Melt! Festival 2013: Nachbericht (vom Sonntag), Fotos und wenig Schlaf


Schlaf oder Nichtschlaf, das ist hier die Frage: Hier unser Fazit von drei Tagen Melt! Festival, besonders vom Sonntag und von Atoms For Peace und Co.

Nach unseren Nachberichten vom Freitag und Samstag des Melt! Festival 2013 lest Ihr hier unseren großen Rückblick. Fotos von Bands und Publikum inklusive.

Unter all jenen Festivals, die sich im weitesten Sinne dem Segment „Indie“ zuordnen lassen, ist das Melt! in der Eisenstadt Ferropolis bei Gräfenhainichen wohl das lauteste, hedonistischste, schillerndste, hipste, internationalste; das mit dem am hübschesten gekleideten Publikum, den schönsten Mädchen, den mächtigsten Bässen, den längsten Nächten. Vielleicht noch ein paar Superlative mehr? Dann sagen wir doch einfach noch: das kräftezehrendste, das verdrogteste, das, wo sich die ganz Unersättlichen Montag morgen um 7 Uhr mit einem Set von Star-DJane Monika Kruse auf dem „Sleepless Floor“ die letzten Energiereserven aus dem geschundenen Körper ballern lassen und die Toiletten seltsamerweise derart durchgängig besetzt sind, dass manch einer halt einfach ins Pissoir kackt. Ganz kompakt könnte man also sagen: Das Melt! ist das wahrscheinlich am wenigsten Maß haltende Indie-Festival Deutschlands.

Die Wahl zwischen Schlaf oder Nichtschlaf, zwischen Mineralwasser und Wodka-O aus dem improvisierten Tetra-Pak-Umhängetäschchen steht natürlich jedem frei, genauso wie die Auswahl zwischen der Riesenschar an Bands, DJs und Elektronik-Live-Acts, die sich um die monströsen Industriekräne herum auf stolze fünf Bühnen verteilt. Wobei, was heißt da fünf Bühnen: eigentlich wabert hier auch noch aus der kleinsten Imbissbude ein Bass zum Mitschaukeln heraus.

Also, drei Tage Getümmel, drei Tage Sonne, für manche drei Tage wach; wir waren auch dabei, und haben – trotz täglicher Heimfahrt ins plötzlich sehr überschaubar-heimelige Berlin – sogar ein wenig Schlaf abbekommen, dafür aber die bestimmt wundervollen DJ-Sets von Modeselektor & Apparat (die leider nicht als Moderat da waren), Ellen Allien und ja, tatsächlich auch jenes von Monika Kruse verpasst. Es gab aber auch sonst noch sehr viel Umwerfendes zu sehen, in diesem feinen, wenn auch sehr von der elektronischen Musik dominierten Line-Up. Mmh, wo fangen wir denn an? Ganz am Anfang vielleicht? Nee, haben wir ja eigentlich schon erzählt, was da so alles los passiert ist (siehe Nachbericht von Freitag und Samstag), und der Sonntag war viel zu interessant, um ihn nicht noch mal eingehend zu würdigen.

Auf eine angenehme Art und Weise gedämpft ist die allgemeine Stimmung als wir uns vom Campingplatz aus auf den Weg hinüber zum Gelände machen. Der Zeltplatz lichtet sich schon langsam, und auf dem Sträßchen zum Festival, auf dem man besonders am Freitag noch strammen Schrittes, tanzend, hüpfend, hoch euphorisiert gen Ferropolis zog, schlurft man heute eher langsam und leise dahin. Dann sind wir auch schon wieder drin im Gelände, gucken ein wenig zu, wie der trotz Höchsttemperaturen sehr um sein recht kleines Publikum bemühte Ghostpoet mit seiner Band auf der Mainstage schwer am Schwitzen ist; stellen fest, dass wir noch nicht so recht in Stimmung sind, um da jetzt so richtig rein zu finden, und entscheiden uns für: Cola im Pressezentrum. Kostet ja schönerweise nix, kommt nur so komisch schaumig aus dem Gerät herausgeschossen. Mal sehen, was Charli XCX bei 30 Grad im Schatten so auf der Hauptbühne macht.

Auch beim Melt! 2013: Backstreet-Boys-Cover, Schlabberlooks und Musik, die wie ein Schwarm Fische immer wieder die Richtung ändert

Und was macht sie? Sie flucht: „Shit, it´s hot!“, faucht Charlotte Aitchison dem immer noch sehr überschaubaren Publikum entgegen. Das ist in diesem Fall natürlich auch ein wenig Koketterie, denn wie sie da so steht, in ihrem bauchfreien Top, maximal kurzem Karo-Rock und Buffalos, sich immer wieder das schweißnasse schwarze Haar aus dem Gesicht wischt, den Mikrofonständer umgarnt und auf laszivste Weise ihren… nein, pardon, das reicht jetzt. Das sehr gelungene Backstreet-Boys-Cover „I Want It That Way“ (puuh, was hat diese Frau doch für eine tolle Stimme!) nehmen wir noch mit, dann wird´s einfach zu hot, und wir schauen um die Ecke zur Gemini Stage, wo die Owiny Sigoma Band, die mit Thom Yorkes Atoms For Peace unterwegs auf Tour sind, aufspielt. Ganz wunderbar aufspielt! Schön schattig ist es dort unterm Zeltdach; die Band, verstärkt durch zwei kenianische Musiker an den Percussions, kredenzt schön flüssig dahinfließende, unaufdringliche afrikanische Rhythmen, und bewegt sich dabei in Sphären, die auch schon Paul Simon oder Vampire Weekend ausgekundschaftet haben. Sehr schön zum wieder-eingrooven; jetzt darf es gerne wieder mehr von allem sein!

