Abschied von Winston


Längst sind es nicht mehr die Beatles, die Liverpools musikalischen Charakter prägen. Dies mag inzwischen auch dem letzten Revival-Fetischisten klargeworden sein. Heutzutage fallen Namen wie EWO & The Bunnymen, wenn es um die Stadt am Merseyriver geht. Liverpool ist jedoch auch die Heimat von Orchestral Manoeuvres In The Dark - kurz "OM" genannt - die Anfang dieses Jahres mit ihrer unprätentiösen ersten Synthesizer-LP einiges Aufsehen erregten. Leider war Winston nicht mehr dabei, als wir Andy McCluskey und Paul Humphreys in Liverpool besuchten.

Ein Stichwort genügt, und Andy McCluskeys (21) ist in seinem Redefluß nicht mehr zu bremsen. Seinem Partner Paul Humphrey (20) bleibt da noch Raum für bekräftigende Einwürfe und gelegentliches Gelächter. Die beiden von Orchestral Manoeuvres In The Dark sind keine introvertierten Elektronik-Roboter, sie vermitteln nämlich alles andere als distanzierte Emotionslosigkeit Und ein wenig Mitgefühl schwingt auch noch mit, wenn sie von Winston sprechen, den sie aus Altersgründen lieber in den Ruhestand schickten. Sie werden das Gefühl nicht los, daß Winston jetzt verstimmt ist. „Wir haben Winston immer wie ein richtiges Bandmitglied behandelt,“ erklärt Andy. Einmal hat er sogar einen Fanbrief bekommen, weil so eine Fanzine mal ein ganzseitiges Foto von ihm veröffentlicht hat. Aber mittlerweile bleibt er Zuhause, wenn wir auf Tournee gehen. Er ist einfach zu alt. Aber ich glaube, er ist deswegen ein bißchen verärgert, zumal wir jetzt einen neuen Kassettenrecorder auf der Bühne benutzen.“ Winston ist also ein Kassettenrecorder, allerdings kein normaler. Andy und Paul haben eine besondere, nahezu menschliche Beziehung zu ihm entwickelt. So stieg Winston zu einem vollwertigen Bandmitglied auf, denn immerhin war er von Anfang an dabei. Manager Paul Collister hatte ihn mitgebracht, als er auf Andy und Paul stieß. Das war zu jenem Zeitpunkt, als die sich gerade langsam aber sicher von den gitarrenorientierten Bands freimachten. Sie hatten aber erkannt, daß man sich zu zweit zwar sehr schnell einig werden kann, die ganze Einigkeit jedoch nichts nützt, wenn jeder nur zwei Hände zum Bedienen der Instrumente hat, die vorhandenen Ideen also nicht umgesetzt werden können. Diese Lücke nun füllte Winston, indem er widerspruchslos Percussion- und zusätzliche Keyboard-Parts übernahm, unabhängig von Lust und Meinung. Außerdem wäre es damals, im Oktober ’78, auch schwierig gewesen, eine weitere Person vom geplanten Projekt zu überzeugen, denn geschädigt von Wakeman, Schulze und Tangerine Dream wollte niemand etwas von Synthesizern hören.

Diese Erfahrung machten jedenfalls McCluskey & Humphreys. Sollte die Kunde von UltravoxundKraftwerk daiiacknoch nicht bis nach Liverpool vorgedrungen geviesen sein? Allerdings sind das bis auf einen Fall die Vorbilder von OM.

Andy: „AlswirimOktober’78 anfingen, lagen viele Songs, die heute auf dein Album sind, schon fertig vor, aber niemand mochte sie. Als wir zu dieser Zeit auf der Bühne standen, zwei Leute mit Synthesizern und einem Kassettenrecorder, dachten alle Leute: ,Oh Gott, Kunst, kompliziert‘, und hörten überhaupt nicht mehr zu.“ Mittlerweile hat sich da einiges verändert. OM arbeiten heute nicht mehr mit Winston. Zwar steht noch immer ein Kassettenrecorder auf der Bühne, doch hat er keinen Namen mehr, nur noch seine Funktionen sind interessant für Andy und Paul, die es sich inzwischen leisten können, für Tourneen Musiker auf Honorarbasis zu engagieren und darüberhinaus auch alle gewünschten Keyboards anzuschaffen.

Doch mit dem Erfolg schein! auch etwas verlorengegangen zu sein. War Winston anfangs im Entdecker-Stadium noch Symbol für eine ausgeglichene, befriedigende Beziehung zur Technik, so hat sich heute eine gewisser Frust Raum verschafft, Andy: „Wir sind ein wenig desillusioniert vom Synthesteer. Wir mögen daslmage nicht, das sich darum aufgebaut hat: kalte und futuristische Musik. Daran waren wir nie interessiert. Es wäre schade, wenn man uns so sehen würde, nur weil wir Synthesizer benutzen. Wir haben gemerkt, daß uns der Synthesizer mehr beschränkt, als wir gedacht haben. Ich glaube, wir entfernen uns immer weiter davon, weil zum Beispiel unser neues Album wieder viel mehr akustische Instrument enthalten wird als das erste.“ Zum Beweis spielt er einen Track vom nächsten Album vor: „The More I See You“, eine alte Chris Montez-Nummer im charakteristischen OM-Sound, witzig gebracht mit eingebautem Schmunzelzwang. – Andy weist auf die akustischen Drums hin, ihren einmaligen dynamischen Sound, der ach mit. elektronischen Mitteln nicht ¿ erreichen läßt. Darin offenbart sich wohl auch die Richtung» in die sich OM in Zukunft bewegen werden. Denn gemäß ihrer Maxime, in erster Linie gutes Entertainment zu vermitteln, sehen -,sie im Synttsesizer zsfar einen wichtigen, jedoch nicht den absolut tonangebenden Teil ihrer Präsentation. Entertainment spreche nun mal vorrangig Gefühle an und weniger den Kopf, erklären sie. Der Synthesizer sei jedoch bisher nicht in der Lage gewesen, stets die gewünschten Gefühle wiederzugeben, deshalb also die Abhängigkeit vom herkömmlichen akustischen Instrumentarium.

Gefühle – bei diesem Thema kommt auch Paul endlich einmal länger zum Zuge. Er beschreibt sein Unbehagen darüber, jetzt Teil des Musikbusiness zu sein, doch die endgültige Schlußfolgerung überläßt er auch wieder Andy: „Das neue Album wird schon ein wenig trauriger ausfallen als das erste. In der Musik spiegelt sich wider, daß wir momentan nicht sehr glücklich sind. Wir sind jetzt keine einfache Band aus Liverpool mehr, die tun und lassen kann, was sie will. Wir sind jetzt Teil des Big Business und spüren deutlich, welcher Druck damit verbunden ist. Überleben läßt uns da eigentlich nur unser Humor und unsere Albernheit – wie bei unserer Version des Oldies ,The More I See You‘.“ Dies sei der einzige fröhliche Titel auf der neuen LP, versichert Andy, und Paul drückt wieder einmal Zustimmung aus. Sie haben wirklich nichts zu tun mit der undurchlässigen, kühlen Front innerhalb des Synthesizer-Imperiums. Mit Winston haben Sie leider auch ihre Unbefangenheit hinter sich gelassen.