Was ist das? Es schreit, faucht, dreht und windet sich um den Mikrophonständer, jagt gehetzt von einer Bühnenseite zur anderen und singt sich die wildesten erotischen Phantasien vom Leibe? Nein, nicht Nina Hagen. Alanis Morissette heißt dieser dunkelgelockte Derwisch – ein einst wohlerzogenes katholisches Mädchen aus einer kanadischen Kleinstadt. Jetzt lebt sie in der Nähe von Los Angeles, und dort wurde Madonna auf sie aufmerksam. In deren „Maverick“-Plattenstatl hat Alanis Morissette schließlich das Album „lacked Little Pill‘ aufgenommen: der emotionale Ausbruch einer erwachsenen Sängerin mit Kindfrau-Appeal, eine explosive, intellektuelle Abrechnung mit verflossenen, eine literarische Selbsttherapie. „Immer, wenn meine Fingernägel über den Rücken eines anderen kratzen, hoffe ich, es tut dir weh“, singt sie in ‚You Oughta Know‘. Und ¿ Not The Doctor‘ führt die erst j jährige eine Männerwelt vor, ilü offenbar nur von Weicheiern wird. „Die sind sich – ehe, daß sie Frauen suchen, damit die sie dann bemuttern und beschützen, doch gar nicht bewußt“, poltert Alanis selbstbewußt los. „Ich brauche Männer, die selbständig sind und wissen, was sie wollen.“ Glen Ballard, ihr „geistiger Bruder“, gehört wohl dazu, denn er hat das Album produziert. Eine ganze Riege ausgesuchter Studiomusiker plus Dave Navarro und Flea von den Red Hot Chili Peppers peppen „Jagged Little Pill‘ zu einem beeindruckenden Erstlingswerk auf – sollte man meinen. Aber Alanis Morissette ist, obwohl nach amerikanischem Recht gerade erst volljährig, bereits ein alter Hase im Showgeschäft: Schon mit zehn Jahren veröffentlichte sie ihr erstes Album. „Ich war ein ziemlich frühreifes Kind, eine Vierzigjährige im Körper einer Zehnjährigen. Ich hatte ein paar Dollar mit Fernsehshows verdient, und als Kind hat man ja überhaupt keine Ausgaben, also nahm ich das Geld und ließ 3.000 CDs pressen. Meine Eltern haben schon sehr früh an mich geglaubt, bereits als Minderjährige bin ich alleine in der Weltgeschichte herumgeflogen. Und dabei habe ich gelernt, was es heißt, wirklich auf sich alleine gestellt zu sein.“ Das Alleinsein ist ihr immer noch ein Bedürfnis. „Bis vor kurzem durfte ich ja rein rechtlich noch gar nicht rein in die angesagten Clubs. Aber ich gehe ohnehin viel lieber einen Kaffee trinken oder bleibe zu Hause in meiner kleinen Wohnung am Strand m Santa Monica.“