Whitesnake


Schade, wir hätten es den überaus ehrgeizigen David Coverdale, John Lord, Ian Paice & Co. gegönnt, die Tournee mit AC/DC durchzustehen! Aber gegen Unfälle ist man nicht gefeit. Und Davids Knie ist wirklich kaputt. Die berühmten Purple-Leute als Support-Act. Haben Whitesnake das nötig? Nein. Sie hätten sich auch wieder Deep Purple nennen können, aber sie wollten es noch einmal echt wissen ...

Daß Jon Lord, Tan Paice und David Coverdale einst noch einmal zu einem Neubeginn rüsten müßten, wer hätte das anno ’74 gedacht? Just vor Jahreswechsel, im Dezember 1973, hatten sich die Mitbegründer der europäischen Hard Rock-Tradition (LP: DEEP PURPLE IN ROCK, 1970), mit David Coverdale (Vocals) für Ian Giliian und Glenn Hughes (Bass,Vocals) für Roger Glover, im großen Stile auf die Szene zurückgemeldet. Die steile Karriere fand eine (iast) nahtlose Fortsetzung mit den Alben BURN und STORM-BR1NGER (beide 1974), bis, nach Ritchie Blackrnore’s Ausstieg, das Interesse am Wirken der Band merklich abzuflauen begann. COME TASTE THE BAND (1975), mit dem später verstorbenen Gitarristen Tommy Bolin, dokumentierte dann auch akustisch nachvollziehbar die seit Monaten, vielleicht gar Jahren schwelenden Unstimmigkeiten innerhalb der Gruppe. Der Split kam 1976.

Wahrend Ritchie Blackmore mit seiner Formation Rainbow längst wieder erfolgreich seine maßlose Ex zentrik in immer wiederkehrenden Klischees pflegte, versuchen sich die anderen Ex-Purples aui dem sicheren Polster finanzieller Unabhängigkeit, auf anderen, für sie neuen Wegen. Am konsequentesten tal dies ohne Zweifel Hughes mit seiner weißen, hart-herben Soul-Variante (PLAY MEON, 1977). Lord and Paice gründeten mit dem Sänger- und Saufer-Freak Tony Ashton PAL (LP: MALICE IN WONDERLAND. 1976); mit dabei Gitarrist Bemie Marsden. Und Coverdale ging, Bläser- und Backgroundorchor (weiblich!) verstärkt, solo. WHITESNAKE taufte er den 77 veröffentlichen Erstling, kommerziell eher eine Niete, wie auch die Arbeiten von Lord, Paice und Hughes. Dies nur nebenbei bemerkt. Nach einer weiteren, diesmal hochgelobten Platte (NORTHW1NDS), erkannte Coverdale die Notwendigkeit, seine Aktivitäten wieder vom Studio auf die Bühne zu verlegen, sprich eine Live-Band zu gründen. Whitesnake taufte er das Baby.

Die weiteren Stationen Whitesnake’s im Zeitraffer: 1977 Veröffentlichung der EP SNAKE BITE mit – neben Coverdale – Micky Moody und Bernie Marsden (Gitarren), Bassist Neil Murray und Dave Dowle (Schlagzeug). Einen festen Keyboarder (u. a. Pete Solley) hatte die Band nicht, bevor das Management (nicht ohne Stolz und Sinn für Dramatik) den Einstieg von Jon Lord bekanntgegen konnte. Das erste gemeinsame Album TROUELE (1978) erschien, gefolgt von LOVEHUNTER (1979) mit seinem absolut dämlichen Cover. Und dann hatte, rechtzeitig zur 79er Ausgabe des Reading Festivals, das Management einen neuerlichen großen Auftritt (s. o.): diesmal konnte man die Rückkehr des Purple-Schlaqzeugers Ian Paice vermelden. Paice dazu: „Ich war das letzte, noch fehlende Teilchen eines großen Puzzles.“

