BAP


Mit ihrer Mischung aus Mundart und Rock sind BAP ein deutsches Pop-Phänomen. Jetzt feiert die Band ihr 20jähriges Bestehen. Sänger Wolfgang Niedecken (47) zieht Zwischenbilanz.

Herr Niedecken, Sie blicken zurück auf 20 Jahre BAP und elf Studioalben.

„Willst du mich jetzt wirklich siezen oder was?“

Wie’s beliebt: Hast du keine Bedenken, daß BAP sich nur noch wiederholen?

„Wenn wir uns wiederholen würden, gäbe es BAP schon gar nicht mehr. Wir zappeln nicht mit Blick auf die Charts über den Dancefloor. Trotzdem müssen und wollen wir uns natürlich immer weiterentwickeln. Was nicht heißt, daß wir jetzt auf jeden Trend aufspringen.“

Wie zum Beispiel auf den HipHop-Zug?

„Ach, diese Geschichte. Wir haben mal mit einem Rapper zusammengearbeitet, aber das hat nicht funktioniert. Was nicht heißt, daß wir Einflüsse aus anderen Genres prinzipiell ablehnen.“

Außerhalb von Rhythm ’n‘ Blues?

„Außerhalb von Rock. BAP ist zwar eine Rockband, aber du darfst nicht vergessen: Wir waren damals eine Gruppe von Kunststudenten. Wir sind naiv aber anspruchsvoll an die Musik herangegangen. Hast du dir mal unsere ersten Platten angehört? Wir wollten klingen wie Zappa auf „Joe’s Garage“, hatten’s aber einfach nicht drauf.“

…jedenfalls so lange, bis du Klaus „Major“ Heuser begegnet bist, der Legende nach im Klo am Kölner Friesenplatz.

„Ein historischer Moment für die deutsche Rockgeschichte (lacht) …“

… und das Genre des Mundart-Rock.

„Das können wohl eher die Black Fööss für sich beanspruchen.“

Aber BAP haben doch durch ihren Erfolg bewiesen, das Kölner Dialekt nicht zwangsläufig Karnevalsfolklore bedeutet.

„Mundart, Dialekt. Nenn‘ es, wie du willst. Kämen wir aus London, wäre unser Dialekt wohl Cockney. Du kannst dich einerseits mit den Texten beschäftigen, sie ins Hochdeutsche übersetzen, sie andererseits aber auch wie eine Fremdsprache hören und dich ganz auf die Musik konzentrieren.“

Wo hast du denn zuletzt konzentriert hingehört?

„Musik höre ich vor allem im Auto. In letzter Zeit läuft bei mir sehr oft Sheryl Crow, Alanis Morrissette und Garbage. Frauen machen wieder Rock, die lange Durststrecke nach Patti Smith hat endlich ein Ende.“

Garbage?

„Ja, ohne Garbage wäre ein Song wie „Wat jeht uns die Sintflut an“ gar nicht möglich gewesen. Garbage haben uns sozusagen ermutigt, elektronische Klänge und Dance-Elemente in unseren traditionellen Rock-Kontext zu stellen. Ich stehe aber auch auf Crossover. Deshalb bin ich froh, daß wir die H-Blockx noch einmal für eine Kooperation gewinnen konnten. Dem Stück „Du kapiers et nit“ fehlte einfach der nötige Drive – die H-Blockx haben ihn geliefert.“

Wie stehst du heute zur Quotendiskussion um deutschsprachige Rockmusik im Radio, die 1996 für Furore sorgte?

„Oh Mann, ja. Das ganze ist nicht auf meinem Mist gewachsen, sondern wurde an mich herangetragen – und wurde dann natürlich von der Presse mächtig aufgebauscht.“

Aber du hast den Aufruf unterschrieben. Dein Kollege Heinz Rudolf Kunze forderte gar eine Quote von 40 Prozent deutsche Musik.

„Deutsche, nicht deutschsprachige. Das hat nichts mit Deutschtümelei zu tun, wie dann von den Linken prompt vermutet wurde. Es gibt Unmengen guter Musiker im Land, egal ob sie nun in Kisuaheli, Englisch, Deutsch oder einfach nur instrumental auftreten. Das Radio ist ein ideales Forum für junge Bands, doch das Formatradio spielt nur, was kommerziellen Erfolg verspricht. Und weil das im Moment offensichtlich nur anglo-amerikanische Acts sind, hat deutsche Rockmusik prinzipiell schon mal kaum eine Chance.“

Radio als Werkzeug des amerikanischen Kulturimperialismus?

