Album der Woche

Tristan Brusch

AM ANFANG

Wasser und Licht/Sony (VÖ: 24.10.)

Viele verschiedene Tristans singen Chansons zwischen Welterklärung und Traumaverarbeitung.

Dass das Ich in seinen Texten ein literarisches ist, das macht Tristan Brusch gleich im ersten Satz von AM ANFANG klar: „Mach dir um mich bloß keine Sorgen, Tristan“, schlüpft Brusch singend in die dritte Person – und von da an geht es wild hin und her zwischen den verschiedenen Rollen, zwischen Kindheitserinnerungen und ihrer vermeintlichen Authentizität, zwischen Welterklärung und Traumaverarbeitung, zwischen der verhuschten Düsternis von Chris Isaaks „Wicked Game“, dem selbstgefälligen Pathos eines Klaus Hoffmann und dem existentiell verzweifelten Humor von Jacques Brel.

Der ist offensichtlich, wenn er sich direkt auf Unheiligs beliebten Bestattungsschlager „Geboren um zu leben“ bezieht, aber sein Song „Geboren um zu sterben“ dann eben doch mehr als Plattitüden zu bieten hat. Der stete Rollenwechsel ist nicht zuletzt auch eine Absicherung, denn so kann Brusch dort hingehen, wo es weh tut – im wahrsten Sinne. Er kann es wagen, in „Danke, dass du nicht aufhörst mich zu lieben“ – und wer traut sich das schon – hinabzusteigen in die psychischen Abgründe des Täters in einer toxischen Beziehung: „Ich kann nicht aufhören dir weh zu tun.“

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Brusch ist liebevoll, dann wieder bösartig, er ist viele verschiedene Tristans, und das ist irritierend, nicht selten auch schmerzhaft. So sehr die Perspektiven wechseln, so sehr hat Brusch auf diesem, seinem vierten deutschsprachigen Album (wenn man die Songs für die „Woyzeck“-Inszenierung von Ersan Montag am Berliner Ensemble nicht mitzählt), das mit Produzent Olaf Opal in nur vier Tagen eingespielt wurde, seine Stimme, seinen Sound gefunden, hat sich verabschiedet von musikalischen Experimenten und singt sparsam instrumentierte, warme Chansons, die oszillieren zwischen Bitternis und Optimismus, Melancholie und Galgenhumor. Oder, wie es Brusch in „Am Ende“ selbst formuliert: „Eine ganze Welt zwischen uns zweien passt in dieses Lied hinein.“

Diese Review erschien zuerst im Musikexpress 11/2025.