Juli Neigel


Bei ihren Konzerten stehen aufrechte Rocker in der ersten Reihe - genauso wie die Hausfrau mit fünf Kindern.

In Sibirien erblicken spätere Popstars vergleichsweise selten das Licht der Welt. Und doch steht Jule Neigeis abgelegener Geburtsort Barnaul in der ehemaligen UdSSR in engem Zusammenhang mit ihrer Karriere als Sängerin. Eine Erfolgsstory, die untrennbar mit Jules Band verbunden ist: „Was wir erreicht haben, haben wir nur erreicht, weil wir über all die fahre zusammengehalten haben. Ein Zug, der ganz sicher mit meiner Kindheit in Sibirien zu tun hat. Wer dort nicht den Zusammenhalt sucht, hat keine Chance.“

Die Chance ihres Lebens bietet sich Jule Neigel, als sie 1983 – längst nach Ludwigshafen übersiedelt – den Gitarristen Andreas Schmid-Martelle kennenlernt. Eine Verbindung, aus der sich später die Jule Neigel Band entwickelt. Und damit eine Gruppe, die seit dem Erfolg von „Schatten an der Wand“ (1988) zu den erfolgreichsten deutschen Bands zählt. Mehrere hunderttausend Platten gingen inzwischen über die Ladentische. Wobei sich zwangsläufig die Frage stellt, wer die Käufer sind. Denn mit ihrer Mischung aus Blues, Rock und Ballade – und das auch noch in deutscher Sprache – spricht die Jule Neigel Band kein klar einzugrenzendes Publikum an. Daß sie von der harten Gitarrenfraktion schon mal als Schlagersängerin abgetan wird, läßt Jule kalt: „Von unserer Musik kann jeder halten, was er will. Was zählt, ist allein die Qualität. Und überhaupt: In unseren Konzerten steht der Hardrocker neben der Hausfrau mit fünf Kindern.“

Dabei dürfte es dem Hardrocker allerdings anders ergehen als der Hausfrau. Denn als Mischung aus Gudrun Landgrebe und Sonja Kirchberger beflügelt Jule Neigel nicht nur ihrer starken Stimme wegen die Fantasie der männlichen Konzertbesucher – ein sinnliches Vollweib, das sich manch einer auch anderswo als nur auf der Bühne vorstellen kann. Womit das erotische Objekt der öffentlichen Begierde aber keine nennenswerten Probleme hat: „Träume sind ja wohl noch gestattet. So lange da keiner ungebeten zur Tat schreitet…“

Wem was erlaubt ist, darüber schweigt Frau Neigel sich freilich aus und offeriert statt einer Antwort schon lieber einen frischen Sushi-Happen – das Fischgericht ist eine ihrer Lieblingsspeisen. Nach dem dritten Bissen ist der 28jährigen immerhin zu entlocken, daß sie Fettsträhnen wie Mickev Rourke aller Berühmtheit zum Trotz weniger ansprechen: „Dann schon eher Cary Grant – der hatte mehr Stil.“ Womit die Chancen zahlloser Lederrocker drastisch sinken dürften. Schweiß duldet die temperamentvolle Sängerin nur dort, wo er hingehört – in der Musik zum Beispiel: „Auf der Bühne lebe ich mich total aus. Da bin ich manchmal wie weggetreten“ – Bambule mit Jule. Ab September ist es wieder soweit. Dann gilt es, die Songs des neuen Albums dem Konzertpublikum vorzustellen. „Herzlich willkommen“ ist die bislang druckvollste LP der Jule Neigel Band. Eine Platte, die den ein oder anderen Fan durchaus verschrecken könnte. Denn zwischen beseelten Balladen frönt die fulminante Frontfrau noch intensiver als bisher fetzigem Rhythm’n’Blues. „Man darf halt nicht stehenbleiben“, kommentiert Jule Neigel den weiteren Schritt nach vorn. Stimmt.