Interview

Olivia Dean im Interview: „Ich bin eine hoffnungslose Romantikerin“

Die britischen Sängerin und Songwriterin kennt das Geheimnis des Glücks – und verrät dies auch im Interview

Mit ihrem unverwechselbaren Sound begeistert die Musikerin bereits seit der Veröffentlichung ihres Debütalbums MESSY, ja längst gilt sie gar als eine der spannendsten Stimmen ihrer Generation. Im Jahr 2023, als ihre erste LP erschien, ernannte Amazon Music sie zum „Breakthrough Artist of the Year“. Auch BBC Music Introducing krönte sie zur „Künstlerin des Jahres“. Nun steht das nächste Kapitel an: Am 26. September 2025 erscheint ihr zweites Album THE ART OF LOVING. Wir haben mit Olivia Dean über den Entstehungsprozess der Platte, ihren persönlichen Wandel und die vielen Facetten der Liebe gesprochen.

Olivia Dean: Wenn Wohlfühlen zu einer Person wird

Schon beim Betreten der Interview-Location fällt sofort ihre Ausstrahlung auf: Olivia Dean strahlt Ruhe und Gelassenheit aus – eine Aura, die sofort auf ihr Gegenüber überspringt. Man merkt schnell, dass es sich dabei nicht um eine inszenierte Professionalität handelt, sondern um etwas Echtes. Doch, wie sie erzählt, war das nicht immer so. „Diese Gelassenheit habe ich über die Jahre kultiviert“, sagt sie, und ergänzt: „Aber ich war schon immer jemand, der sehr präsent ist, egal, mit wem ich spreche oder was ich tue. Ich glaube, das ist das Geheimnis des Glücks im Leben: Einfach genau dort zu sein, wo man ist, und genau das zu tun, was man tut.“ Nur eine von vielen Lebensweisheiten, die Dean an diesem Tag teilt und die auch ihr neues Album durchziehen. Denn auf THE ART OF LOVING geht es genau um diese Momente. Um die Frage, was es bedeutet, zu lieben, egal ob andere, das Leben oder nicht zuletzt sich selbst.

Für Dean war die Arbeit am zweiten Studioalbum ein zutiefst therapeutischer Prozess. „Es hat viel in mir geheilt, und ich glaube, es hat auch etwas in mir verändert“, erklärt sie nachdenklich. „Ich habe wirklich Wert darauf gelegt, dass es mir Spaß macht. Manchmal ist man so sehr auf das Endprodukt fixiert, dass man gar nicht darüber nachdenkt, ob man die Arbeit daran eigentlich genießt.“ Dieses Mal wollte sie es anders machen – weniger Druck, mehr Freiheit. Zum ersten Mal nahm sie ihre Songs in einem eigenen Studio in East London auf, einem Ort, der für sie Freiheit bedeutet: „Ich hatte Zeit und habe einfach versucht, mich nicht so sehr unter Druck zu setzen. Manche Leute arbeiten gut unter Druck, aber ich nicht. Ich breche unter Druck zusammen.“

Neue Atmosphäre bringt neue Gefühle

Die Atmosphäre im Studio ermöglichte es ihr, sich intensiver mit ihren Gefühlen auseinanderzusetzen. „Da muss man sich wohlfühlen“, sagt sie schlicht, und genau dieses Wohlfühlen ist es, das sie brauchte, um Songs zu schreiben, die tief in ihr Innerstes blicken lassen. Anders als beim Debüt MESSY, das noch von einer gewissen Perfektion geprägt war, präsentiert THE ART OF LOVING eine Olivia Dean, die loslässt, sich traut und Neues ausprobiert. „Mit diesem Album bin ich einfach besser geworden. Die Texte sind bewusster geschrieben, meine Einstellung war anders. Ich wollte vielleicht kein poppiges Album machen, sondern etwas mit mehr Up-Tempo-Songs und einfach ein bisschen mehr Spaß haben.“

Und das hört man. Während MESSY oftmals melancholische Stimmungen transportierte, überwiegt auf THE ART OF LOVING eine Leichtigkeit, die Lust auf Tanzen macht. Dennoch gibt es Songs, die tief in verletzliche Gefühlswelten eintauchen. Einer davon ist „Loud“, für Dean einer der intimsten Momente der Platte. Der Song handelt vom bleibenden Eindruck, den ein Mensch hinterlässt und vom plötzlichen Verschwinden dieser Person, das nur Leere zurücklässt. „Das Gesangsband, das wir verwendet haben, war im Grunde eine Live-Aufnahme, die ich mit dem Streichorchester aufgenommen habe“, erzählt sie stolz. Diese rohe Emotionalität dieser Session hört man in jeder Note.

