Interview

Mykki Blanco: „In einem belgischen Supermarkt wurde ich angebrüllt: ,Geh in dein Land zurück!´“


In diesem Interview spricht Mykki Blanco über das Thema Diskriminierung. Mykki Blanco ist konfrontativ, schwarz, schwul, halb-jüdisch, HIV positiv – und möchte ein Mainstream-Star werden. In einer besseren Welt.

So wie es aussieht, hasst Mykki nicht nur Zuschreibungen, sondern auch (Interview-)Termine. Denn während er fröhlich Bilder auf Instagram postet, ignoriert sie unser Interview-Date auf Skype. Also hören wir noch mal sein/ihr neues Album MYKKI, das mit jedem Ton sagt: „Szene? Ich will Mainstream werden – der verdammte erste schwule Rapper im Mainstream!“ Dann klingelt unser Handy.

ME: Es scheint, als wäre Mykki dein persönlichstes Album …
Ja, stimmt. Es ist zwar sehr tanzbar, aber auch das erste Mal, dass ich in den Songs ganz persönlich über mich rede. Eigentlich nur über mich rede. Wie zum Beispiel in „You Don’t Know Me“. Es gibt da draußen diese Wahrnehmung von Mykki Blanco als den Mittelpunkt jeder Party, als Tänzer, in Ekstase – aber all das macht keinen ganzen Menschen aus. Der Song handelt auch davon, wie es für mich war, mich als HIV-positiv zu outen, und das in dieser engstirnigen Musikindustrie.

Welche Auswirkungen hatte das Outing für dich?
Plötzlich redeten alle darüber. Sogar das „Time Magazine“ berichtete. Ich bekam tatsächlich eine Menge Zuspruch. Menschen sagten mir, dass es ihnen Kraft gibt, zu sehen, dass ich trotz allem gesund leben kann. Aber nicht alle wollten weiterhin mit mir arbeiten, mich unterstützen oder einfach nur mit mir assoziiert werden. Es ist traurig, aber im Grunde habe ich davon profitiert, weil ich jetzt weiß, mit wem ich zusammenarbeiten sollte, und mit wem nicht.

„Ich war an einem Punkt, an dem ich den Glauben an das, was ich mache, verloren hatte.“

Dabei hätte es dieses Album gar nicht geben sollen. Du hattest dich entschieden, keine Musik mehr zu machen. Bis Woodkid, den du mal in einem Hotel in Irland kennenlerntest, dir eine E-Mail geschrieben hat.
Ich war an einem Punkt, an dem ich den Glauben an das, was ich mache, verloren hatte. All die Homophobie in der Branche, die Intoleranz und schließlich der Ärger darüber, dass was und wer man ist, die eigene Arbeit daran hindert, so erfolgreich zu sein, wie sie sein sollte. Dazu kamen Probleme mit meinem alten Management. Ich war gezwungen, unendlich viele Konzerte zu spielen, um Geld zu verdienen. Deshalb hatte ich keine Zeit für Neues. Weil ich nichts Neues rausgebracht habe, habe ich wiederum weniger Tickets verkauft. Ein Teufelskreis. Aber man kommt, wenn man einmal in diesen Verträgen drinsteckt, fast nicht wieder raus. Dann hat sich Woodkid bei mir gemeldet und gesagt: „Mit dem, was du kannst, darfst du jetzt nicht aufhören.“ Das hat geholfen. Manchmal braucht man einfach jemanden, der an dich glaubt. Wir haben uns getroffen und am Ende hat er die Hälfte von MYKKI produziert.

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Auf der Single „High School Never Ends“ singt er auch. Das Video dazu hast du mit dem Regisseur Matt Lambert in Brandenburg gedreht: Ein Nazi-Junge verliebt sich in eine geflüchtete Transgender-Frau. Ein starkes Video. Man hat jedoch das leicht beklemmende Gefühl, dass es im wahren Leben solche Szenen niemals zu sehen gibt …
Dass man etwas nicht sieht, heißt ja nicht, dass es nicht passiert. Diese Menschen haben zuerst einmal so gut wie keine Gemeinsamkeiten – und trotzdem: Genau so etwas passiert! Und es war wichtig, dass wir das mal gezeigt haben.

„Europa hat sich verändert, die Menschen sind rassistischer geworden.“

Du hast einmal gesagt, dass deine Arbeit in Europa mehr Akzeptanz findet als in den USA. Weil Europa toleranter sei. Ist das heute noch so?
Europa hat sich verändert. Ich habe häufig das Gefühl, dass die Menschen sich mir gegenüber aufgeschlossener verhalten, sobald sie merken, dass ich US-Amerikaner bin und kein afrikanischer Flüchtling. In Belgien wurde ich in einem Supermarkt angebrüllt: „Go back to your country!“ Die Menschen sind rassistischer geworden.
Oder sie zeigen ihren Rassismus offener. Mit allem, was auch gerade in den Staaten passiert – Dallas, Orlando, Trump – was für ein Gefühl beschleicht dich, wenn du an „Zuhause“ denkst?

