We’ll meet again


Die Nachricht kam nicht völlig überraschend. Doch umso mehr hat derTod von Johnny Cash die Musikwelt aufgewühlt und sie eines ihrer größten Pioniere und legendären Helden beraubt. Ein Blick zurück auf ein außergewöhnliches Leben.

Bedrohlich schimmern die Knarren im grellen Neonlicht: blank poliert, stählern und kalt wie der Tod. Die Wärter lassen die Menschenmenge unten im Saal keinen Moment aus den Augen. Zärtlich, als wären es Babys, halten sie ihre Gewehre im Arm. Heute werden sie sie nicht brauchen. Nicht an diesem 13. Januar 1968, der kein Tag ist wie jeder andere im Staatsgefängnis von Folsom in Kalifornien. Nicht an einem Tag, auf den sich die Männer in den Anstaltsklamotten mehr gefreut haben als auf jeden der seltenen Besuche, mehr als auf die Spiele der 49ers, die sie so gern am Fernseher verfolgen. Ihre Blicke fixieren den schwarz gekleideten Mann auf der Bühne, sie johlen und recken die Fäuste in die Luft.“.Well, Ishotamanin Reno“, singt der da vorne, und das Publikum brüllt vor Begeisterung,“.just to watch him die. „Jubelrufe, Szenenapplaus. Der“.Folsom Prison Blues“. Hier drinnen wissen sie, wovon dieser Typ singt – und sie fühlen: Er ist ein Bruder, ein Seelenverwandter, einer, der mit ein bisschen mehr Pech im Leben an ihrer Stelle sein könnte.

Der Mann in Schwarz heißt Johnny Cash. Er ist 36 Jahre alt und hat – außer sich selbst, beinahe – noch nie einen Menschen getötet. Er wird es auch nie, nur später einmal so tun als ob, in einer Folge der Krimiserie“.Columbo“. Er ist der größte Countrysänger seiner Zeit aber für seine Zuhörer im Folsom Prison ist er in diesem Augenblick viel mehr: ein Spiegel, der sie in ihre eigene Seele blicken lässt, ihnen klarmacht, dass es das Wichtigste ist. nie zu vergessen, wer man ist und woher man kommt. Vielleicht liegt darin das Geheimnis des Johnny Cash: zu zeigen, dass ein Mann aus nichts als Widersprüchen bestehen und diese Widersprüche tatsächlich aushalten kann; dass man Asket und Süchtiger, Gottesfürchtiger und Sünder, Patriot und Rebell sein kann und doch wahrhaftig, aufrichtig, sich selbst treu bleiben. Das – und seine Musik, die von Schmerz erzählt, von Stolz, von Liebe, Glaube und Hoffnung und von Unbeugsamkeit. Viele Jahre später wird er einen Song singen, den er nicht geschrieben hat, der aber für ihn geschrieben scheint:“.You can stand me up at the gates of hell, but I won’t back down.“ Nein, er würde nicht nachgeben, nie, nicht einmal vor den Pforten zur Hölle.

So lebte er, so starb er: Am 12. September 2003 erlag der große alte Mann des Country, seit langem vom Shy-Dager-Syndrom gezeichnet, einer Parkinson ähnlichen Krankheit, 71-jährig im Baptist Hospital von Nashville den Folgen einer schweren Diabetes. Doch muss man kein Romantiker sein, um zu vermuten, die Todesursache könnte sehr wohl auch ein gebrochenes Herz gewesen sein. Denn erst ein paar Monate zuvor, im Mai, war seine Frau June Carter Cash nach einer Herzoperation gestorben, seine Gefährtin, seine Muse, sein Schutzengel, die Liebe seines Lebens.