Zwischen Leichtigkeit und Verletzlichkeit

Das Gegenstück dazu bildet der Track „So Easy to Fall in Love“. Statt Schmerz feiert er die Selbstliebe. Er dient nahezu als Hymne auf Selbstwert und den Mut, sich selbst als etwas Besonderes zu sehen. „Ich finde, wenn du dich selbst als etwas Besonderes siehst, macht dich das nicht zu einem Narzissten. Ich glaube, es sorgt einfach dafür, dass die richtigen Dinge in dein Leben kommen und nicht Dinge, von denen du denkst, dass sie da sein sollten.“ Damit verbunden ist auch ihr Glaube an das richtige Timing: „Ich glaube, je mehr man sich nach etwas sehnt und danach sucht, desto mehr verschließt man sich anderen Dingen, die in dein Leben treten könnten. Und ja, wenn es so sein soll, wird es dich finden.“

Diese beiden Pole, Leichtigkeit und Verletzlichkeit, durchziehen das gesamte Album. Viele Songs tragen eine positive Grundstimmung, doch Dean betont, dass ihr besonders inhaltliche Tiefe wichtig sei. „Es ist wie ein instinktives Gefühl: Wenn mich eine Zeile in einem Song, den ich geschrieben habe, zum Weinen bringt, dann denke ich: Ja, das sind die Songs, die mich interessieren.“ Oberflächliche Aufnahmen, sagt sie, hätten für sie keinen Wert. „Es bringt mir nichts, etwas zu veröffentlichen, das mich nicht berührt.“ Verletzlichkeit, so erklärt sie, spiele für sie eine zentrale Rolle. „Du weißt doch, wie manche Leute dieses Gefühl im Bauch lieben, diesen Nervenkitzel, oder vielleicht auch das Gefühl, dass sie sterben könnten. So in etwa. Es ist der Nervenkitzel.“

Inhaltlich stützt sich THE ART OF LOVING auf zwei Inspirationsquellen – Autorin bell hooks und die passende Ausstellung „All About Love” der Künstlerin Mickalene Thomas. Vor allem die Bedeutung weiblicher Freundschaften, rückte für sie dabei in den Mittelpunkt: „Alles, wonach ich gesucht habe, war entweder in mir selbst oder in meinen Freundschaften zu finden. Freundschaft und romantische Liebe sind etwas, an dem man kontinuierlich arbeiten muss. Liebe sollte als Fähigkeit betrachtet werden.“ Dass sie dieses Thema so konsequent ins Zentrum ihres Albums rückt, ist für Olivia Dean nur logisch. „Ich habe mich schon immer für Liebe interessiert – ich bin einfach eine hoffnungslose Romantikerin“, gesteht sie.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Musik und Liebe als Fallstudie

Der Arbeitsprozess am Album hatte für sie fast den Charakter einer wissenschaftlichen Fallstudie. „Ich werde recherchieren, ich werde die Songs schreiben, und am Ende der acht Wochen im Haus werde ich das, was ich entdeckt habe, zu einem Album zusammenfassen.“ Spannend: Der Titel THE ART OF LOVING stand schon fest, bevor die Songs überhaupt existierten. Ein Konzept, das sich dann nach und nach mit Leben füllte. Am Ende bleibt die Frage, wie man diese „Kunst des Liebens“ im Alltag umsetzen kann. Die Musikerin hat dafür einen klaren Rat: „Ich denke, ein guter Anfang ist, einfach mit sich selbst im Reinen zu sein. Also ohne Partner. Dein Leben ist erfüllend und freudvoll, du hast Hobbys und Freunde und all diese Dinge. Und dann kann dein Partner einfach dieses tolle zusätzliche Stück sein.“

Genau das möchte sie auch mit ihrer Musik vermitteln. Ihr Wunsch: Dass sich die Menschen nach dem ersten Hören von THE ART OF LOVING warm fühlen und dass es in ihnen den Wunsch weckt, andere besser zu verstehen, sich selbst zu reflektieren und vielleicht auch die Menschen um sie herum bewusster wahrzunehmen. Für Olivia Dean ist Musik mehr als nur Beruf: Sie ist ein Lebensweg, ein Spiegel für Gefühle, eine Übung in Liebe und Selbstentdeckung, ein Raum für Verletzlichkeit und Freude zugleich.