Beatnik Brothers


Ihr Debüt gehörte im letzten Jahr zu den eindrucksvollsten der jungen, wilden US-Garde. Jetzt haben Black Rebel Motorcycle Club ihr zweites Album fast fertig. Victoria Segal besuchte die Band im Studio und bekam Überraschendes zu hören Fotos Hainsley Brown

– die klassische Zauberformel des Rock, der ultimative Ruf zu den Waffen. Ausgerufen von einem Mitglied des Black Rebel Motorcycle Club heißt das normalerweise: Zeit für die ersten Noten von „Whatever Happened To My Rock’n’Roll“, die Brandstifter-Single des vergangenen Jahres! Heute allerdings, in einem Studio im Herzen von Los Angeles, kündigt es einen ausgelassen polternden Schwall von Avantgarde-Klavierakkorden an. Peter Hayes duckt sich über das Keyboard, über dem einen Auge Haarsträhnen, im anderen ein wahnsinniges Blitzen. Hugo, der Chihuahua-Hund des Studios, rennt aufgeschreckt davon, während Robert Turner vom Mischpult aufblickt und lächelt: „Ah“, kommentiert er trocken, während sein Kumpel im anderen Raum losdonnert, „die inneren Vorgänge im Hirn des Robert Hayes.“

Seit neun Tagen arbeiten BRMC nun schon beim Mix ihres zweiten Albums, und langsam kriegen sie den Koller. Selbst wenn sie in einem Studio mit Granitwänden säßen – das Knistern kreativer Spannung ließe sich schwerlich überhören. Robert gibt zu, dass sich mittlerweile die ersten Folgen des Eingesperrtseins zeigen: „Letzte Nacht habe ich es zum ersten Mal gemerkt“, klagt er. „Ich hatte gehofft, es würde länger dauern, aber wir haben angefangen, Sachen zu hören, die gar nicht da sind.“ Barfuß sitzen Peter und Robert im Dunkeln, ihre Silhouetten vor dem Schein eines Fernsehers, und Robert offenbart die zeitaufwändige Schach-Sucht der beiden: „Wenn du es zu lang machst, dann sieht irgendwann alles aus wie ein Schachbrett. Alles was du machst, etwa wenn du deinen Mantel nimmst um wegzugehen, oder wenn du einen Kaffee holst, du suchst immerzu nach Mustern, um die Dinge effizienter zu erledigen. Peters Ding ist es, Bewegung zu provozieren. Das ist das Einzige, was er mag. Ich schätze, er ist halt so. Etwa wenn er am Computer sitzt, er will ihn provozieren. Er denkt, er kann den Computer beherrschen, wenn er nur aggressiv genug mit ihm umgeht, er glaubt, dass das Ding dann zusammenbricht. Aber natürlich endet es immer damit dass Peter verliert.“

Fragt man die beiden, wieviel Zeit sie in den letzten Monaten miteinander verbracht haben, grinst Peter schelmisch: „Nun, wir schlafen nicht miteinander,“ sagt er. „Wir schlafen nicht miteinander ein, und wir wachen nicht miteinander auf.“ Auffällig oft nicht an Bord ist Drummer Nick Jago. So auch jetzt, der Engländer und Wahl-Amerikaner besucht gerade in San Francisco Verwandte. Jago hatte Visum-Probleme und musste damit rechnen, möglicherweise nicht zurückkehren zu dürfen, würde er seine Wahlheimat erst einmal verlassen haben. Also war die Band Anfang des Jahres gezwungen, ohne ihn, mit Ex-The Verve-Drummer Peter Salisbury als Ersatz, durch Europa zu touren. Inzwischen sind Jagos Probleme vom Tisch, und die Band konnte ihr neues Album in den Londoner Fortress-Studios aufnehmen.