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Michael David Quattlebaum Jr. in seiner Rolle als Mykki Blanco. High Octane!

Da, wo meine Mutter wohnt (North Carolina – Anm. d. Red.), wird immer irgendwie mein Zuhause sein, klar, aber Mykki Blanco ist eine globale Persönlichkeit. Ich kann mich auf der ganzen Welt zu Hause fühlen. Als ich hier in Sardinien ankam, war ich die ersten zwei Tage nicht am Strand, ich war einfach nur im Hotel. Ich bin dort zu Hause, wo ich meine E-Mails checken kann. Da, wo ich meine Ruhe finden kann – unabhängig von all dem Wahnsinn, der gerade passiert.

Du bist noch nicht ausgegangen? Aber es heißt, du seist eine Partykönigin. Auf einer „Art Basel“-Party sollst du 2014 Klaus Biesenbach, dem Direktor des MoMa PS1, ein Sandwich an den Kopf geworfen haben.
Das habe ich gemacht. Ja.

Du sollst danach auf einen Tisch gestiegen sein und erklärt haben: „He doesn’t like black people! He just likes our culture!“ Hat die Kunstszene ein Rassismus-Problem?
Oh ja, das hat sie. Wenn deine Abstammung immer mitbetont wird, und du zu einem anthropologischen Accessoire wirst, statt dass man dich als einen kompletten Künstler schätzt, dann ist das sehr rassistisch.

„Was gibt es denn über Clubs zu reden? Man geht hin und tanzt!“

Dein neues Album ist überaus tanzbar. Hast du Lust, über Clubs zu reden?
Was gibt es denn da zu reden? Man geht hin und tanzt.
Aber ich nehme an, die Clubkultur hat in deinem Leben eine viel wichtigere Rolle gespielt …
In der Jugend, ja. Da ist der Club ein Zufluchtsort, besonders für Menschen aus zerbrochenen Familien. Es ein Ort, um sich abseits der gesellschaftlichen Normen zu entdecken, um Liebe zu entdecken. Liebe, die über die einer Clubfamilie hinaus geht.

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Auf deinem neuen Album singst du davon, wie das Club­leben einen zerstören kann.
„The Plug Won’t“ handelt davon, dass der Dealer, also der „Plug“, dich nicht liebt, dich auch nicht so lieben kann, wie du dich lieben solltest. Es ist in der amerikanischen HipHop-Szene gerade so normal, Drogen zu nehmen. Klar, jede Generation hatte ihre Droge. Aber im HipHop ist heute alles so wahllos. Es geht nur noch darum, möglichst viel zu nehmen, sich schnell zu zerstören. Als ich neu in der Szene war, war ich ständig auf Ecstasy. Ganze Wochenenden sind so für mich zerflossen. Aber es macht dich kaputt. Heute, ich bin 30, gehe ich nur noch in Clubs, um zu sehen, was gerade in ist.

Hat sich die Stimmung in der schwulen Clubszene verändert nach dem Nachtclub-Massaker in Orlando?
Es ist eine globale Tragödie. Aber es ist noch zu früh, um zu sagen, ob sich dadurch etwas verändern wird.

Der komplette US-HipHop – egal, ob Jay Z, Nas, Future, Eminem, Nikki Minaj – niemand hat sich öffentlich zu Orlando geäußert. Außer Kid Cudi, der schrieb auf Twitter: In keiner Community setze man sich so wenig für die Schwulenrechte ein wie im HipHop.
Es ist beschämend, dass all diese Künstler nichts dazu gesagt haben. Und ich sage das, obwohl es nicht meine Aufgabe ist, sie öffentlich anzuprangern, aber es ist widerlich. Wirklich.

Du bist Rapper. Das ist dein Job. Nicht Anti-Rassismus-, HIV- oder Schwulenrechte-Beauftragter. Bist du es manchmal leid, dass das trotzdem immer die Themen sind, über die alle mit dir reden wollen?
Ich möchte nicht immer darüber reden, genau. Ich möchte, dass die Menschen zu meinen Shows kommen. Ich möchte sie bewegen, möchte ihnen etwas von meiner Energie abgeben. High Octane! Ich möchte radikal queere Ideen in den Mainstream bringen, um sie normal zu machen. Ich möchte Mainstream sein. Das Wort ist immer negativ behaftet, aber eigentlich heißt es ja nur, dass sehr viele Menschen deine Arbeit schätzen.


Michael David Quattlebaum Jr. wird 1986 im kali­fornischen Orange County geboren. 2010 erfindet er die weibliche Figur Mykki Blanco, die zu seiner Bühnenpersönlichkeit wird. 2012: erste EP, dann Mixtapes, Kooperationen. Auf GAY DOG FOOD (2014) mischt er Rap mit Kathleen Hanna. Mit !K7 gründet er sein Label Dogfood Music, mit dem er „das einseitige Bild von afro-amerikanischer Musik zerstören“ will. 2016 aber will Mykki sich ganz auf sich konzentrieren.