Aimee Mann über Weihnachten


Seit sie im Juni mit der Arbeit an ihrem Weihnachtsalbum ONE MORE drifter IN THE snow begonnen hat, ist Aimee Mann in Weihnachts-Stimmung. Und somit als Expertin qualifiziert.

INTERVIEW JOSEF WINKLER Aimee Mann ist in ihrer Songwriterkarriere bislang gewiss nicht als das Herzchen vom Dienst aufgefallen. Aber aus ihren scharfsinnigen Texten sprach nie etwa Zynismus, vielmehr immer schon melancholisch-humorvolle Empathie. Irgendwie stimmigerweise hat die in Kalifornien lebende, aber im schneereichen Virginia aufgewachsene 46-Jährige jetzt ein Album rund um jenen so ambivalenten Tummelplatz menschlicher Emotionen aufgenommen: ein Weihnachtsalbum mit amerikanischen Christmas-Classics, Traditionais und eigenen Songs, wunderbar wohlig-loungig, bewusst altmodisch, doch mirakulös unkitschig. Wir telefonieren Ende Oktober – Aimee Mann hat weihnachtsintensive Tage. Sie hat sich vorgenommen, morgen einkaufen zu gehen -Weihnachtsgeschenke. Im Dezember wird sie mit der „First Annual Aimee Mann Christmas Show“ durch sieben Städte touren, einer „Art Variety-Show mit Comedians und Musik“, dann ist nur noch wenig Zeit vorm Fest. „Ich will nicht alles auf die letzte Minute schieben. Drum geh‘ ich morgen los. Aber vielleicht ist es auch nur eine Ausredezum Shoppen. Am Endekaufe ich lauter schöne Sachen für mich selber. It’s a plan that’s destined to go horribly wrong…“

Wie macht man im Juni eine Weihnachtsplatte?

Die Musik, die Songs selber leisten das ja schon, dich in Weihnachtsstimmung zu bringen. Wenn man sich da mal reinhört, geht das schnell. Und in Los Angeles wird es eh nie kalt und wintrig… Mitten im Sommer auf den Weihnachtspirit zu kommen, ist nett. All die Sachen, die an Weihnachten Druck verursachen, fallen weg. Geschenke kaufen, die Kocherei. Heim fliegen und die Familie besuchen, und kommt der Schwiegersohn mit zu den Schwiegereltern? Und warum nicht? etc. Wir hatten dieses nette Weihnachtsgefühl, aber ohne den Druck. So sollte es jedes Jahr sein.

Mir fallt ein: Wurde dir eigentlich gesagt, dass sich dieses Interview nur um Weihnachten drehen wird?

Oh, das ist okay. Ich habe heuer einen sechsmonatigen Anlauf auf Weihnachten, ich habe das Gefühl, ich denke eh fast über nichts anderes mehr nach. Aber werde ich dann auch mal Lichter am Haus anbringen? Wahrscheinlich nicht, weil meine angeborene Faulheit dann wohl doch stärker ist als der ganze Weihnachtsspirit.

Wie kam die Entscheidung für so ein „Konzeptalbum ?

Ich habe ja schon einige Weihnachtssongs aufgenommen, für Compilations. Und dann hat jemand den 3 Vorschlag gemacht, ein Album zu machen. Erst hab‘ ich das für Blödsinn gehalten, aber dann wurde mir 5 klar, dass ich viele von diesen Liedern wirklich sehr gerne mag. Die Weihnachtsplatten, die wir zu Hause gehört haben. Bing Crosby, Frank Sinatra, Johnny Mathis, all diese tollen Lounge-Sänger aus den 4oern, 5oern. Ich dachte mir, wenn, würde ich gern so eine Platte machen, die auf diese Ära zurückgreift. Ich wollte keine „moderne“ Weihnachtsplatte machen. Keine elektronische Weihnacht für mich.

In Deutschland ist Weihnachten viel mehr mit einem konservativen, spießigen Ruch behaftet, Weihnachten hat ein Coolness-Problem. Ein kredibler deutscher Indie-Act mit einer Weihnachtsplatte, das würde ein paar ungläubige Fragen aufwerfen.

Ich verstehe das. Ich glaube, ich habe es auch lange so gesehen. Man möchte natürlich nichts mit dieser Art Celine-Dion-Weihnacht zu tun haben. Und es geht eben auch anders. Wie Leute, die Platten für Kinder machen. Da ist man auch oft erst skeptisch, und dann hört man es, und es sind sehr schöne Sachen dabei.

Der Kollege Sufjan Stevens macht auch manchmal Kindermusik – und bringt jetzt Weihnachts-E.P.s heraus.

Oh, wunderbar!

Er sagt, er habe die Platten auch ein wenig als „Therapie „gemacht, gegen seine eigene Weihnachtsmuffeligkeit. Ein solcher Muffel warst du nie?

Ich mag Weihnachten gern. Als ich noch in Boston lebte, habe ich an Weihnachten immer meine Freunde eingeladen. Wir nannten es „Waisenweihnacht“, für die ganzen Leute, die keine Familie hatten oder sich den Heimflug nicht leisten konnten. Da bekam dann jeder Geschenke, ein Freund kochte… es ist einfach was wirklich Schönes. Es ist schön, Leuten nette Weihnachten zu bereiten. Und ich schenke sehr gern.