Erleichtert erklärt Robert: „Neben dem neuen Album ist es für uns das Größte, dass Peters Visum-Probleme gelöst sind und wir jetzt absolut frei reisen können. Für andere Bands ist es selbstverständlich, überall hinzugehen und die Musik den Menschen dort zu bringen. Dass wir das nicht konnten, war die ganze Zeit ein schlimmer Alpdruck für uns.“ Er macht eine kleine Pause. „Nun ist das endlich vorbei, diese Last sind wir los. Wir sind jetzt stärker und können mehr erreichen.“

Kein Zweifel – wenn Rock tatsächlich im letzten Jahr eine Revolution erlebt hat, dann sind Black Rebel Motorcycle Club wohl die einzige Band, die man sich wirklich auf den Barrikaden vorstellen kann. Nicht nur, weil ihre Prinzipientreue weit außerhalb jeden Zweifels steht. Eine Offerte von immerhin 175.000 US-Dollar von Land Rover, die „Whatever Happened To My Rock’n‘ Roll“ für einen Werbespot benutzen wollten, lehnte die Band entschieden ab. Sie legt zudem größten Wert auf den absoluten Vorrang ihrer Musik und deren Entwicklungspotenzial. Seit ihren Anfängen waren BRMC praktisch ununterbrochen on the road. Da überrascht es nicht, dass die Band inzwischen auch mit solchen Die-hard-Rock’n’Rollern wie Neil Young und Iggy Pop gespielt hat – eine Gesellschaft, die die Band in ihrem glühenden Bekenntnis zur klassischen Rock-Subversion nur bestärkt haben dürfte. Was die Hörer offenbar honorieren: Das Debütalbum BRMC, das düstere Atmosphäre mit dem Flair von Molotow Cocktails paart, hat weltweit bislang eine halbe Million Exemplare verkauft. Das arbeitsmäßig Take Them On, On Your Own betitelte neue Album verspricht in dieselbe Kerbe zu hauen, sogar noch etwas schneller und lebendiger nach der eher introspektiven Selbstbeschränkung des Debüts. Versuchte die Band bei den Aufnahmen zu BRMC noch, ihre Vision zu schützen, so ist jetzt ein starkes Selbstvertrauen zu spüren. BRMC sind nicht länger in der Defensive. Sie sind jetzt in der Position anzugreifen.

„Musik bedeutet nichts mehr, das ist vor langer Zeit verlorengegangen“, lamentiert Peter in verwaschenem Dylan-Tonfall, „Wir waren damit natürlich nicht glücklich, aber wir konnten nichts machen, höchstens ein Album aufnehmen und abwarten, was passiert. Und das klappte prima. Jetzt ist da ein Haufen Leute, 50.000 oder wieviele das Album gekauft haben, die sagen, ,ja, ihr habt Recht, wir empfinden genauso‘.“ Mit seiner bescheidenen Schätzung offenbart Peter eine rührende Ahnungslosigkeit in Sachen Verkaufstatistiken. „Dies gibt Dir ein bisschen mehr Selbstvertrauen und auch Schärfe. Jetzt sind wir, yeah, verdammt zornig, und wir werden unser Bestes tun, damit die Musik den Leuten da draußen wieder mehr bedeutet. Steck‘ wieder etwas Sinn, Bedeutung, Soul und Spirit hinein!“

Im düsteren Licht eines Irish Pub nahe von Roberts Wohnung in Los Angeles reflektieren Hayes und Turner ihre Reaktion auf die Veränderungen. Robert rührt das Eis seiner Coke, Peter sitzt vor einem Pint und einer Schachtel American Spirit-Zigaretten. Ihren Ruf als schweigsame Gesprächspartner verdanken sie nicht etwa einer allgemeinen Verdrießlichkeit oder dem Mangel an Ideen, sondern ihrer großen Sorgfalt, wenn es darum geht sich zu erklären. Nur wenige Musiker-Kollegen sprechen über ihre Arbeit mit so viel Ernst und Sendungsbewusstsein. Wenn sie sich mal zu einen Statement durchgerungen haben – Robert ruhig und nachdenklich, Pete begleitet von ständigem Räuspern – dann wird dies mit unbedingter Leidenschaft an den Mann gebracht.

Beide wirken unwirklich exotisch im Sonnenschein von Los Angeles, Studio-Morlocks mit blasser Haut, schwarzen Klamotten und langen, bis zu den Ellebogen aufgekrempelten Ärmeln. „Ich werde meine Stiefel mit Sandalen tauschen“, beschließt Hayes, bevor er grinsend einräumt, dass er neulich bei einem Portugal-Besuch sogar Shorts getragen hat. Turner erinnert ihn: „Ja, aber das letzte Mal davor war vor sieben Jahren.“ Wenn man sich seit gemeinsamen Highschool-Tagen kennt, dann weiß man eben alles vom anderen.

