Auf der Bühne gibt Kid Rock den pöbelnden König des White Trash. Privat indes geht er in der Rolle des allein erziehenden Vaters auf.


Jede Veranstaltung bekommt den Moderator, den sie verdient. Kid Rock moderiert „94 WYSP’s Babefest“: „Babes, beer and bands. 20 of the hottest babes competing for cash“. Philadelphias Rock-Radio-Sender kennt die Bedürfnisse seiner Hörer und den Mann, der all diese Werte perfekt zu verkörpern weiß. Robert James Ritchie ist am Ziel. Platinscheiben, gefüllte Stadien, Limousinen, eine Dauerkarte für den Eintritt ins Valley der Silicon-Groupies. Elf Jahre nachdem der selbst ernannte „Pimp Of A Nation“ und „American Bad Ass“ seinen ersten Plattenvertrag unterzeichnet hat, ist der Junge aus Romeo, Michigan, einem Kaff circa 40 Meilen außerhalb von Detroit, die personifizierte „dicke Hose“, die Vorzeigefigur der US-Trash-Kultur. Gäbe es auch nur den leisesten Zweifel daran, wäre er mit dem Fakt ausgeräumt, dass der Mann jüngst und in bezeichnender Weise mit Pamela Anderson, der ultimativen Verkörperung hormongetränkter Männerfantasien, gesichtet und auch abgelichtet wurde. Erfolg macht ganz offensichtlich jeden sexy. Zwölf Millionen verkaufte Platten (wobei der Großteil davon natürlich im Mutterland von String-Tangas und Harley-Davidson über die Theken gewandert ist), Titelstories in allen überregional relevanten Musikzeitschriften der westlichen Welt und Nominierungen für Grammy Awards sprechen eine deutliche Sprache. Wenn auch die Tatsache, Kid Rock im Jahre 1999 als „Best New Artist“ vorzuschlagen, von bemerkenswerter Ignoranz zeugte. Vier Alben hat Rock vor seinem Durchbruch mit „Devil Without A Cause“ veröffentlicht, das erste auf Jive, nach dem Rauswurf die anderen auf kleineren Indie-Labels oder in finanzieller Eigenregie. Erreicht hatte er damit bescheidenen Ruhm als Detroiter Local Hero. Der Rest der Welt zeigte sich angesichts des Großmauls mit dem merkwürdigen Outfit und seiner Vorliebe für den vermeintlich absurden Crossover aus HipHop-, Rock-, Blues-, Metal- und Country-Elementen zwar amüsiert, aber alles in allem wenig angetan.

Im Windschatten des Wertewechsels im Rock-Business hat sich die Situation fundamental verändert: Mit Understatement, Bitterkeit, latenter Kommerz-Verweigerung und Selbstzweifel, worauf die Karriere von Bands wie Pearl Jam und Soundgarden fußte, ist heute in den Staaten in der ersten Popliga kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Limp Bizkit zum Beispiel suhlen sich, ganz im Sinne des Achtziger-Revivals, im Bombast-Rambazamba. Keine Konzert ohne Show und keine Show ohne Feuerwerks-Effekte. Selbst vergessen geglaubte Entertainment-Relikte wie Konfetti-Kanone, geschminkte Musiker und halbnackte Tänzerinnen gehören wieder zum guten Ton. Perfekte Rahmenbedingungen für Kid Rock, der sich im Rrrock-Revival seine eigene gemütliche Nische eingerichtet hat: mit Lodenmantel, Cowboy-Hut, Motorrädern, US-Flagge und Tänzerinnen, die noch weniger Textil mit sich herumschleppen müssen als die von Rocks Kollegen. Auf der Bühne ist er der „Pimp Of A Nation“ und steht für just jene US-Attribute, derentwegen es Amerika-Kritikern kalt den Rücken hinunterläuft und zu deren Ehren im Redneck-County bei Monster-Truck-Rennen regelmäßig das „Star Spangled Banner“ angestimmt wird.

