In den Klauen des Molochs: Genesis kämpfen mit ihrer Technik


MIAMI. Lag es am genüßlich fett über dem „Joe Robbie Stadium“ hängenden Vollmond? Oder hatte gar das Hirn der acht Millionen Mark teuren Jumbotron“-Videoapparatur (wie Computerkollege HAL im SF-Klassiker ,.2001″) gegen den Hi-Tech-Overkill rebelliert? Bei der Generalprobe in Texas funktionierte das bühneniechnische Wunderwerk reibungslos; in Miami jedoch spielt das japanische Jumbotron-System toter Gorilla. Wie die Fördertürme eines stillgelegten Kohlebergwerkes ragen die Türme mit den Laufbändern für die Videokameras ins blasse Mondlicht.

Ohne die Technik freilich geht gar nichts. Denn nur von der Musik allein könnte sich Genesis“ neue Stadientournee kaum über Wasser halten. Der großzügige Ausschank von Budweiser hält zumindest die rund 45000 Fans gut abgefüllt bei Laune, während man 85 Minuten lang auf das Mitwirken des Computer-Gottes wartet…

Als die Drei (unterstützt von Drummer Chester Thompson und Gitarrist Daryl Stuermer) dann mii „Land Of Confusion“ und „No Son Of Mine“ das Konzert eröffnen, hängt Collins der Techno-Frust wie ein nasser Waschlappen im Gesicht. Und in der Stimme. Und so erleben denn die Zuschauer einen (wohl unaeplanten) rauhbeinig mitreißenden, weil grummelig spontanen Auftakt.

Nach einem Medley mit Songs der Peter Gabriel-Ära („The Lamb Lies Down On Broadway“, „Supper’s Ready“) kündigt sich Trouble im Paradies an. Die genial-gigantische Bühnentechnik mit der dreiteilig ausfahrbaren Videoleinwand ist das perfekte Spielzeug für eine Stadien-Tournee. Die den Fans (noch) unvertrauten Songs des aktuellen Albums sind es nicht. Und so hängt der Superbiidschirm wie King Kong am Empire State Building über den Köpfen der Musiker, die das Monster mit Songs wie „Fading Away“ oder „Dreaming While You Sleep“ zunächst vergeblich attackieren. Die thematisch auf die Songtexte abgestimmten Videobilder sind fürwahr beeindruckend. Wenn etwa zu „Domino“ gewaltige Dominosteine herumwirbeln. Oder wenn zu dem düsteren „Home By The Sea“ Edward Munchs Gemälde „Der Schrei“ sich aufzulösen und wieder zusammenzufugen beginnt. Ein Ausfall ist keiner der 16 Songs (plus einem grandiosen Drumsolo), die Genesis an diesem Abend aus dem Ärmel ziehen. Trotzdem vermeint man einen kleinen renitenten Teufel im Ohr flüstern zu hören: Ist das wirklich live? Oder ist alles auf „automatischer Pilot“ geschaltet?

Klar, Collins ist der geborenen Frontmann, der mit ironischen Bemerkungen („Sitzt meine Frisur auch richtig?“) dietechnische Kühle aufbrechen kann. Und Kevboarder Tonv Banks sowie Gitarrist Mike Rutherford sind viel zu detailverliebt, um als Rock-Roboter abgetan zu werden. Trotzdem scheint gerade der (technisch perfekt inszenierte) Mittelteil des 180 Minuten-Show merkwürdig steril und unpersönlich.

Erst der zum Finale präsentierte flotte Dreier mit den Hits ,.l Can’t Dance“, „Tonight. Tonight, Tonighf und „Invisible Touch“‚ bringt die bis dato eher müden Zuschauer in Miami auf die Beine. Die freilich konnten sich glücklich schätzen. Am folgenden Abend im benachbarten Tampa brach Rauhkehlchen Collins vor 40.00(1 Zuschauern das Konzert nach zwei Songs ab: Er verspürte ein Kratzen im Hals. Das Jumbotron jedoch funktionierte dieses Mal problemlos. Verkehrte Rock „n‘ Roll-Welt.