Konzertbericht

Aurora live in Berlin: Ein Engel mit Abgründen


Die norwegische Dark-Pop-Sängerin präsentierte am Montag in Berlin alte und neue Songs zwischen kindlicher Unschuld und weiblicher Selbstermächtigung – in einem ehemaligen Krematorium.

Regenbogenkinder sind Kinder, die von einer Aura in den Farben des Regenbogens umgeben sind und sich des Bandes zwischen dem Himmlischen und dem Irdischen in jedem Moment bewusst sind. Das zumindest glauben Esoteriker. Und wohl so manche Konzertbesucher an diesem Februarabend in Berlin.

Aurora hat nicht nur ein Band, sondern zwei. Genauer gesagt sind es Tücher, die um ihre Oberarme gewickelt sind wie Flügel. Falls das mit den Regenbogenkindern doch Bullshit ist, könnte die 21-jährige Pathos-Pop-Sängerin aus den norwegischen Fjorden eventuell ein Engel sein, zumindest singt sie halt wirklich wie einer, und reichlich gut positioniertes Scheinwerferlicht, das von hinten an ihren Kopf und in alle Richtungen strahlt, unterstützt diese These zumindest schon mal optisch. Auch das Lametta im weißblonden Haar glitzert sehr hübsch. Auf der Leinwand im Hintergrund leuchten Kerzen, Röntgenaufnahmen eines menschlichen Skeletts, ein Nebelwald.

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Als 2016 Auroras Debüt ALL MY DEMONS GREETING ME AS A FRIEND erschien, wurde die blutjunge Songschreiberin als Wunderkind gehandelt. Ihr zweites Album soll noch in diesem Jahr erscheinen, einige Songs daraus spielt sie an diesem Abend zum ersten Mal live. Nervös sei sie, sagt sie, die Zuschauer rufen ihr Komplimente zu. Am Ende des Abends wird sie einen Rucksack geschenkt und vier Liebesbriefe zugesteckt bekommen haben.

Es ist Auroras erster Auftritt seit zwei Monaten, sagt sie, und meint vermutlich das Konzert im Nidarosdom in Trondheim, der bedeutendsten Kirche Norwegens, ein Nationalheiligtum. Zwischen Jesus am Kreuz, Orgel und Orchester sang sie zur Weihnachtszeit eigene Stücke, Bowie und „Walking in the Air” von Howard Blake. Göttlich.

Power-Pop mit Erbauungs-Lyrik: Aurora haut auf die Pauke

Heute wird wieder mehr auf die Pauke gehauen: kämpferisches Getrommel, jodelige Choräle und bombastische Elektronik. „Under The Water” dröhnt im Refrain gar wie ein Industrial-Song. Doch eher Großraumdisco statt Elfenwald?

Stücke wie “Warrior” sind streng genommen Power-Pop mit Erbauungs-Lyrik. Aurora trägt alles mit Aufrichtigkeit vor. Diese aufgerissenen Augen! Diese schlängelnden Arme! Diese fuchtelnden Finger! Wie sie in Ekstase über die Bühne wirbelt und sich dreht. Wie ihre Stimme manchmal drängt, beinahe schreit, glockenhell – das bricht einem das Herz. Im nächsten Moment flickt sie es wieder, erzählt munter, wie sie nachmittags mit ihrem Keyboarder auf dem Spielplatz schaukeln war. Sie hält inne. „Entschuldigung. Ich musste kurz Rotze runterschlucken”, sagt sie. Die Menge lacht. Wann hat man zuletzt jemanden so unironisch lustig gesehen?

Die starken Momente sind die leisen. Aurora macht, dass Schwermut leicht klingt. Ein Herzstück im Programm: „Murder Song (5, 4, 3, 2, 1)”, nur mit E-Gitarre begleitet. Die Sterbende in dieser Geschichte hat im Augenblick ihres Todes Nachsicht mit ihrem Mörder – er wollte sie schließlich vor dem Schrecklichen bewahren, das sie im Leben erwartet hätte.

Solche Lieder über Unmittelbarkeit und Vergänglichkeit passen gut in das Silent Green” in Berlin-Wedding, einem ehemaligen Krematorium. „Wo ihr gerade steht, wurden Leichen verbrannt!”, sagt Aurora mit großen Augen und freut sich.

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Ihre naturalistische Wald-und-Wiesen-Metaphorik ist durchzogen von Abgründen: Da bluten die Hände, da schneidet sie sich die Zunge an Eis oder die Füße an Scherben, da wartet der Himmel ungeduldig auf sie. Mit Dringlichkeit versucht hier eine junge Frau, sich mit der Welt zu verknüpfen oder wenigstens mit sich selbst.

Gut, dass das Konzert nicht mit dem Vodafone-Werbespot-Song „Running With The Wolves” endet, mit dem sie bekannt wurde. Als Zugabe spielt sie nach eineinhalb Stunden „Conqueror” vom Debütalbum, ein „fröhliches Lied”, findet sie – auch okay.

Aurora ist immer ein bisschen toller als ihre Lieder. Was schade ist, aber auch nicht allzu sehr. Es sind ein paar bestechende Pop-Perlen dabei. Viele erhabene Melodien. Was schwer zu fassen ist: wie lieblich sie ist. Denn draußen wartet die Realität, und sie ist norwegisch kalt mit -6 Grad.