Eigentlich aber ist Kid Rock vor allem eines: ein netter Kerl mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein. Im Backstagebereich des Rock-am-Ring-Festivals übt er sich in genretypischem Understatement: „Ich bin ein Vollblut-Performer. Einige Zuschauer werden nach meinem Auftritt sagen, dass sie heute die beste Band der Welt gesehen haben“, erzählt er – eine optimistische Prognose angesichts der hier zu Lande nach wie vor vergleichsweise verhaltenen Reaktionen gegenüber bombastischem „Bad Ass Entertainment“. Aber Skepsis gegenüber seinem Schaffen ist Bob Ritchie gewohnt. Sie zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Laufbahn des 30-Jährigen – die erstaunlich früh und vor einem Hintergrund begann, der typisch auch für die durch Extravaganz auftrumpfenden Helden der Nu-Rock Ära ist. Aufgewachsen im Mittleren Westen, wurde er nach den katholischen Moralvorstellungen der gottesfürchtigen Bible-Belt-Gesellschaft erzogen, in der Schimpfworte nicht nur als obszön, sondern als Gotteslästerung gelten. In einer Stadt, in der der sonntägliche Kirchenbesuch ein Muss ist, in der das Einkaufszentrum bzw. die örtliche Kentucky-Fried-Chicken-Dependance aus Mangel an Alternativen Mittelpunkt aller Freizeit-Aktivitäten der Jugendlichen ist. Kid Rock ist kein Ergebnis einer von Daseinsnöten und Armut geprägten Ghetto-Kindheit. Die Ritchies sind eine tief im amerikanischen Mittelstand verwurzelte Familie, die auf den dort klassischen vier Werte-Säulen fußt: Religion, Patriotismus, Familie, harte Arbeit. Die Entertainer-Qualitäten ihres sechsjährigen Steppkes wussten die Ritchies dennoch zu schätzen: „Wenn meine Eltern früher Parties gefeiert haben, steckten sie mich in ein Mini-Cowboy-Outfit. Ich bin dann auf den Tisch geklettert und habe die Leute mit meiner Show unterhalten.“ Schon bald entwickelte der kleine Bob Bedarf an neuen Inspirationen – und entdeckte den Reiz der schwarzen Subkultur in den benachbarten Sozialbau-Siedlungen: „Als ich sechs war, fanden die Eltern mein Streben nach Rampenlicht und musikalischer Selbstverwirklichung noch durchaus süß. Als ich dann aber mit 15 ins Ghetto gerannt bin, um Bier zu trinken, zu breakdancen und die ganze Nacht als DJ zu arbeiten, fanden sie das nicht mehr wirklich putzig. Sie konnten es nicht verstehen. Was ich wiederum heute verstehen kann: Ein Mittelstandskid aus einer netten Familie, das alles hat, was es braucht, rennt Abend für Abend ins Ghetto und deejayt und feiert die ganze Nacht. Natürlich fragten sie „What the fuck is wrang with you?'“ Der Aufstand gegen das Elternhaus und die heimischen Werte, gelebte „Fuck YoiT-Attitüde – Mosaiksteine im Gesamtbild des Rebel without a cause. Vor dem inneren Auge des Betrachters entstehen Bilder von ausschweifenden Orgien. Live fast die young, all das Zeug eben. Und dann sagt er so etwas: „Nur mit Ausdauer und harter Arbeit kommst du an einen Punkt wie diesen. Bodenständigkeit ist das A und O. Nicht auf der Bühne, aber in meinem Kopf. All die harte Arbeit lässt mich zu schätzen wissen, was ich jetzt habe, und weiter daran arbeiten, diese Dinge zu bewahren, mein Leben auszubalancieren sowie mit dem Rockstar-Leben richtig umzugehen.“

Die xahlreichen Beziehungen zu Pornostars und Sexsternchen, all das Tamtam um Sex, Drugs und Rock’n’Roll – nur eine Legende? „Nein. Es gibt eine Balance. Die Leute sehen zwar immer nur eine Seite von mir, aber es gibt noch eine andere. Sie sehen mich nicht, wenn ich zu Hause bin, mein Kind zur Schule bringe und die Hausaufgaben mit ihm mache. Wenn ich einfach nur normal bin, das Abendessen koche. Ich mag harte Arbeit genauso wie Freizeit-Exzesse. Ich kümmere mich um meinen Job und feiere danach bis zum Umfallen. Ich feiere alle unter den beschissenen Tisch und habe bereits jeden den Schwanz einklemmen sehen. Aber ich bin dann trotzdem der Erste, der morgens wieder auf der Matte steht und seinen Job erledigt.“ Und Teil dieses Jobs sind eben auch die Pflichten eines allein erziehenden Vaters. Nach langen Streitereien um das Sorgerecht für seinen siebenjährigen Sohn (das Gericht zeigte sich anfangs nicht sonderlich angetan von dem Gedanken, den Jungen in die Obhut eines Mannes zu geben, der sich gerne mal mit glasigen Augen zwischen den Brüsten einer Strip-Club-Tänzerin fotografieren ließ) läuft manches anders im Kid-Rock-Land: „Ich gehe zu Elternsprechtagen, lese in der Schulklasse Bücher vor – das volle Programm eben. Ich liebe Kinder. Sie sind der wichtigste Teil meines Lebens. Ein entscheidender Teil der Balance.“ Der vermeintliche Elternschreck als treu sorgender Vater und Bestandteil der sozialen Verflechtungen einer amerikanischen Kleinstadt – eine absurde Vorstellung? „Nein, genauso ist es. Ich lebe 40 Meilen nördlich von Detroit in den Wäldern. Mitten im Nirgendwo. Die Leute kennen mich dort alle persönlich, niemand rennt mit Kameras herum. Wenn ich mich in LA. oder New York herumtreibe, bin ich öffentliches Eigentum. Das ist mir klar. Das ist es, was ich wollte, das habe ich bekommen. Es ist ein Teil des Ruhms. Ich werde nicht davor weglaufen. Wenn jemand aber die Eier haben sollte, als ungeladener Gast durch mein Tor zu kommen und an meine Tür zu klopfen, sollte er darauf gefasst sein, in eine Schrotflinte zu schauen. Ich lasse mir von niemandem dumm kommen, wenn ich bei meinem Sohn bin.“ Eine Einstellung ganz im Sinne seiner Nachbarn: „Die Eltern lassen ihre Kinder in meinem Haus übernachten, wenn sie mal für ein paar Tage weg müssen.“

