Noel Gallagher in der Royal Albert Hall, London


„It’s good to be free“, singt er und spielt dann doch „nur“ Songs seiner alten Band. Die ersten Post-Oasis-Konzerte Gallaghers sind eine Mischung aus Reviermarkierung und Exorzismus.

Seit dem letzten Konzert, das Noel Gallagher in März 2007 in der wohl bekanntesten Konzerthalle Londons spielte, ist viel passiert: Barack Obama wurde US-Präsident, Englands Parlamentsabgeordnete wurden als Teilzeit-Kriminelle entlarvt und Arjen Robben wechselte zum FC Bayern. Aber auch in Gallaghers eigenem Mikrokosmos ist nicht mehr viel, wie es mal war. Erst ließ ihn Jay-Z wie einen veralteten, intoleranten Rocker aussehen. Dann erlitt er bei einem Oasis-Konzert in Kanada Verletzungen, von denen er sich laut Eigenaussage „nie wieder erholen“ wird. Vergangenes Jahr zerfiel schließlich die Band, die er mit seinem Bruder gegründet hatte, unter den ewigen Streitereien zwischen den beiden. Zuletzt machte Noel mit der Meldung, dass er demnächst zum dritten Mal Vater werden würde, positivere Schlagzeilen. Da kamen die Konzerte für den Teenage Cancer Trust, einer Krebshilfe-Organisation zugunsten Jugendlicher, gerade richtig – eine Gelegenheit, den Fokus auf die Musik zu richten und Liam unter Zugzwang zu setzen.

Wie vor drei Jahren ist der Opener auch heute „(It’s Good) To Be Free“. Aber anders als damals schwingt im ansonsten eher müde dahinhumpelnden Song ein wissender Triumph mit – die Fans, das spürt man, stehen hinter Noel. Das Zerwürfniss mit seinem Bruder sei „das Beste, was ihm passieren konnte“, ereifert sich ein Zuschauer neben uns, „er wird der Rockstar werden, der er schon längst sein sollte.“ Aber anstatt die Zukunft einzuläuten, verlässt sich Noel auf Altbekanntes. Für manche ist es zu bekannt (die Setlist ist fast identisch mit der von 2007), aber er baut ein paar subtile falsche Fährten ein, die die Stärken seines Backkatalogs und Liams Abwesenheit betonen.

Der Nordlondoner Crouch-End-Chor ist am Start, ebenso ein achtköpfiges Streicherensemble, und Gem Archer, eigentlich noch bei Oasis (und damit bei Liam) unter Vertrag, steuert geschmackvoll verzerrte Licks bei, die Noels akustisches Geschrammel kontrastieren. Der Großteil der Songs, wie das grandiose, mit greifbarer Sehnsucht vorgetragene „Talk Tonight“ – profitiert von der ballastfreien Herangehensweise, und man merkt, wie sehr sich Oasis auf monolithische Gitarrenwände und Liams hypnotisches Gegreine verlassen hatten. Das Publikum lässt sich nicht anmerken, dass es „our kid“ vermisst, im Gegenteil – als bei „Cast No Shadow“ der Chor einsetzt, liegen sich vor mir schon zwei Männer in den Armen und recken ihre Biergläser gen Bühne.

„Slide Away“, einer der wohl besten Gallagher-Songs überhaupt, erreicht eine bis dato unerreichte emotionale Eloquenz und dient als Soundtrack für hemmungsloses Knutschen bei den Pärchen und haltloses, entrücktes Mitsingen bei den Mod-frisierten Schalträgern im „Don’t know / don’t care“-Teil. Die Stimmung ist zwar losgelassen, aber auch etwas melancholisch, man feiert ab, was war, ohne zu wissen, was als nächstes kommt. Fast schon trotzig scheint da die Entscheidung, „Wonderwall“ UND „Don’t Look Back in Anger“ zu spielen – bei aller Intensität, die Noel in den Gesang legt, wird man das Gefühl nicht los, dass hier ein Kapitel geschlossen wird, dass man sich an Noels entschlackte Versionen (inklusive leicht veränderten Gesangsmelodien erinnern) wird – unabhängig davon, was Liam mit den Songs in Zukunft anstellt. Und so ist es „Listen Up“, die B-Seite zu „Cigarettes & Alcohol“, das den Abend in seiner nostalgischen Aufbruchstimmung zusammenfasst: „No, I don’t mind being on my own“.

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