Allein, Allein, Allein


David Sitek von TV On The Radio lässt beim Soloprojekt Maximum Balloon Einflüsse von Club-Musik raus. Da sind dann auch die Bandkollegen dabei.

Der bullige Mann mit der schwarzen Brille trägt ein schwarzes T-Shirt mit dem weißen Aufdruck „Los Angeles Gun Club“, was natürlich ein Witz sein muss. „Nein, nein“, sagt der Mann und betont: „Ich schieße“, als würde er eine besonders bescheuerte Nachfrage bestätigen. Er behauptet, ihn entspanne das. Und Entspannung hat David Sitek sicher nötig.

Wenige geschmackliche Behauptungen dürften so unwidersprochen durchgehen wie die, dass TV On The Radio die derzeit vielleicht wichtigste Band der Welt ist. Dahinter stecken Tunde Adebimpe und Kyp Malone. Und der Kopf: David Andrew Sitek. Der 38-Jährige spielt Gitarre, bedient die Keyboards, steuert alle Loops bei. Er schreibt und produziert die Musik. Wenn er könnte, wie er wollte, würde er wohl auch vor den Konzerten noch als DJ tätig werden. Wobei die Bezeichnung „DJ“ bei einem wie Sitek ein wenig zu kurz greift: „Das ist bei mir recht anstrengend und kompliziert. Ich lege nicht einfach nur Platten auf“, erläutert er in Berlin, noch sichtlich übernächtigt von der Nacht davor. „Ich lade Streams live aus dem Internet, mixe sie mit Vinyl-Schallplatten, manipuliere die Tempi, solche Sachen. Eigentlich ist das, was ich da mache, ziemlich stressig. Wie Produzieren, nur eben schneller und live. Es kann also auch mal schief gehen. Ein Jazz-Ansatz, sozusagen.“

Seinem ersten Solo-Album hört man dergleichen nicht einmal ansatzweise an: Maximum Balloon ist ein brodelndes Gemisch aus Dance, Funk, Disco, TripHop und klingt damit wie TV On The Radio auf einer Mischung aus Ecstasy und Amphetaminen. Was nicht zuletzt daran liegt, dass Tunde Adebimpe auf einigen Songs singt und auch ansonsten TV On The Radio drin ist, wo Maximum Balloon draufsteht. Karen O von den Yeah Yeah Yeahs ist dabei, David Byrne und der Rapper Theophilus London, dazu spielt Sitek eine Rhythmusgitarre, als wäre er Nile Rodgers. Eine feine, turbotanzbare Sache also – wie das vertonte Adressbuch eines sehr gefragten Produzenten eben. „Ich musste mir da endlich mal gewisse Ambitionen vom Hals schaffen“, seufzt Sitek und meint die Einflüsse moderner Club-Musik, die er bei TV On The Radio nicht ausleben kann, nicht ausleben will.

Aber zeichnet sich da nicht doch eine gewisse Entfremdung ab? Schließlich war „die Band“ immer ein Bastard aus Siteks legendärem Studio in Williamsburg. „Tja, das war immer so ein Nachbarschaftsding, die Jungs kamen und gingen.“ Dazu zählten die Yeah Yeah Yeahs, Grizzly Bear, Blonde Redhead, Saul Williams, Massive Attack, The Knife, Foals, Architecture in Helsinki und David Bowie. Vier Jahre ging im Hipster-Viertel alles gut und rund. Dann, 2009, musste Sitek das Studio schließen: „Erst gab es im Viertel zwei Kinderwagen, dann 120, an jeder Ecke stehen Polizisten, es gibt zwölf neue Thai-Restaurants und die neu eingezogenen Broker im coolen Loft über mir begannen, sich über die Musik zu beschweren. Die Miete für mein Studio hat sich innerhalb eines Jahres verdreifacht. „

Den speziellen Sound seines Studios hat er exakt vermessen, um ihn nun in seiner neuen Heimat wiederzubeleben: Beverly Hills, Los Angeles. „Es ist das exakte Gegenteil von Williamsburg.“ Dann beugt er sich vor und flüstert: „Ich kehre die Gentrifikation einfach um: Ich ziehe in eine satte, wohlhabende Nachbarschaft und rocke sie soweit runter, bis jeder sich dort die Mieten leisten kann.“

Wobei das mit dem Runterocken in einer so geräumigen und rockaffinen Stadt wie L.A. schwierig werden könnte. Bis jetzt nämlich hat sich noch kein Nachbar über irgendwelchen pumpenden Beats vom Sitek-Anwesen beschwert. Vielleicht ist es ja die himmlische Ruhe seiner neuen Heimat, die den Mann in den Schießstand treibt.

Albumkritik ME 11/10

www.maximumballoon.com