Über die typischen Freizeitaktivitäten seiner Freundin Pamela Anderson wähnte sich die Welt seit dem im Internet lancierten Porno-Homevideo ihres damaligen Gefährten Tommy Lee gut informiert. Nach den Prügelarien des Hobby-Kameramanns scheint sich die zweifache Mutter mittlerweile daheim ebenfalls einem neuen Lifestyle zugewandt zu haben: „Sie war gerade für zehn Tage in Detroit, und wir sind nirgendwo hingegangen. Wir sind mit den drei Kindern zuhause geblieben, haben jeden Abend Essen gekocht, mit den Kids gespielt, sind Schwimmen gegangen und Trampolin gesprungen – haben einfach den ganzen Tag nur guten, sauberen Spaß gehabt. Sie ist genau wie ich. Die Leute ahnen nicht, wie smart sie ist. Sie sehen die kurzen Kleider und hören sie juchzen. Aber das ist eben nur eine ihrer Seiten. Pamela ist definitiv die coolste Frau, die ich in meinem ganzen Leben getroffen habe. “ Auch bei einem seiner Nachbarn sieht Kid Rock große Gegensätze zwischen dessen Außenwirkung und seinem wahren Charakter. Der Werdegang von Rap-Großmaul Eminem und Kid Rock kreuzte sich aufgrund der gemeinsamen Herkunft bereits vor einigen Jahren. Es folgten Gastauftritte auf Veröffentlichungen des jeweils Anderen. „Wir sind Freunde. Eminem lebt ungefähr 30 Minuten von mir entfernt und besucht mich häufig. Und ich sage dir eines: Ich habe ihn zusammen mit seiner Tochter gesehen. Er kümmert sich um sie, er liebt sie mehr als alles andere auf der Welt. Er hatte einfach das Pech, in schwierigen Verhältnissen aufzuwachsen. Er hat seinen Vater nie kennen gelernt, seine Mutter war nie da natürlich machen ihn ein paar Dinge verrückt. Ich wäre an seiner Stelle auch angepisst.“

Bei allem privaten Verantwortungsbewusstsein – in der Unterhaltungsbranche ist Kid Rock auf eine andere Rolle festgelegt. Sein erster Auftritt in einem Hollywood-Streifen jedenfalls fußt ganz auf dem, was er für seine Fans verkörpert. In „Joe Dirt“ spielt er einen Trans-Amfahrenden Redneck, der den Hauptdarsteller David Spade den ganzen Film über herumschubst. „Das hat ziemlichen Spaß gemacht. Natürlich bin ich da auf eine Rolle festgelegt, die einem Klischee entspricht. Aber einiges von dem steckt eben in mir. Ich will aber zukünftig kein Schauspieler werden, denn der Job bedeutet viele Stunden Einsatz für wenig Geld“, grinst Mr. Rock. Zusammen mit Freundin Pamela einen zweiten Teil der Homevideo-Ergüsse zu liefern, ist ebenfalls nicht geplant. „Ich schätze, ich werde es vermeiden, meinen Schniedel einem Millionenpublikum ins Gesicht zu halten – wobei ich auf der Bühne ja im Endeffekt nichts anderes mache.“

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