Adekunle Gold im Interview: „Afrobeats hat die Welt längst erobert“
Adekunle Gold spricht mit uns über sein neues Album FUJI & die Bedeutung Afrikas für die globale Popmusik
Als vor elf Jahren der Song „Sade“ erschein, fuhr er wie eine Welle durch die Afrobeats-Welt. Damals kannte noch kaum einer den jungen Mann mit langem Namen, – schüchtern, 27 Jahre jung – der hinter der Single stand. Heute ist Adekunle Gold, oder AG Baby, wie ihn Fans liebevoll nennen, ein Superstar in einem zu enormen Dimensionen angewachsenen Genre geworden.
2015 feierte der Nigerianer aus Lagos mit dem Album GOLD sein Debüt. Fünf Studioalben, hunderte Millionen Streams, große Namen für Album-Features und zig Musikpreise später, veröffentlicht Adekunle Gold am 3. Oktober sein neues Werk FUJI.
Ein Gespräch über nigerianische Traditionen, die Bedeutung Afrikas für globalen Pop, und über einen besonderen Kampf ums Überleben.
Adekunle Gold, am 3. Oktober erscheint Dein neues Album FUJI. Wie fühlt sich das an?
Es ist total surreal, aber ich bin seit fünf Jahren bereit für diesen Moment.
Dies ist Dein sechstes Studioalbum. Welche Bedeutung hat es für Dich an diesem Punkt in Deiner Karriere?
Für mich markiert es den Beginn eines neuen Jahrzehnts. Ich habe 2014 meine erste Single herausgebracht, „Sade“, und jetzt bin ich hier, zehn Jahre später. Ich habe seitdem großartige Dinge erlebt, fünf Alben veröffentlicht und bin um die Welt getourt. Alles hat mich an diesen Punkt gebracht, und ich fühle mich voller Energie. Es gibt neue Geschichten zu erzählen. Und FUJI ist eine Sammlung all dessen, was ich erlebt habe. Es ist, wer ich bin, wer ich war, und das Erbe, das ich eines Tages hinterlassen möchte.
Der Albumname FUJI kommt einerseits aus der Yoruba-Sprache und von der Bezeichnung eines nigerianischen Musikstils, Fújì, andererseits vom Berg Fuji, der ein Symbol der Liebe ist. Was sind die Erfahrungen, die Botschaft, die dieses Album dementsprechend erzählt?
Fàájì in der Yoruba-Sprache bedeutet Genuss oder Vergnügen. Fújì ist ein nigerianischer Musikstil. Und der Mann Alhaji Sikiru Ayinde Barrister, der Pionier dieses wunderschönen Klangs war, benannte ihn nach dem Berg Fuji in Japan. Das kommt alles in dem Wort zusammen. Ich wuchs zur Fújì-Musik auf. Sie ist der Kern meines Klangs. Ich kann ihr nicht entfliehen. Sie ist Teil meines Tons, meiner Geschichten, meiner Reflektionen. Und mit dem neuen Album wollte ich etwas erschaffen, das für mich persönlich originell ist, etwas, mit dem ich groß wurde. Ursprünglich hatte ich das Album FINDING UNCHARTED JOURNEYS INSIDE genannt. Dessen Akronym ist FUJI, und die Musik, die ich mache, ist Fújì – dann konnte ich es auch direkt so nennen. Es ist der Soundtrack zu meinem Leben.
Deine Musik bewegt sich in einem Spannungsfeld aus Tradition und Moderne. Du machst Popmusik, aber sie trägt viele Jahrhunderte alte Elemente nigerianischer Musik in sich. Wie vereinst Du diese zwei Seiten in Deinen Songs?
Ich möchte Musik schreiben, die für mich echt und wahr ist. Und was wahr ist, ist, dass ich Yoruba bin. Ich liebe meine Kultur und ihre Traditionen und Klänge sehr. Selbst, wenn ich etwas ganz anderes erschaffen wollte, wird das immer im Hintergrund stehen. Das ist nicht einmal eine bewusste Entscheidung, es ist einfach die Essenz meiner Musik. Es fließt ganz natürlich zusammen. Ich mache globale Musik.
In Deiner jüngsten Single „Bobo“ zum Beispiel verwendest Du westafrikanische Sprechtrommeln. Wie erklärst Du Dir, dass traditionelle afrikanische Klänge, die Du in Deine Musik integrierst, mit internationalen Zuhörer:innen in der ganzen Welt resonieren?
Lass mich Dir eine Gegenfrage stellen. Wenn Du Dir meine Musik anhörst, bringt sie Dich dazu, Dich bewegen zu wollen?
Ja, das tut sie.
Das ist die Magie dahinter. Viele Elemente in meiner Kultur sind genau dafür da – dich zu bewegen. Unsere Musik macht dich zu einer Melodie. Sie ist rekursiv. Fàájì ist Vergnügen, Fújì ist Liebe. In der Bewegung liegt die Magie. In den letzten zehn Jahren habe ich meine Musik für so viele Menschen gespielt, die kein Wort verstanden. Aber sie bewegten sich. Das zeigt die Schönheit in unserer Musik.
Afrobeats und Afropop haben in den letzten Jahren global viel an Beliebtheit und Erfolg gewonnen. Sie sind zu einer kulturellen Bewegung und international beliebten, kommerziell erfolgreichen Genres angewachsen. Welchen Platz sollten afrikanische Künstler:innen in der globalen Popszene einnehmen?