Die Platte beginnt recht nostalgisch-pessimistisch, mit dem Sinatra-Song „Whatever Happened To Christmas“.

Das ist so ein klassischer Sinatra-Dreh. Erst denkt man, er hat ein Problem mit Weihnachten, und dann wird klar, dass er eigentlich einem Mädchen nachweint. Aber das ist ja auch ein Aspekt von Weihnachten. Das Melancholische, Depressive. Besonders für Erwachsene ist dieses Weihnachtsgefühl sehr… präsent. Und mein Produzent Paul Bryan und ich, wir wollten dieses Schwermütige, dieses Dunkle an Weihnachten auch auf der Platte haben. Sogar Sachen wie die alten Weihnachts-Cartoon-TV-Specials aus unserer Kindheit-das-Peanuts-Weihnachts-Special. oder zum Beispiel der „Grinch“ – haben dieses dunkle, düstere Element. Der Grinch, der komplette Stinkstiefel, der es nicht erträgt, wenn Leute glücklich sind. Und Charlie Brown, der alte Pessimist, der sagt „Ich weiß ja, dass mich alle hassen. Warum muss es auch noch extra Feiertage dafür gehen, daszu betonen?“ (lacht) In einem Pressetext sprichst du von der „spukigen Schönheit und der geheimnisvollen Atmosphäre „, die Weihnachten für dich hatte.

Das war mein Gefühl als Kind. Mitten in der Nacht aufstehen und nach dem Weihnachtsstern schauen, horchen, ob Santa Claus schon da ist. Dieses ganze spukige nächtliche Drumherum. Natürlich war man in erster Linie spitz auf die Geschenke. Aber die Vorstellung, dass sich da jemand durch den Kamin in dein Haus einschleicht- das hatte schon etwas Gespenstisches.

Aber das Lied ist nicht als nostalgisches Lamento von wegen „früher war alles besser und Weihnachten noch nicht so verkommerzialisiert etc.“ zu verstehen?

Es ist doch schon immer so, seit ich lebe. Mir wäre nicht aufgefallen, dass es viel schlimmer geworden wäre, (lacht) Ich glaube, die Leute empfinden es als schlimmer, weil sie älter werden. Sie haben mehr Verantwortung als früher, und Weihnachten kann nie wieder dieses ungetrübte, sorglose Fest sein. Die einen fahren heim und zanken sich mit ihrer Familie, der Onkel mit dem Alkoholproblem ist da, die anderen haben Kinder und möchten alles perfekt hinkriegen … Der Druck kommt doch daher, dass die Leute meinen, an Weihnachten müsse alles perfekt sein. Und wenn ihnen das nicht gelingt, werden sie schlecht gelaunt und fühlen sich, als hätten sie jetzt irgendwie das ganze Jahr in den Sand gesetzt. Diese Stressfaktoren. Ich versuche für mich, das Ganze einfach zu halten. Deswegen wollte ich auch keine zynische Weihnachtsplatte machen, sondern diese schönen, mellow Songs. Zum Vorm-Feuer-Sitzen und Eierpunschtrinken. Mit Humor und einem Schuss Melancholie.

Bedeutet dir das Fest religiös oder spirituell etwas ?

Hm. Manchmal gehen wir zur Kirche, aber nicht oft. Spirituell eher auf eine vage Art und Weise, dass man … nun, Dankbarkeit empfindet für die Freunde und Verwandten, die man liebt, und die Tatsache, dass man sie um sich hat, dass man diese Kontakte hat.

Bist du ganzlich frei von Weihnachtstraumata?

(lacht) Oh, nein, da habe ich durchaus mein Teil abbekommen. Mit geschiedenen Eltern … (lacht) Und die Mutter heult, weil sie darauf besteht, dass die Kinder zu ihr kommen am Weihnachtstag, und wird hysterisch, weil sie ihren Willen nicht kriegt… Aber ich kann über so etwas im Rückblick verbittert sein – oder ich lache darüber und freue mich, dass ich mir Weihnachten heute netter machen kann, als es damals war.

Wie verbringst du die Feiertage?

Wir haben keine großen Routinen, außer, dass wir normalerweise an Heiligabend Michaels (Penn: Manns Ehemann; Anm.) Mutter besuchen. Am Weihnachtstag kommen dann meistens Freunde vorbei. Ein Freund von uns hat letztes Jahr beschlossen, dass wir so eine richtig klassische viktorianische Weihnacht abhalten sollen, er hat eine Gans gebraten, es wurden alte Lieder gesungen, pipapo … (lacht) Ich glaube, wir werden die Gans-Sache noch mal machen heuer.

Ganz wichtig: Was wünschst du dir zu Weihnachten?

(lacht) Ah, Geschenke! Was ich, ehrlich gesagt, brauche, ist so ein Mini-Rekorder, irgendetwas Digitales. Für Song-Notizen, wenn ich unterwegs bin. Aber das Ding muss zumindest halbwegs gute Qualität haben. Ich habe eine Aufnahmefunktion am Handy und da ein paar Sachen draufgesungen. Der Sound ist so schlecht, ich hatte später beim Abhören keine Ahnung, was ich da gurgelte.