Als das Licht nicht mehr anging


Bei der Premiere von „The Dark Knight Rises“ erschoß ein Amokläufer in den USA zwölf Menschen. „Wieviel Schuld trifft die Filmindustrie?“, lautete die typische Frage danach. Doch auf sinnlose Verbrechen gibt es keine einfachen Antworten.

„Filme erschaffen keine Psychopathen – Filme machen Psychopathen höchstens kreativer“, sagt eine der Hauptfiguren in „Scream“. Als James Holmes am 20. Juli 2012 sein Auto in Aurora kurz vor Mitternacht auf dem Parkplatz des Century 16 Movie Theatre abstellt, hat er sich vorgenommen, sehr kreativ zu sein. Um 0.05 Uhr beginnen die ersten Vorstellungen von „The Dark Knight Rises“: Landesweit sind Fans in Kostümierung in die Kinos gepilgert, um den Abschluss der „Batman“-Trilogie von Christopher Nolan sehen. Auch in Aurora ist der Andrang so gewaltig, dass Vorführungen parallel in mehreren Sälen anberaumt sind. Die erste Actionsequenz ist gerade vorbei, da verlässt Holmes Saal 9, legt Schutzkleidung und Gasmaske an, bewaffnet sich und kehrt ins Kino zurück. Um 0.38 Uhr wirft er einen Gasbehälter. Dann beginnt er zu schießen. Als er sieben Minuten später verhaftet wird, sind zwölf Menschen tot und 58 weitere verletzt. Es folgte der Affentanz, der immer folgt, wenn junge Irre mit Zugang zu Waffen glauben, sie müssten sich in die Geschichtsbücher einschreiben. Seit Columbine kennt man das Ritual. Trauer, Entsetzen, Empörung, Spekulationen, Schuldzuweisungen. Einfache Antworten sind gefragt nach einer solchen Wahnsinnstat. Obwohl Holmes‘ Motive ungewiss sind, war die Symbolhaftigkeit des Schauplatzes Anlass genug, gleich die Filmindustrie im Allgemeinen und die „Batman“-Filme Nolans im Besonderen ins Visier zu nehmen. Waren die nicht wirklich ein bisschen düster und negativ? Und sah Holmes mit seinem roten Haarschopf nicht komplementär genauso aus wie der grünhaarige Joker? Nun schadet es der Filmindustrie nicht, sich selbstkritisch mit den Inhalten auseinanderzusetzen, die sie produziert. Aber ausgerechnet einer Filmreihe den Schwarzen Peter zuschieben zu wollen, die sich neben guter Unterhaltung ernsthaft damit auseinandersetzt, wie Gewalt, Angst und Bedrohung eine Gesellschaft von innen heraus zersetzen, ist starker Tobak. Warner Bros., das Studio hinter „The Dark Knight Rises“, reagierte angemessen, als es Premieren des Films absagte und den Trailer von „Gangster Squad“, in dem Gangster eine Kinoleinwand zersieben, aus dem Verkehr zog. Dass allerdings der komplette Film zurückgezogen wurde, um Passagen neu zu filmen, mutet überzogen an. Seien wir ehrlich: Wenn Holmes‘ Verhalten kongruent zu dem anderer Amokläufer ist, dann hat er die Mitternachtsvorstellungen von „Dark Knight Rises“ gewählt, weil er wusste, dass die Zahl der Opfer hoch und die Medienwirkung groß sein wird. Dass er nebenher auch den einen Ort entweiht hat, an den Menschen gehen, um sich im sicheren Dunkel zu öffnen und sich ihren Ängsten auszuliefern, weil man weiß, dass nach zwei Stunden das Licht wieder angeht und alles so ist wie vor Beginn der Vorstellung, macht diesen Amoklauf nicht schmerzvoller als andere davor, aber so besonders perfide. Weil Holmes, wie Christopher Nolan es nannte, unsere „Kathedrale“ und mit ihr unser Vertrauen ins Kino besudelt hat.