Armenhaus, Freudenhaus


Lange Zeit galt Dancehall nur als exotische und vor allem regionale Musikerscheinung. Das hat sich längst geändert. Der Pop, er muß sich nunmal laufend neu erfinden. Und deshalb bedienen sich viele seiner Produzenten auch an den Rändern, immer öfter gerne auch dort, wo ruppige jamaikanische Tanzmusik entsteht. Von diesem Interesse hat auch Sean Paul Henriques profitiert. Sein geschmeidiger und quirliger Stil machte ihn zum ersten Weltstar der Dancehall-Szene. Unglaubliche sechs Millionen Exemplare sind von seinem zweiten Album DUTTY ROCK verkauft worden, dazu tauchte die Stimme Pauls in Hits von Beyonce, Mark Ronson und Blu Cantrell auf. Demnächst wird er gemeinsam mit Joss Stone im Song „Cry Baby Cry“ auf dem neuen Album von Carlos Santana zu hören sein.

Der ganze Wirbel scheint den 32jährigen Musiker überhaupt nicht zu irritieren. „Die Leute erzählen mir etwas von Druck, den ich jetzt verspüren müßte. Druck- was ist das? Den kenne ich vielleicht aus meiner Schulzeit. Oder aus meinen Anfangstagen als MC, als ich den Jamaikanern beweisen mußte, wie ernst es mir mit der Musik ist. Ich habe früher mal Wasserpolo gespielt und wurde sogar in die Nationalmannschaftjamaikas berufen. Um fit zu sein, mußte ich täglich 8.000 Meter schwimmen. Da hatte ich Druck. Aber jetzt? Jetzt spüre ich Verantwortung und Selbstvertrauen.

Trotzdem will der nächste Schritt überlegt sein, denn durch den Erfolg sieht sich Sean Paul unvermittelt in eine Doppelrolle gedrängt. Weil er den Kontakt zur jamaikanischen Basis nicht verlieren will, hat er im letzten Jahr Singles gezielt für seine Hörer in der Karibik veröffentlicht An sich nichts Besonderes – in Kingston und Umgebung verkaufen sich nur Vinyltonträger im altmodischen 7″-Format. In diesem Fall nutzte Sean Paul seine Singles als Testballons für sein neues Album Trinity. Wie genau, sieht man an der ersten weltweiten Auskopplung „We Be Burnin“. In der ursprünglichen Version handelt der Song von der Legalisierung von Marihuana. Amerikanische Radiostationen setzten den Song bald darauf nicht etwa auf den Index, sondern auf die Playlist. Alles bestens also? Nein, Sean Paul sah Handlungsbedarf. ,JKlsdie Nummer in Miami zum ersten Mal richtig abging, wußte kh.daßVoraussicht gefragt war. Mit Texten, die von der Legalisierung von Drogen handeln, begehst du bei international operierenden Sendern wie MTV kommerziellen Selbstmord. Da habe ich das Stück ebenfür den Weltmarkt umgeschrieben und Zeilen formuliert, die von Partys, Frauen und Spaß handeln. Das wirkt vielleicht nicht so ernsthaft, ist mir aber genauso wichtig wie die ursprüngliche Idee. Ich finde, man solltesein Leben ungeachtet aller Schwierigkeit auch genießen.“

Inhaltlich befindet Sich Sean Paul im ständigen Wechsel zwischen Freudenund Armenhaus. Nicht jeder steht ihm deshalb kritiklos gegenüber. „Einigesagen: Jetzt, da er Millionen von Platten verkauft hat, werden wir sehen, aus welchem Holz er wirklich geschnitzt ist. Daß ich nicht lache! Aufmeinem neuen Album sage ich nicht umsonst Dinge wie: ,My main aim is to maintain, my main aim is to stay sane, Inever did likefame.‘ Ich spüre immer noch die Energie eines Jungen in mir, der zum ersten Mal SlickRickoderShabba Ranks hört und davon hellauf begeistert ist. Mir geht es darum, genaudiese Energie in jedem einzelnen meiner Songs herauszukitzeln.“

Neider gibt es auch auf Jamaika, die ihm seine behütete Herkunft vorwerfen. Seine Mutter ist eine bekannte Malerin, da genießt man als Kind Privilegien. „Ich konnte eine gute Schule besuchen und mir etwas leisten. Viele meiner Freunde hatten es schwerer. Sie mußten in Ghettos leben, wo ihnen nicht mehr als ein Loch blieb, das ständig überflutet war. Solche Bilder werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Nein, ich werde nicht plötzlich hochnäsig und zum Luxus-Weichling, nur weil ich Erfolg habe. Mein Wunsch ist und bleibt, daß es weniger begüterten Leuten einmal besser geht- in meiner Heimat und anderswo. Die Musik, die ich mache, soll ihren Beitrag dazu leisten.“

Nicht zuletzt sieht sich der Gratwanderer auch als Botschafter seiner Musikkultur. Sean Paul unterstreicht das mit Auftritten an Orten, die nicht jeder auf dem Zettel hat. So ist er 2004 in Uganda, Ägypten, Äthiopien und Kolumbien zu sehen gewesen: „Ich möchte in so vielen Ländern wie möglich spielen, meine Kultur vorstellen und schauen, was ich von den fremden Kulturen lernen kann. Das sind Dinge, die mich glücklich machen nicht Ruhm, Geld oder Ehre.“ www.seanpaul.com