Dieses Leben begann am 26. Februar 1932 auf einer Farm in Kingsland im US-Bundesstaat Arkansas, wo John R. Cash als eines von sieben Kinder des Ehepaares Ray und Carrie Rivers Cash zur Welt kam. Von frühester Kindheit an arbeitete Johnny auf den Baumwollfeldern der Familie. Ein Knochenjob, aber dass seine Mutter Johnny Gesangsstunden nehmen ließ, dass sie ihm das Gitarrespielen beibrachte, machte ihn erträglicher. Mit irischen Balladen, Gospels und Hank-Williams-Songs begann eine Karriere, die in der populären Musik ihresgleichen suchen sollte. Nach Ende der Schulzeit trampte der junge Johnny auf der Suche nach Arbeit durchs Land, nahm öde Gelegenheitsjobs an und landete schließlich“.wie die meisten Jungs aus den Südstaaten beim Militär, weit es keine bessere Möglichkeit gab, aus den Baumwollfeldern herauszukommen“. Die US Air Force schickte ihn ins bayerische Landsberg am Lech, wo er den Funkverkehr hinter dem Eisernen Vorhang abzuhören hatte. Der Legende zufolge hatte der junge G.l. John R. Cash just am 3. März 1953 Dienst und erfuhr damit als erster Mensch in der westlichen Welt vom Tode Josef Stalins. In seiner Freizeit versuchte er, am Radio „Saturday Night at the Grand Ole Opry hereinzubekommen oder spielte selbst Countrysongs mit seiner ersten Band, den Landsberg Barbarians. Aus dieser Zeit stammt auch die Melodie für das Lied, das erst ein paar Jahre später einen Text erhalten und fortan so etwas wie die Erkennungsmelodie Johnny Cashs werden sollte:“.I Walk The Line“. Nach seiner ehrenhaften Entlassung aus dem Militärdienst am 3. Juli 1954 tat der jetzt 22-Jährige erst mal zwei Dinge: Er heiratete seine Highschool-Liebe Vivian Liberto und formierte mit Luther Perkins IGitarre) und Marshall Grant IBass) das Trio Johnny Cash & The Tennessee Two. Die drei tingelten durch die Clubs und Kneipen und landeten schließlich in Memphis, wo sie dem Produzenten und Besitzer des Sun-Labels auffielen, der sie in sein Studio einlud. Sam Phillips hatte ein Naschen für angehende Stars und erst vor ein paar Wochen die Single“.Thafs All Right, Mama“ aufgenommen – mit einem völlig unbekannten Sänger namens Elvis Presley am Mikrofon.

Cash und Konsorten waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Außer Elvis und Johnny hingen in diesen Tagen auch Jerry Lee Lewis und Carl Perkins, zwei andere junge Wilde, in den Sun-Studios rum. Zusammen probierten die vier, das „Million Dollar Quartet“, wie sie später genannt wurden, eine Mischung aus der Countrymusik der Weißen und dem Blues der Schwarzen, und plötzlich war da etwas Neues, Aufregendes, Unwiderstehliches, ein heißes Ding mit mächtig viel Swing, das irgendwer irgendwann Rockabilly nannte oder auch: Rockn’Roll. Johnny Cash lernte viel, und er lernte schnell. Im Juni 1955 erschien seine erste Sun-Single mit“.Hey Porter“ auf der A- und“.Cry, Cry, Cry“ auf der B-Seite, die sich respektabel verkaufte und ihm den ersten Tantiemenscheck einbrachte: zwei Dollar und 41 Cent. Doch während Elvis bald als Fixstern am Pop-Firmament erstrahlte, Jerry Lee Lewis Klaviere anzündete und Carl Perkins den zuverlässigen, aber nicht eben vom Glück verfolgten Songschreiber gab, ließ Johnny Cash Schlag auf Schlag folgen: „Folsom Prison Blues“ seine zweite Single, landete auf Platz vier der Charts, seine dritte, „I Walk The Line“ [B-Seite: „Get Rhythrn’l. -»

-> schaffte es sogar auf die Spitzenposition. 1957 erschien sein erster Longplayer Johnny cash with his hot and blue guitar!, der bis heute nichts von seiner Grandezza verloren hat. Im Jahr darauf brachte es Cash auf sechs Top-10-Hits, wechselte vom Indie Sun zum Majorlabel Columbia und veröffentlichte seine zweite LP. Auf the fabulous Johnny cash erweiterte er sein Ensemble um Schlagzeuger W.S. Holland, nannte es fortan – logisch – The Tennessee Three. tat einen Schritt in Richtung Pop, ohne dabei angestammtes Rockabillyund Country-Terrain zu verlassen und präsentierte eine Reihe kleiner Geniestreiche. Der Mann aus Arkansas war gerade mal Mitte 20, verheiratet, Vater einer Tochter (Rosannel – drei weitere sollten folgen – und ein amerikanischer Superstar, der von Fernsehshow zu Fernsehshow gereicht wurde, u.a. der landesweit ausgestrahlten“.Ed Sullivan Show“. Zu jener Zeit trat er auch zum ersten Mal in einem Gefängnis auf. Unmittelbarvor der Bühne im Speisesaal des Zuchthauses von San Quentin saß ein Typ, dem man wegen eines bewaffneten Raubüberfalls drei Jahre aufgebrummt hatte. Sein Name: Merle Haggard. Spätere Profession: Countrysänger. Haqgard sagte Jahre danach über dieses Konzert:

..Country interessierte damals keinen Menschen. Fast alle horten Rock n Roll, Blues und Jazz. Doch als die Show vorbei war, gab’s in dem ganzen Laden keinen Typen, der Johnny Cash nicht geliebt hätte.“ So ging es vielen, doch Johnny Cash ruhte sich nicht aus auf seiner Popularität, sondern arbeitete weiter, so rastlos, als müsste er einen Wettlauf gegen die Zeit gewinnen. Mit dem Album JOHNNY CASH SINGS HANK WILLIAMS AND OTHER FAVOrite tunes I1960I zog er seinen Hut vor der in der Neujahrsnacht 1953 verstorbenen Country-Ikone, im gleichen Jahr unternahm er mit ridethistrain eine imaginäre Reise zurück in die Pionierzeit des amerikanischen Westens. 1963 zog Cash ins Greenwich Village, jenen damals ultrahippen New Yorker Stadtteil, in dem sich gerade ein neues Folk-Movement formiert hatte. Ein Jahr später gastierte er beim Newport Folk Festival und lernte dort einen jungen Mann kennen, mit dem er sich auf Anhieb so gut verstand, dass sie wenig später zusammen auf der Bühne standen: Bob Dylan. In dieser Zeit veröffentlichte er auch den Song, der wie kein anderer außer „I Walk The Line“ – auf ewig mit seinem Namen verbunden bleiben wird: „Ring Of Fire“, geschrieben von Merle Kilgore und einer gewissen June Carter. Einveritabler Welthit, doch die Freude währte nicht lange. Die Showbusiness-Tretmühle forderte ihnen Tribut.

Im Oktober 1 965 entdeckte die Polizei von El PasoAmphetamin in Cashs Gitarrenkoffer. Er wurde zu einer 30-tägigen Bewährungsstrafe und 1000 Dollar Geldbuße verurteilt – und raste weiter sehenden Auges Richtung Abgrund. Pillen, Alkohol, Drogen, ein gerade noch so eben lebend überstandener Autounfall, eine beinahe tödliche Überdosis, ein Selbstmordversuch, die Scheidung: das komplette Selbstzerstörungsprogramm. June Carter gehörte zu dieser Zeit schon länger zu Cashs Tour-Tross. Und sie war es, die ihn schließlich von seinem Todestrip herunterbrachte, ihn Gottesfürchtigkeit lehrte und Professionalität – im März 1968 wurde geheiratet. Ein Vierteljahr später erschien der Livemitschnitt des Konzertes im Folsom Prison, von dem Steve Earle spätersagen sollte, es sei das erste Countryalbum gewesen, das er sich von Anfang bis Ende angehört habe. „Seine Musik war mehr o/s die von irgendjemand anderem zugleich Countryund Rock. „Viele Leute sahen das offenbar ähnlich, denn Johnny cash at folsom prison wurde im Jahr darauf ebenso vergoldet wie der etwas schwäww.spiegelchere Nachdreher Johnny cash at san quentin, aufgenommen am 24. Februar 1969, und die so berühmte wie dämliche Single“.A Boy Named Sue“. Johnny Cash war durch die Hölle gegangen, nun stand er wieder auf dem Gipfel: Mit Bob Dylan sang er auf dessen Album nashville Skyline „Girl From The North Country“, was die Protagonisten der neuen Gegenkultur irritierte, die in ihm nur ein reaktionäres Fossil sahen. Sogar eine eigene Fernsehsendung, die „Johnny Cash Show“, flimmerte zwischen Juni 1969 und Mai 1971 landesweit über die Bildschirme, mit Stammgästen wie der Carter Family, den Statler Brothers und Carl Perkins, aber auch Bob Dylan, Louis Armstrong, James Taylor und vielen anderen. Vor allem aber gelang ihm mit hello, im Johnny cash – mit diesen Worten pflegte er seine Konzerte zu eröffnen – 1970 noch einmal ein Studiowerk, das an die Geniestreiche der 50er und frühen 60er anknüpfte. Es sollte für viele Jahre – manche meinen: bis zu seinem furiosen Comeback mit american recordings anno 1994 – sein letztes richtig gutes Album sein.