Ihren ersten Song schrieben die beiden zusammen „sehr Joy Division-mäßig“ – irgendwann 1991 oder 1992. Aber erst als sie in ihrer Heimatstadt San Francisco Nick Jago trafen, ließen sie ihre damals aktuellen Bands und Projekte mit lokalen Psychedelic Heroes wie The Brian Jonestown Massacre hinter sich und gründeten ihren eigenen Club. 1999 siedelten Black Rebel Motorcycle Club – der Name stammt von der Bikergang im Kino-Klassiker „The Wild One“ – über nach Los Angeles, wo ihnen ihr Demotape prompt einen Deal mit Virgin Records bescherte, der ihnen – ganz wesentlich – erlaubt, allein den eigenen Vorstellungen zu folgen. Bedenkt man ihre totale künstlerische Freiheit, ihr enges brüderliches Band untereinander und ihr Eingeständnis, dass sie am glücklichsten sind, wenn sie zuhause bleiben und Songs schreiben können, kann man sich ausmalen, wie sehr der dramatische Wandel durch den letztjährigen Erfolg die Band in ihrer fast autistischen Selbstgenügsamkeit gestresst haben muss – Plattenverkäufe, Chartsplatzierungen und sogar das Lob von Noel Gallagher, der darauf bestand, dass BRMC Oasis bei deren Shows in der Royal Albert Hall und in Finsbury Park als Support Act begleiteten.

„Wir wollten es so“, erklärt Peter, „ich wollte es immer so. Ich wollte immer etwas haben, etwas sagen, etwas tun, das irgendwie größer ist als ich selbst. Ich wollte immer mehr vom Leben. Und das ist es, was zusammen mit ihm passiert (er schaut Robert an). Wir wollten das, wir wussten nur nicht, wie wir in dieser Situation mit uns selber umgehen sollten, aber jetzt werden wir darin besser. Wir haben beide dieselbe Vorstellung davon, wie wir es im Leben richtig machen wollen.“ Robert ergänzt: „Nach all den Reisen, den vielen Leuten, die wir getroffen haben, und nachdem wir unserer Musik Gehör verschafft haben, bin ich noch viel hungriger danach geworden,“ sagt er langsam. „Sobald die Leute dieses Album hören, wird es wie eine Explosion sein, ein stärkeres Gefühl, als ich es in Worte fassen kann. Wir haben eine tolle Chance, weil uns die Leute zuhören. Beim letzten Mal war das nicht garantiert.“

„Kunst lädt die Leute in deine Welt ein, stimmt’s?“ Peter fragt das und angelt nach seinen Zigaretten. „Jeder ist zu der Party eingeladen. Egal, ob du der schlechteste Geschäftsmann oder das größte Arschloch auf der Welt bist, du bist immer noch eingeladen. George Bush ist eingeladen. Bin Laden ist eingeladen. Hört zu, freut euch an der Musik, versucht etwas davon zu lernen oder verpisst euch.“ Amüsiert lacht er in sich hinein und hängt seinen Gedanken noch einen Moment lang nach: „Hm, gut, man kann es auch anders sehen: Es ist niemand eingeladen. Zeigt euch. Findet es selbst heraus. Ich lade niemanden ein. Es ist eure verdammte Wahl…“

Während Robert einräumt, dass die engen Bande untereinander sie gelegentlich auch würgen, ist schwerlich zu übersehen, dass BRMC absolut der Fantasie einer archetypischen Rock’n’Roll Gang entsprechen. Wie bei so vielen Bands speist sich ihre hohe Sensibilität der Welt gegenüber aus einer Jugend, die – glaubt man Peter „in unglaublicher Wut“ verbracht wurde. „Ich war total angepisst, hasste alles und hatte keine Ahnung, was ich tun konnte. Das Gefühl ist immer noch da, aber du wirst ein wenig älter und kanalisierst deine Gedanken in die Musik, so leidenschaftlich wie nur möglich. Manche Leute werden erwachsen und sagen, ‚verdammt, ich kann eh nichts tun‘, und das ist der Moment, wo du etwas verlierst, wo du aufhörst, über die Dinge nachzudenken, keinen Willen mehr hast. ‚Age is an idle mind‘. Ich hab das mit sechzehn geschrieben, und dazu stehe ich heute noch.“