Im Anschluss gleich weiter zum Intro-Zelt, wo DIIV (spricht man „Dive“) gerade brav selber ihr Equipment aufbauen, die Instrumente stimmen, Bier trinken, rauchen. Das dauert alles ziemlich lang, aber als es dann los geht, ist die Hütte sehr voll, und die Stimmung gleich sehr prächtig, denn diese jungen Bürschlein aus New York haben ihre Dreampop- und Krautlektionen (dabei besonders jene von Neu!) geradezu streberhaft gut gelernt: kristallklar perlende Gitarren, stramm-repetitiver Groove, dezente Noiseattacken, Musik zum Augen-zu-machen-und-sehr-beseelt-sein. Macht man die Augen wieder auf, macht es besonders viel Spaß, Frontmann Zachary Cole Smith zu beobachten, der der Begrifflichkeit „Schlabberlook“ eine neue Dimension verpasst: Mit XXXXL-Schlabberjogginghosen, XXXXL-Schlabber-Micky-Maus-T-Shirt und XXXXL-Jeans Weste, die schräg über seinen Kinderkörper hängt, schwoft Smith mit seiner Gitarre als wild kopfkreiselndes Schlabberwesen über die Bühne, fragt das Publikum: „Ist das gut?“, und zischt sein Becks auf Ex weg. Ja, das ist sogar sehr gut! Note 1 mit Stern, lieber Zachary!

Wieder draußen, blickt man auf die Mainstage, wo gerade jemand ganz allein vor einem Riesenpublikum steht, und dunkle Zeilen in sein Mikro rappt. Ach ja, ganz vergessen: Flying Lotus ist ja auch Rapper! Oh, da entschwindet er auch schon wieder, ein riesiger Bildschirm wird auf die Bühne gestellt, ein Pult dahinter platziert, und, Simsalabim, steht der Produzent Flying Lotus auf der Bühne und beschallt uns hinter dem transparenten Bildschirm stehend, mit seinem innovativen und fett bouncenden, aber auch sehr ungreifbar-heterogenen elektronischen Genremix. „I know it´s not techno, but you´re still allowed to dance!“, teilt er uns mit. Ja gern, aber wenn die Musik hier wie ein Schwarm Fische immer wieder die Richtung ändert, ist’s ein bisschen schwer, sich da richtig locker zu machen!

Vielleicht doch lieber etwas mehr Oldschool mit Archive im Intro-Zelt und ihrer formidablen TripHop-Rock-Mixtur. Sehr gute Entscheidung, das: perfekt eingespielte Band, perfekt abgemischter Sound, ausgezeichnete Stimmung im Zelt, und als dann der unverwüstliche Klassiker mit dem netten Titel „Fuck You!“ erklingt, drehen wir alle noch mal richtig schön durch. Eigentlich wollte man sich danach ja ein wenig sammeln und Energie tanken, Thom Yorkes Atoms For Peace sollen ja erst eine halbe Stunde später spielen, aber huch, wer falsettiert denn da so schön? Mist, Konzert vorgeschoben (Everything Everything sind ausgefallen) – also nix wie hin!

Melt! 2013 – warum Thom Yorke und Atoms For Peace auch dort verehrt werden (sollten)

Sehr schön geht sich das eigentlich an, dieser Auftritt von Atoms For Peace, eingeleitet vom AMOK-Opener „Before Your Very Eyes“ und dem bedrohlich dräuenden „Default“, aber man merkt schon auch: Hier sind so ziemlich alle hundemüde – gerade nach Flying Lotus‘ Auftritt! Dann auch noch Soundprobleme beim Yorke-Solo-Stück „Harrowdown Hill“, ein viel zu stramm losmarschierender Techno-Beat aus Nigel Godrichs Laptop, der die Magie des elegischen „Cymbal Rush“ zerstört (war beim Auftritt in München noch nicht so, von daher wohl eine gutgemeinte Idee für´s elektroaffine Melt!-Publikum), und ein Publikum, das einfach nicht mehr in der Lage ist, noch so richtig mitzugehen. Das ist natürlich schade, denn Konzerte leben, klar: von der Dynamik zwischen Künstler und Publikum.

So wirken denn auch Thom Yorkes „Thank You´s“ fast ein wenig beleidigt dahingeknurrt. Da das Teilzeit-Projekt jedoch nichtsdestotrotz in Spiellaune ist, gibt´s doch tatsächlich noch einige Zugaben, die dann auch noch richtig zünden: „Feeling Pulled Apart By Horses“ kommt als herrlich ausufernder Krautrock-Jam daher, beim wunderbar deep aufgespielten UNKLE-Klassiker „Rabbit In Your Headlights“ geht ein überraschtes Raunen durchs Publikum, und beim famosen Song AMOK weiß man wieder ganz genau, warum dieser kleine Brite mit dem Pferdeschwanz von so vielen (dem Schreiber dieser Zeilen eingeschlossen) so wahnsinnig verehrt wird. Dann Abgang, überraschenderweise schwerstes Drängeln nach mehr im Publikum, und tatsächlich: einer ging noch! In grauen Kutten mit Riesenkapuzen kommen Yorke und Flea auf die Bühne (der Rest in normaler Kleidung), kredenzen das schön verspielte, „Kid A“-mäßige „Atoms For Peace“ von Yorkes Soloplatte, also gewissermaßen ihr „Band-Lied“, und noch ein wunderbar luftiges „Black Swan“. Dann: Aus. Ende. Feuerwerk. Schön war´s, Melt! 2013. Wir sehen uns beim Melt! 2014!