„Ich plädiere einfach dafür, aus der Norm auszubrechen und vielleicht auch was aus deutschen Landen zu wagen. Daß das geht, haben doch zuletzt die Guano Apes bewiesen.“

Du hast ein Ferienhaus in der Eitel…

„…Ferienhaus würde ich das nicht nennen, ich habe einfach ein Haus in der Eifel. Dort haben wir genug Ruhe, um an unseren Songs zu feilen. Für den Hausmeister der stillgelegten Dorfschule dort sind wir jedenfalls schon alte Bekannte.“

Das Cover eures neuen Albums,“Comics & Pin-Ups“, zeigt eine üppige Blondine,die sich an einem Seil durch die Kölner Skyline in ihr Penthouse schwingt – ein entsetzter Büroangestellter klammert sich an ihren Rücken. Was will uns der Künstler damit sagen?

„Die Idee basiert eigentlich auf einem Cartoon von Roben Crump. Ich mag den ätzenden, subversiven Humor seiner Zeichnungen. Im Original ist es ein pubertierender Junge, der träumt, er sei Tarzan, der sich an den Rücken von Jane klammert, die an Lianen durch den Dschungel schwebt. Da wir leider nicht die Erlaubnis bekommen haben, das Original abzudrucken, mußten wir uns mit einer anderen Lösung begnügen. Ich finde, sie ist ganz gut gelungen.“

Gab’s Momente, in denen die Erfolgs-Band BAP den Kram hinschmeißen wollte?

„Es war vielleicht nicht unsere einzige, jedenfalls aber unsere folgenreichste Krise: 1995, als wir uns trafen, um für das Best-Of-Album „Wahnsinn“ drei neue Titel einzuzspielen. Ich tourte gerade mit den Leoparden (Begleitband von Niedeckens Soloprojekt „Leopardefell“, Anm. d. Red.). Einen Song nahmen wir zusammen mit den H-Blockx auf. Da waren vitale, heiße Bands auf der einen Seite, und auf der anderen, bei BAP, die absolute Blockade wie in einer Ehe, in der man erst nach einem Seitensprung merkt, daß man sich nichts mehr zu sagen hat. Da wurde uns klar, daß wir in diesem Zustand totaler Lähmung nicht mehr arbeiten konnten, daß was passieren mußte.“

Und es passierte was. Für „Schmal“ Boecker und Steve Borg kamen drei Neue: Werner Kopal am Bass, Jens Streifling am Gebläse und Mario Argandona als Percussionist. War es nicht hart, ein so eingespieltes Team aufzubrechen?

„Es war notwendig – eine Frischzellenkur, ein Neustart eine Art Relaunch. Und es hat uns gut getan. Wir brauchten „Amerika“, um uns kennenzulernen und auszuloten, was wir uns in der neuen Konstellation gegenseitig geben können. Mit „Comics & Pin-Ups“ haben wir uns nun endgültig neu ausgerichtet und konsolidiert. Bei einem solchen Projekt ist es absolut notwendig, daß alle an einem Strang ziehen – nicht, daß alle anderen jene mitziehen, die sich gegen eine logische Weiterentwicklung sträuben.“

Was zum Beispiel war anders?

„Ich habe mich bei den Gesangsaufnahmen diesmal nur von Werner Kopal coachen lassen. Durch diese Arbeitsweise bin ich selbstbewußter geworden. Früher stand ich drinnen am Mikro, und die Jungs – alle Jungs – standen draußen vor der Scheibe und beurteilten meinen Gesang wie die Jury beim Eiskunstlauf. Klar, daß so eine Tribunal-Situation nicht für Entspannung sorgt.“

Die Texte hast du aber auch diesmal wieder alleine geschrieben.

„Nur ich und mein Bleistift. Ich stehe auf altmodische Werkzeuge.“

„Amerika“ konnte als Konzeptalbum verstanden werden, das sich mit der Ankunft des Rock ’n‘ Roll in Deutschland beschäftigte. Liegt denn „Comics & Pin-Ups“ auch ein roter Faden zugrunde?

