King Of Plopp: Michael Jacksons Fehlzündung


MÜNCHEN. Drei Stunden vor Zündung der .,Dangerous“-Tourrakete steigen 30.000 Luftballons mit Grußkarten an die Kinder dieser Welt aus dem Münchner Olympiastadion auf. Die Show wird diesem Beispiel folgen: abgehoben, kunterbunt, prall gefüllt mit nichts als heißer Luft. „Dangerous“ kommt sie allenfalls der Münchner Flugsicherungsbehörde vor, die den Luftraum über der Innenstadt wegen BallonÜberfüllung vorsorglich sperrte.

Als um kurz vor halb zwölf die obligatorische Durchsage „Michael Jackson hat das Stadion verlassen“ erschallt, schauen sich nicht nur 3000 Journalisten aus aller Welt in die verdutzten Gesichter. Auch ein Großteil der „zahlenden“ 70.000 hatte für sein Geld wohl etwas mehr erwartet als nur eine Kinderhand voll (zum Großteil von der „Bad“-Tour schon bekannten) „Special effects“, gepaart mit Jacksons Zappel-Tanz, wie immer makel- bis schwere-los, aber in jedem Videoclip beeindruckender als auf 100 Meter Stadion-Sichtweite. Freunde des technisch ausgefuchsten Simsalabims kommen während der Show nur selten auf ihre Kosten: Zu Beginn wird Michael mit einer Explosion als Springteufel aus der Bühnenhölle emporgeschossen, um acht Songs später von den Flügeln eines herabgeschwebten Engels wieder eingefangen zu werden. Bumm, Krach, Plopp auch bei „Thriller“: Nach einem Tänzchen mit Marionetten-Sensenmännern (blaß im Vergleich zu den Lämpchen-Zombies der ,.Bad“-Touf) „beamt“ sich Michael Böller-gestützt auf eine höhere Ebene der Hydraulik-Bühne.

Jackson, 34. wechselte vor Jahresfrist das Berater-Team, um seine Karriere fortan selbst in die Hand zu nehmen. Wenn er dabei dann den Mund zu voll nimmt und seine Live-Produktion als „Greatest show on earth“ bejubelt, darf man ihm dennoch nicht böse sein, denn hinter „Dangerous“ steckt immerhin eine Idee. Die Idee nämlich, er könne sich nach und nach aus den Klauen des Technologie-Overkills lösen, um das Augenmerk der Konzertgänger wieder auf ihn selbst, den Tänzer, Sänger und Entertainer zu lenken. Daß Michael exakt an diesem Anspruch scheitern muß, wird ihm selbst klar, als er das Publikum fragt: „Darf ich ein wenig zu euch runterkommen ?“ Michael stockt nach zwei Stufen Richtung Bühnen-Vorbau, blickt auf den kopfschüttelnden Security-Boß und bricht prompt den Versuch „ran an den Fan“ ab. Und bleibt bei seinen Leisten: Der perfekte Moonwalk bei „Billy Jean“, der (handschuhgeschutzte) Griff an das Korperteil, von dem er weiß, daß es andere Männer zur Fortpflanzung benutzen („Beat It“), oder der finale Gänsemarsch mit einer Münchner Kinderschar um eine riesige, aufgeblasene Weltkugel („HealThe World“).

Auch als Sänger bleibt Michael ganz der Kleine mit den nassen Haaren: Die ersten fünf Songs rutscht ihm das Bügel-Mikrofon ständig übers Kinn, es pfeift und quietscht alles, nur nicht seine Stimme. Einzig hörbar sind die berühmten Jackson-Kieckser, doch die werden zumeist vom Synclavier-Computer eingespielt.

Nach knapp zwei Stunden fliegt Michael (genauer: sein Double) mittels Raketen-Rucksack von der Bühne, auf der er sein eigenes Denkmal zuvor ein Stück weit demontiert hat. Ein Mythos beginnt zu schmelzen. Erst wenn am Schluß keine Pfütze bleibt, werden alle die Wahrheit wissen: Michael Jackson gibt es gar nicht.