Afrikanische Künstler:innen haben schon immer einen Platz in der globalen Kulturwelt gehabt. Das begann schon mit Sikiru Ayinde Barrister, als er nach Amerika kam. Er spielte in Orlando und erlangte Weltberühmtheit (Anm. d. Red.: etwa 1982). Das war das erste Mal, dass er außerhalb von Nigeria spielte. Und es gibt so viele nigerianische Künstler:innen, die mit ihrer Musik die Welt bereisten. Wir hatten immer diese Rolle. Nur das Internet will es jetzt so aussehen lassen, als wäre Afrobeats etwas Neues. Wir bespielen schon lange internationale Bühnen, wir haben Grammys gewonnen. Online sieht es so aus, als würde Afrobeats jetzt auf einmal die Welt erobern. Aber wir waren immer schon da. Und jetzt ist es an der Zeit, dass Menschen die verschiedensten Stile und Klänge kennenlernen, die dem zugrunde liegen – wie Fújì.
Wenn man sich zum Beispiel die Geschichte des HipHop anschaut, sieht man, dass es seine Wurzeln in afrikanischen Klängen hat. Genau wie Jazz und Blues. Selbst Country-Musik hat als Ausdruck Schwarzer Widerstandskraft gegen Sklaverei angefangen. Das vergessen die Leute gerne.
Und ich sehe es als meine Aufgabe, sie zu erinnern. Die Flagge hochzuhalten, den Menschen zu sagen: Dieser Klang, den du so schön findest? Er kommt aus Nigeria. Ich bin stolz, Nigerianer zu sein, Yoruba zu sein. Und es gibt immer mehr Künstler:innen, die das sind, und dafür bin ich dankbar.
Du singst ja auch nicht nur auf Englisch, sondern auch auf Yoruba.
Genau, manchmal sogar auf Pidgeon oder Französisch.
Was kann Yoruba Dir ermöglichen, das Englisch nicht kann? Was erlaubt es Dir auszudrücken – in Ideen, Konzepten, Gefühlen – das auf Englisch vielleicht gar nicht geht?
Wenn ich Songs schreibe, selbst wenn der Songtext auf Englisch ist, ist der Kontext in meinem Kopf auf Yoruba. Ich denke zuerst in Yoruba. Denn auf Englisch trifft es manchmal einfach nicht die Gefühle, die ich ausdrücken möchte. Sie sind tiefer, als Englisch geht. Solche Begriffe lasse ich dann einfach auf Yoruba. Dasselbe gilt für Sprüche und Weisheiten. Und für Flexionen: In Yoruba kann man manche Dinge durch besondere Ausdrücke betonen.
In Europa und den USA ist das Wissen über die Vielfalt afrikanischer Kulturen in manchen Bereichen noch sehr begrenzt. Was sollten Menschen über Deine Heimat wissen und verstehen?
Mein Land ist die meistbevölkerte Schwarze Nation weltweit. Wir haben verschiedene Kulturen und Sprachen – über 500 – und 36 Bundesstaaten. Unsere Kultur ist reich. Es ist unglaublich, wie ein Land, das so dicht und unterschiedlich besiedelt ist, einen Weg findet, in der Mitte zusammenzukommen. Unsere Geschichten gehen tief. Wir haben mit vielem zu kämpfen, aber ich weiß, dass wir das hinbekommen werden. Unser Land ist reich an allem – an Kultur, natürlichen Ressourcen und Talent. Wir haben die größten Stars der Welt. Unsere Klänge haben Nationen beeinflusst. Willst du eine gute Zeit haben? Nigeria ist „the place to be“.
Wo sollen sich Afrobeats und Afropop Deiner Meinung nach hinentwickeln?
Ich möchte, dass unsere eigenen Formen der Anerkennung größer und seriöser werden, sodass wir nicht mehr internationale Validierung suchen. Das tun viele afrikanische Künstler:innen aktuell, und ich hoffe, dass das in Zukunft nicht mehr der Fall ist. Es gibt keinen Grund, unseren Sound für globale Akzeptanz zu verwässern. Wir sind schon Könige und Königinnen, wir sollten uns dessen auch bewusst sein.
Wenn man verstehen möchte, wer Du als Persönlichkeit hinter der Künstlerfigur bist, was würdest Du mir über Deine Kindheit und Jugend erzählen wollen und über Erfahrungen, die Dich geprägt haben?
Wenn es eine Sache gibt, für die ich in Erinnerung bleiben möchte, dann ist es, dass ich niemals aufgegeben habe. Ich musste für alles, was ich jetzt habe, kämpfen. Ich wurde nicht mit Geld geboren, ich war ein ganz normaler Typ. Meine Eltern waren Lehrer, und sie haben vier Kinder großgezogen. Es sah nicht besonders rosig aus, aber ich wusste, ich bin für einen Grund hier. Ich bin mit der Sichelzellenkrankheit (Anm. d. Red. eine erbliche Blutkrankheit, die Schmerzen, Organschäden und eine verminderte Lebenserwartung verursacht) groß geworden. Mein ganzes Leben lang habe ich nur gekämpft, und ich habe gewonnen.
Wie hat die Sichelzellenkrankheit Deinen Blick aufs Leben verändert?
Mit der Sichelzellenkrankheit zu leben, vor allem in dem Klima, in dem ich aufwuchs, entscheidet alles. Es fühlt sich an, als wäre Dein Leben vorbei. Es ist ein Todesurteil. Viele sind durch sie ständig krank und werden von anderen auch so wahrgenommen. Ich hatte das Glück, dass mich niemand so angesehen hat. Daher wusste ich immer, da ist mehr da draußen – dass ich für mehr bestimmt bin, als die Sichelzellenkrankheit zu meiner ganzen Identität zu machen und einfach aufzugeben. Ich hoffe, die Menschen verstehen, dass Sichelzellenerkrankte aus einem Grund Überlebende genannt werden. Wir kämpfen. Und ich hoffe, dass Betroffene wie ich sehen können, dass wir gewinnen können. Dass uns nichts aufhalten kann. Dein Schicksal liegt in Deinen Händen.



