „down under“ längst zu einer Massenepidemie entwickelt. Sage und schreibe 96 000 Zuschauer bevölkerten an acht Abenden hintereinander die ungemütliche, gänzlich bestuhlte und zudem mit absolutem Rauchverbot belegte Arena des Entertainment Centers in Sydney. Und schon vor Beginn des Konzerts war die Hölle los. Die Menge tanzte euphorisch in den Gängen und empfing die vier Iren wie die Irren – johlend und mit stehenden Ovationen. Von Anfang an herrschte eine Stimmung, wie sie sonst oft erst im letzten Drittel eines Konzerts aufkommt – eine Atmosphäre grenzenloser Sympathie, die schnell in wilden Enthusiasmus umschlug.

Dabei wartete U 2 nicht mit Überraschungen auf: Der Schwerpunkt des Programms las eindeutig bei Stücken aus „dem Album RATTLE & HUM. Doch immerhin war die aufwendige Lightshow neu. Ein gutes Dutzend Techniker schwebte in funkgesteuerten Sesseln über der Bühne und tauchte Musiker und Zuschauer in ein Lichtermeer changierender Farben. Auch das Bühnenbild des Exilchilenen Rene Carlos war neu: Im Takt der Musik erschien beispielsweise über roten Wellen ein leuchtend gelber Mond. Langsam gab er den Blick frei auf die Umrisse einer Gitarre, aus der dann wieder eine Schlange wuchs, deren Schwanzende sich um eine Kerze wand. So entstand das Symbol von Amnesty International, eine von Stacheldraht umwickelte Kerze. Danach verschwand Bono abrupt von der Bühne, und The Edge begann mit seinem Solopart und dem Titel „Van Diemen’s Land“, der die Geschichte des gleichnamigen irischen Poeten erzählt, der seinerzeit nach Australien auswandern mußte.

Pathos als Patentrezept – davon bieten die Iren mehr als jede andere Band. Reichlich Pathos in „New Year’s Day“ und noch eine Dosis mehr in „Love Rescue Me“. Diesen Song widmete Bono den Menschen in Osteuropa; sein Appell „Reißt den Eisernen Vorhang nieder“ wirkt angesichts der rasanten politischen Öffnung des Ostblocks allerdings ein wenig gestrig. In dieser energiegeladenen Atmosphäre gab es nur Höhepunkte – beispielsweise als B. B. King, der mit seiner Band schon im Vorprogramm gespielt hatte, noch einmal zurück auf die Bühne kam und mit Bono „When Love Comes To Town“ sang. Nach über 20 Songs – zum Schluß gab’s noch „With Or Without You“ und „40“ – verabschiedeten sich Bono Vox, The Edge und Bassist Adam Clayton einer nach dem anderen und ließen Larry Mullen alleine an den Drums zurück. Der gab den Takt an, und 12000 Menschen sangen mit, bis die Lichter im Saal angingen: „How long to sing this song.“

Nach einem solchen Konzert bleibt die Erkenntnis: Es gibt kaum bessere Live-Bands als U 2. Aber vielleicht sollte Bono ein bißchen sparsamer mit seinen Widmungen umgehen. Denn er läßt keinen aus: Bob Marley kommt ebenso an die Reihe wie Martin Luther King und Billie Holiday. An den musikalischen Qualitäten von U 2 ändert das freilich nichts. Die Gruppe ist über jeden Zweifel erhaben und bietet nach wie vor allerfeinstes Rock-Handwerk.

Diese Tournee war ohne Zweifel das Rock-Ereignis des Jahres im fünften Kontinent. Ende Oktober zog die Band nach Neuseeland und Japan weiter – mehr als eine halbe Million glücklicher Australier blieben zurück.