Es wäre nun einfach, vielleicht sogar legitim gewesen, den etablierten und noch immer gut klingenden Namen Deep Purple wieder aus dem Ärmel zu ziehen, als zusätzliche Trumpfkarte, die ohne Zweifel gestochen hatte. Doch da war der Reiz, die große Aufgabe, die viele als Snobismus, gar falsche Eitelkeit interpretieren, „es in zweites Mal zu packen“. (Paice). Diesmal aller dings, so räumt lan ein, nicht, „weil man es mußte, um sich eine Karriere aufzubauen, sondern weil man es schlicht wollte.“ Und er meint die weltweite Anerkennung von Whitesnake als eigenständige Gruppe, nicht als Deep Purple-Plagiat. Die ersten Sprossen nach oben sind erklommen. Im Heimatland England, wie auch in Japan, zählt man sie längst wieder zu den Großen. Erste Chartserfolge liegen bereits über ein Jahr zurück; spätestens mit dem aktuellen Live-Doppelalbum LIVE – IN THE HEART OF THE CITY setzen sich Whitesnake wieder in den LP-Hillisten fest. Und im Pop-Poll des Melody Makers nimmt man einen Platz unter den ersten zehn ein. Nun gilt es auf’s Neue, die Staaten und den europäischen Kontinent zu erobern: In den Vorprogrammen von Jethro Tüll (USA) und AC DC (BRD) – ‚Nachwuchsförderung‘ für 30-40jährige, die im Vorprogramm der wildgewordenen, australischen Schulbuben, all die Schikanen und Probleme einer Support-Band akzeptieren mußten. Die späte, konzentrierte Rache aller ehemaligen Purple-Vorgruppen?

lan Paice: „Du hast recht, das ist alles nicht ganz einfach. Wenn aber Whitesnake wieder top werden sollen, muß das auch echt verdient sein. Ok – wenn wir das also dafür hier auf uns nehmen müssen, dann tun wir es. Wir können ja nicht aufgrund unserer glorreichen Vergangenheit auf Begünstigungen hoflen.“ Und wenn auch das Publikum nicht ihr Publikum ist (Moody: „Zu uns kommen die 13-37 jährigen!“), akzeptiert wird Whitesnake allemal. Denn als die britische Musikpresse im Frühsommer des Jahres zur Heavy Metal-Revival blies, das Reading-Festival trend- und marktgerecht zur Headbanger-Nation ausgerufen wurde, fanden sich Whitesnake (neben Gillan und Gallagher) als absolute Headlinerauf der Bühne. Whitesnake eine Heavy Metal-Band?! lan Paice: „Damit haben wir absolut nichts am Hut. Ok, es gibt sie, die Heavy-Metdl-Revival, aber wir sind kein Teil von ihr.“ Und Micky Moody ergänzt: „Heavy Metallst m einem Jahr tot, aber Whitesnake wird es weitergeben. Was Whitesnake unterscheidet von all den zahllosen Newcomern an der Brutalofront ist ihre Tradition, ihre grundsätzliche stilistische Offenheit, die Diüerenziertheit. Und selbst wenn ein strikt einzuhaltender Zeitplan der Band im Vorprogramm 45 Minuten gestattet und das Publikum vorzugsweise Lautes, Hartes, Gleichförmiges erwartet, nehmen sie sich die Freiheit zu einem Slow-Blues, einem Bottlenecksolo und einem Instrumental- Boogie mit kurzen Klassikzitaten von Ion Lord. Moody: „Wir konnlen auch 45 Minuten lang Headbangmg Music bnngen. Aber dann klagen wir wie viele andere Bands auch. Zudem wären wir das nicht. Wir verkaufen etwas anderes.“ Das Andere erklärt sich aus den verschiedenen Backgrounds der einzelnen Musiker, an deren Verschmelzung man noch immer arbeitet: Jon, der Klassiker, Neil, der Jazz-Rocker (u. a. bei Colosseum II), Bernie, der Rocker . .. Mickey: „Unsere große Gemeinsamkeit finden wir in der Liebe zum Blues, zu John Mayall, den Bluesbreakers mit Eric Clapton.“