„So etwas ergibt sich während der Aufnahmen. Aus den Texten, die mir dann zu den Demobändern einfallen, ergibt sich mosaikhaft die Atmosphäre der Platte. Kein Konzept aber eine durchgängige Stimmung…“

Eine demokratische Entscheidung also?

„Ich glaube nicht mehr an Demokratie in künstlerischen Belangen. Das war eine lange gepflegte Lebenslüge. Bei uns gibt es Charaktere, die einfach für bestimmte Ressorts zuständig sind, deren letztes Wort dann auch respektiert wird.“

Auch, wenn es sich um alte Freunde handelt?

„Schmal hat sich als Musiker nicht bemüht. Es ist nicht gut, ein Bandmitglied aus purer Sympathie all die Jahre mitzuschleppen. Aber Schmal hat sich in der ganzen Zeit nicht entwickeln wollen. Die Percussions empfanden alle seit Jahren als Schwachpunkt, und seine Kasperrolle hing ihm selbst verständlicherweise längst zum Hals raus. Wenn man sich als Band entwickeln will, dann muß auch der Mut aufgebracht werden, Einschnitte in Kauf zu nehmen. Bei „Comics & Pin-Ups“ war vieles anders als bei früheren Produktionen, und das ist gut so.“

… mit einer gehörigen Portion Nostalgie. „Für ’ne Moment“ reflektiert die Anfangstage von BAP, erzählt vom Proberaum und einem bestimmten, bestimmt aber alternativen Lebensgefühl – du bist nun 47, hast vier Kinder, was ist davon übriggeblieben?

„Es liegt wohl in der Natur der Sache, daß du dich in zwanzig Jahren veränderst. Schlimm, wenn’s nicht so wäre. Ich denke aber, daß wir uns auch politisch treu geblieben sind.“

Du hast einmal betont, stolz darauf zu sein, mit deinen 47 Jahren jener Generation anzugehören, aus der sich heute die rot-grüne Regierung rekrutiert. Klaus Meine von den Scorpions läßt sich gerne mit dem Ehepaar Schröder ablichten – BAP haben sich da angenehm zurückgehalten.

„Absichtlich. Es kamen zwar zahlreiche Anfragen, aber wir haben alle abgelehnt. Da fragen sich die Leute doch sowieso nur: „Was macht der Niedecken denn jetzt wieder?“ Wir bleiben lieber bei unseren Leisten, anstatt uns vor irgendeinen Karren spannen zu lassen. BAP ist nicht mehr die Band für den Soundtrack zur Anti-AKW-Demo oder für Ostermärsche, wie das zu Beginn der 80er Jahre noch war. Man sollte sich nicht inflationieren.“

Wie steht’s mit dem ’92 „Arsch Huh“-Konzert, in dem ihr euch zusammen mit anderen Kölner Musikern gegen Rechtsradikalismus engagiert habt?

„Es ist mir schon klar, daß wir damit keine Skinheads läutern können. Aber es war zur damaligen Zeit einfach notwendig, eine deutliche Front gegen das Anzünden von Asylbewerberheimen zu bilden, zu demonstrieren: Es gibt eine riesige Masse, die den Faschos die Stirn bietet. Diese Signalwirkung war einfach wichtig. Obwohl sich mir natürlich die Zehennägel aufrollen, wenn ich an Aktionen wie die Lichterkette um die Hamburger Außenalster denke. Das war zwar Kitsch, aber es war das richtige Signal zur richtigen Zeit.“

Wie eure Tournee 1987 in China, wo ihr als erste westliche Rockband aufgetreten seid – noch vor Wham.

„…oder die gescheiterte DDR-Tournee 1984. Die wollten uns dort nicht das Stück „Deshalv spüle m’r hee“ („Deshalb spielen wir hier“) spielen lassen. In dieser Hinsicht gibt’s keine Kompromisse, und deshalb spielten wir dann dort auch nicht.“

Deine Texte reflektieren noch immer klare Positionen, mit Fokus auf das kulturelle Biotop Köln. Geschrieben hast du sie aber unter anderem im indischen Badeort Calangute.