In den neuen Songs, die BRMC im Studio spielen – der Live-Favorit „Stop“ mit seiner aufwühlenden, galligen Energie („we don ‚t like you, we just want to try you“) oder „Generation“ mit seinem spöttischen Geschrei – findet sich immer noch die raue Kraft und dieser Mangel des Youngsters an Vertrauen in den Rest der Menschheit. Vielleicht sogar Ekel. „Ekel? Was für ein starkes Wort“, sagt Robert. „Da ist eine Menge Zorn, und manche Leute mögen so etwas in der Musik nicht gerne hören. Gleichzeitig ist es aber positiv, überhaupt Musik zu hören, und darin liegt der Kontrast. Das ist wie der Odem des Lebens.“ Nachdrücklich ergänzt Peter: „Wenn die Leute wütend werden, gehen sie zum Militär und killen, das aber ist Wut light. Ich empfinde das, was ich denke, und sogar das, was ich spielen will, viel stärker. Es ist nicht direkt Wut. Es ist… Überzeugung. Starke Überzeugung.“

Peter Hayes erinnert sich an den Tag, an dem er entschied, dass er die Welt bereisen will. „Fünfte Klasse. Sie holten die Karte von Amerika heraus, und wir mussten die Staaten und Hauptstädte auswendig lernen. Von da an wollte ich ein Motorrad haben und durch Amerika fahren. Einfach irgendwohin, einen Job machen, Leute treffen, Sachen erleben.“ Einen Augenblick lang denkt er nach, dann grinst er: „Mit dem Risiko, verprügelt oder erschossen zu werden.“

Robert indes fühlte sich an dem Tag, als die Band ihre erste Tour begann, zum ersten Mal wohl in seiner Haut. Ein Gefühl, das er bis dahin nie gekannt hatte. Auf der Europatour verzichtete er von vornherein darauf, die Reiseroute zu studieren – so wusste er nie, in welchem Land oder in welcher Stadt er gerade aufwachte. „Es war wie eine Reise durch einen Traum-Staat. Die Leute fragten mich, wohin wir gehen oder wo wir sind, und ich sah aus wie ein alter Kiffer, weil ich keinen Schimmer hatte. Ich hatte mich einfach entschieden, nichts zu wissen.“

Unter ihren oft erwähnten Brit- und Punkeinflüssen schimmert auch eine deutliche oldschool Beatnik-Haltung. BRMC haben eine angeborenes Verständnis von mythischer Vergangenheit und der Romantik der Straße – und der Rolle, die Rock’n’Roll darin spielt -, das sie geradezu prädestiniert als Kandidaten für das nächste „große amerikanische Album“. Neue Stücke wie „Six Barrel Shotgun“ sprudeln über vor punkiger Aufmüpfigkeit, aber genauso eindrucksvoll ist die Band in ihren nachdenklichen Momenten – zu spüren in den melancholischen Gitarrenlinien von „A Shade Of Blue“ oder dem düsteren Lyrizismus von „Like The Rose“.

Wieder zurück im Studio nervt Peter ein abgedrehter Lärm, der aus den Boxen tönt. „Es klingt nicht wie ,ssshhh'“, erklärt er dem Toningenieur, „es klingt eher wie ,hchchrr‘.“ Robert beugt sich rüber: „Pete hat dieses indianische Ding, er hört Dinge, die absolut kein anderer Mensch hört, Sachen wie Hundepfeifen, so hochfrequentes Zeug. Es ist seine größte Gabe, aber gleichzeitig auch sein Fluch. Denn es gibt da Dinge, die ihn wahnsinnig machen, die kein normaler Mensch wahrnehmen kann. Auf der anderen Seite können das die kleinen Dinge sein, die das Ganze plötzlich auf eine andere Ebene heben.“

Und diese andere Ebene ist immer jenseits des Horizonts. „Die Musik verbindet uns, aber ich habe noch keine besseren Worte gefunden, um das zu beschreiben, außer dass wir alle abgedrehte Typen sind“, grinst Robert. „Das jedenfalls sagen die Leute über uns. Aber ich glaube, man kann das besser sagen.“ Und dann tut er es: „Wir alle zusammen sind mehr als die Summe der Einzelteile.“

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