..Sie sind die wahre Stimme Amerikas, so stark und so stolz wie unsere ganze Notion. „Also sprach Präsident Richard Nixon 1969 bei einem Gastspiel Johnny Cashs im Weißen Haus. Ob es dieser Besuch beim gewissenlosen „Tricky Dick“ war, der ihm Unglück brachte? Die nächsten beiden Dekaden meinten es jedenfalls nicht gut mit dem Mann, der stets Schwarz trug, um seine Solidarität mit den Underdogs zu demonstrieren und ein Zeichen zu setzen in einer immer zynischer werdenden Welt… T/7 things are brighter. l’m the man in black „, sang er kategorisch. Doch immer mehr Leute hörten nicht ihm zu, sondern Glam und Klamauk, Westcoast-, Prog- und Stadionrock, koksenden Superstars, Punk und New Wave. Johnny Cash war mittendrin und doch draußen: ein Mann, der diese Welt nicht mehr so recht verstand, aber weiter sein Ding durchzog -auch wenn sich von der jüngeren Generation kaum mehr jemand dafür interessierte. america ia 200 year salute in story and songi, sein Beitrag zur200-Jahr-Feier der USA, erging sich 1976 in plump-pathetischem Patriotismus. Noch schlimmer klang dieser Chauvinismus zwei Jahre später auf ragged old flag. Immer wieder veröffentlichte er frömmelnde Gospelplatten, halbgare Countrywerke, coverte Songs von Bruce Springsteen, Bob Dylan, John Prine. den Rolling Stones und versuchte sich kurzzeitig neben Waylon Jennings, Kris Kristofferson und Willie Nelson als Mitglied der Country-SupergroupThe Highwaymen. Hinzu kamen immer größere Probleme mit der Ptattenfirma, die in der grotesken Selbstverarschung des Songs“.Chicken In Black“ und schließlich im Abschied von Columbia gipfelten. Doch auch mit neuem Label gelangen ihm zumeist nur orchestral verblasene Marginalien. Was war aus dem Mann geworden, der 1965 während einer Show in der Grand Ole Opry so herb gegen Bigotterie und Verlogenheit des Country-Establishments gewettert hatte, dass er hochkant hinausgeflogen war? Der auf ganzseitigen Zeitungsanzeigen der Plattenindustrie den Mittelfinger entgegengestreckt hatte? Der ein Punk, der ein Outlaw war, lange, bevor das schick wurde? Jenen, die alt genug waren, sich zu erinnern, galt er immer noch als unantastbar, allen anderen als komischer Kauz oder – bestenfalls – als ein aus der Mode gekommener Entertainer.

DSS Endfi? Nein, wie wir heute wissen. 1993 war seine sonore Stimme, so alt wie die Rocky Mountains, so tief wie der Ozean, mit der Weisheit von sechs Lebensjahrzehnten, überraschend auf U2s eklektischem Pop-Statement zooropa zu vernehmen, in einem Stück mit dem bezeichnenden Titel „The Wanderer“. Doch das war erst der Anfang vom Neuanfang; mehr, viel mehr sollte noch kommen. Oft ist die Geschichte erzählt worden, wie der hippe Produzent Rick Rubin dem alten Meister mit Respekt, Einfühlungsvermögen und der richtigen Songauswahl zu einem nie für möglich gehaltenen Comeback verhalf. Gleichsam über Nacht avancierte der Mann in Schwarz damit zur Kultfigur der Alternative-Generation. Die Aufnahmen für die letzten beiden seiner insgesamt vier american RECORDINGS-Alben mussten seiner Krankheiten wegen häufig unterbrochen werden. Doch Cash rappelte sich immer wieder auf. Selbst wenn er stundenlang Ruhe brauchte, um Kraft für einen Song zu sammeln – dann ruhte er sich eben aus, lag still da, und wenn er sich besser fühlte, sang er, mit brüchiger Stimme und geradezu biblischer Wortgewalt, von den letzten Dingen, von Liebe und Hass, Leben und Tod. „Well meet again, some sunny day“, erklang es am Ende von the man comes around, seiner letzten zu Lebzeiten erschienenen Platte, noch voller Zuversicht. Er würde nicht aufgeben. Doch am Ende fehlte ihm schlicht die Kraft zum Weitermachen.“.Ein trauriger Tag für die Welt, aber ein glücklicher für den Himmel“, sagte ein langjähriger Weggefährte, als er vom Tod des alten Freundes erfuhr. Sieht aus, als käme da oben allmählich ein verdammt cooler Desperado-Chor zusammen. Sieht aus, als wäre Johnny Cash nach Hause gekommen. >» www.johnnycash.com —