Das ansonsten recht demokratisch geführte Sextett, daß auch visuell recht geschlossen-sympathisch wirkt, hat in Herrn Coverdale einen brauchbaren Sänger, dessen frühe Soulstudien via Platten auch Früchte getragen haben. Nur hat der Junge, der anno 73, nachdem er die Brille vom ersten Purple-Pressefoto eingemottet hatte, pauspackig wie die schüchtern-männliche Antwort auf die lächelnde Mona Lisa wirkte, ein Problem mit der Erfüllung des banalen Rock-Star-Klischees, das, als Wein, Weib und Gesang, sogar lange Tradition hat. Sein Staqe-Act reizt Feministinnen, so wie er kleine Jungs vom Mackertum träumen läßt und unerfahrene Mädchen in feuchte Träume stürzt. Das Mikrostativ man kennt es – wird zweckentfremdet (-erweitert?) zu einem rostfrei-metallisch glänzenden, ausziehbaren, wenn auch äußerst dünnen Phallus. Die auf Ekstase getrimmten Schreie untermalen die permanente Masturbationssituation, unterbrochen von den in Texte umgesetzten Erfahrungswerten eines ‚Sex-Maniacs‘ (einer aus dem Tourneetroß). Eine paar (kurze) Leseproben:“l’ve spent close on sixteen years watching your pretty flower grow/little girl, now tell me everything you know… („Love Man“). Und es folgen die bekannt-eindeutigen Bilder um Vöglein und Bienen. „She’s got everything I need“, singt Coverdale in ‚She’s A Woman‘. Womit sie die Natur reichlich ausgestattet hat, kann man sich denken. ‚Ready An‘ Willing‘ ist ein weiteres Beispiel (vom gleichen Album): „Rope an ‚ride me baby, do me wrong/Roll me over, make me bleed/I’d dance with the devil to get what I need“.

Den Rest ersparen wir uns. Die Frage an David Coverdale, ob er, neben seinem Lob als Texter, Komponist, Sänger und Performer, sich in erster Linie als Schwanzträger verstanden wissen will, konnte bei dieser Gelegenheit leider nicht gestellt werden. Schon auf der Bühne wirkte der Frontman müde und angekämpft. Und seine sonst so kraftvoll ins Publikum gedonnerte Ankündigung von ‚Love Hunter‘ transportierte diesmal kaum die Hoffnung auf das Überstehen eines Zungenkusses, von Petting nicht zu reden. „Mein Körper reagierte nicht so, wie ich es wollte“, ärgerte sich David selbst am meisten über seine Schlaffheit, zog sich zurück mit der Entschuldigung: „Ich wäre heute kein guter Gesprächspartner. Ich habe die Vorteile eines freien Tages ausnutzen wollen und habe mich letzte Nacht wie ein verdammter Amateur benommen“. Die Frankfurter Nachtschwärmer wissen möglicherweise, was David damit andeuten wollte.

lan, Micky und Bernie wittern ob meiner deutlichen, später an sie gerichteten Fragen, meine (mögliche) Motivation, Herrn Coverdale (29) aus seiner Unreife einen Strick drehen zu wollen. „Da steckt doch ’ne Menge Humor drin“, versuchen sie unisono abzuwerten. Und: „So fühlt er doch wirklich nicht.“

P. S.: Drei Tage nach dem Frankfurter Konzert mußte Whitesnake die Tournee mit AC/DC abbrechen. David Coverdale zog sich eine Bänderdehnung im Knie zu und bekam einen Gips verpaßt. Nun pflegt ihn seine Frau liebevoll, damit er auf den nächsten Tourneen wieder fit ist.