„Langsam bin ich es leid, mich dafür zu rechtfertigen. Ja, ich kann mir den Luxus erlauben, mich in einen Weltwinkel zurückzuziehen, wo ich in Ruhe arbeiten kann. Warum sollte ich das nicht tun? In einem Cafe in Calangute habe ich zum Beispiel „Hück ess sing Band en der Stadt“ geschrieben – ein Song über die Deutzer Sporthalle, wo ich am 30. März 1967 zum erstenmal die Stones gesehen habe. Die Halle wird übrigens gerade abgerissen. Vielleicht ist der Verfall gewisser Werte und Traditionen diesmal unser Thema.“

BAP steht für selbstgemachte, authentische und ehrliche Musik. Aber heutzutage muß kein Instrument, kein musikalisches Handwerk mehr beherrscht werden, um den Sprung in die Charts zu schaffen. Kommt dir die Demokratisierung der Musik gelegen?

„Na ja, die hat auch ihre Schattenseiten. Erstens garantiert dieser Computerkram noch lange keine Qualität. Und zweitens haben unter dieser Entwicklung auch Händler zu leiden, die zur Zeit einfach keine Abnehmer mehr für klassische Instrumente finden. Der Kölner Gitarrenladen, in dem ich mir seit den 70er Jahren meine Gitarren gekauft habe, hat mittlerweile Pleite gemacht.“

Wolfgang Niedecken sieht schwarz?

„Ich sehe, daß sich direkt vor meiner Haustür die Dinge ändern, und das nicht immer zum besten. Alte Läden, in denen ich als Kind schon eingekauft habe, werden saniert und verpachtet. Alle sechs Monate macht ein neues Geschäft auf. Mit der Folge, daß ein ganzes Viertel allmählich seine Identität verliert.“

Ist BAP die Konstante in einer beschleunigten Welt?

„Ich gebe gerne zu: Ich bin ein Wertkonservativer. Das „Handwerk“ im Musikbusiness wird nicht aussterben, im Gegenteil, es wird eine Renaissance geben. Nirvana hatten dieselbe Wut wie die Sex Pistols, und die hatten ähnliche Motivationen wie z.B. die Kinks. Und es ist ja auch eine Binsenweisheit, daß Keith Richards nicht die Gitarre erfunden hat, daß die Stones auch nur ein Glied in einer sehr langen Kette von musikalischen Entwicklungen sind.“

Ihr habt euch über die Jahre als Menschen und Band verändert, pflegt ihr trotzdem Kontakte zu Fans, die euch seit der erste Stunde die Treue halten, die euch auf ausgedehnten Tourneen hinterherreisen oder im Internet BAP-Webseiten unterhatten?

„Wir nennen sie „die Unheilbaren“. Klar sind wir stolz auf diese Hardcore-Gefolgschaft. Wenn sie uns bei Tourneen hinterherreist, versuchen wir bisweilen, ihr die Angelegenheit zu erleichtern. Früher war das noch schlimmer, da haben wir in Hotels gleich ein paar Zimmer mehr bestellt und dort Pritschen aufgestellt, damit die Leute da pennen konnten. Aber das hat sich natürlich herumgesprochen und ist uns am Ende über den Kopf gewachsen – es war auch irgendwann nicht mehr zu bezahlen. Bei unseren Konzerten stehen aber nicht nur die Thirtysomethings in der ersten Reihe, sondern durchaus auch ein jüngeres Publikum.“

In einer 20jährigen Bandgeschichte gibt es eine ganze Reihe von Höhepunkten, aber eben auch weniger erfreuliche Momente – wann waren BAP am schlechtesten?

„Wenn wir mehr wollten, als wir können. Für „Ahl Männer, Aalglatt“ haben wir uns mit Mack einen Produzenten (u.a. von Queen, Anm. d. Red.) geholt und ihm gesagt: Mach mal, aber laß‘ es bloß nicht nach BAP klingen. Der hat das Album dann auf modern produziert, und das ging in die Hose – pseudo-progressiver 80er Jahre Midi-Pop. Klingt zwar blöd, aber Fehler sind dazu da, aus ihnen zu lernen. Und wir haben gelernt, daß wir nicht aus unserer Haut können und dazu auch stehen sollten. Ich bin eben nicht Freddie Mercury.“

Und das beste Album von BAP…

„… ist natürlich das vorläufig letzte Glied in der Kette: „Comics & Pin-Ups“, auf das wir natürlich sehr stolz sind.“

Du hast mal gesagt, die meisten Kids würden BAP für eine Versicherung halten. Sollte man sich Policen kaufen?

„Die Platte genügt.“ (lacht)