Die Kunst, ein Motorrad zu warten


Nichts gegen ein wenig Hype, ein bisschen Mythenbildung und eine spannende Legende. Doch bei Black Rebel Motorcycle Club laufen die Dinge schon vor Veröffentlichung ihres zweiten Albums Take Them On, On Your Town aus dem Ruder. Und das, obwohl das Trio aus Kalifornien alles tut, um auf dem Boden zu bleiben.

Was wurde nicht alles geschrieben: Sie seien die Retter des Rock’n’Roll, die wichtigste Band der Gegenwart, und Bono, Noel Gallagher oder Neil Young würden ihnen regelmäßig die Füße küssen. Theorien, die Bassist/Sänger Rob Turner allein schon deshalb peinlich sind, weil er sich ständig und überall dazu äußern muss. So auch an einem strahlenden Sommermorgen in Köln. Da hockt der käsigbleiche Mittzwanziger mit den viel zu warmen schwarzen Klamotten auf einer Couch, nuckelt nervös an einem Kaffee und sieht sich erst einmal in der Defensive. „Ich verstehe natürlich, warum man uns immer wieder auf Noel oder Neil anspricht, aber da gibt es nichts, worüber es sich zu reden lohnt. Das sind einfach nur tolle Menschen, die uns zu ihren Gigs eingeladen haben. Wir haben ihnen nur kurz die Hand geschüttelt, und das war’s. Es ist nicht so, als würden wir mit denen abhängen oder tiefgreifende Gespräche führen. Dafür wäre ich auch viel zu schüchtern.“ Was keine falsche Bescheidenheit und auch keine Notlüge ist. Wie seine Mitstreiter, Gitarrist Peter Hayes und Drummer Nick Jago, ist auch Turner der Inbegriff des introvertierten, sensiblen Musikers. Einer, der ruhig und leise spricht, sich für seine Antworten lange Bedenkzeiten nimmt und eher selten in einen ausführlicheren Redefluss verfällt. Was ihm den Ruf eines Journalisten-Schrecks bescherte. Und irgendwie, so Rob grinsend, ist er das auch. „Es gibt definitiv bessere Redner als mich“, gibt der Mann aus San Francisco zu. „Ich habe eh nie verstanden, warum sich die Medien so um uns reißen. Gerade diese Getue von den ‚Rettern des Rock’n’Roll‘ hat mich wirklich sehr genervt, weil es maßlos übertrieben ist. Wobei wir ja nicht die einzige Band sind, die diesen Blödsinn durchmacht.“

Womit sich die anderen Bands, deren Namen Rob geflissentlich verschweigt, mindestens so unwohl fühlen dürften wie er selbst. Eben die gesamte Retro-Armada, die den guten alten Rock’n‘ Roll neu aufleben lässt, und damit weltweite Erfolge feiert: White Stripes, Strokes, Yeah Yeah Yeahs, Vines – Bands, die bei Rob einen emotionalen Konflikt auslösen: Einerseits ist er von der Musik begeistert, andererseits tut er alles, um sich von ihnen abzugrenzen. „Ich mag die Songs und bin mit einigen der Bands befreundet. Aber wir sind keine Clique oder ‚Bewegung‘ oder sowas – jeder macht sein eigenes Ding. Und ich sehe zum Beispiel auch nicht viele Ähnlichkeiten zwischen uns und den Stripes.“

Was Rob zu allererst an dem völlig anderen Background festmacht, den BRMC haben: Sie sind weder im Folk oder Blues verwurzelt, noch zitieren sie die Stooges, MC 5 oder New York Dolls. Ihre Basis ist die britische Neo-Psychedelia der Spät-8oer/Früh-9oer, als Bands wie Ride, House Of Love, My Bloody Valentine oder Loop großen, infernalen Noise-Rock mit honigsüßen Gesangspassagen kombinierten. Für Teenager Rob eine echte Offenbarung. Denn bis zu diesem Zeitpunkt stand er vor allem auf das, was seine langhaarigen Klassenkameraden in Kalifornien hörten: Thrash- und Metalhelden wie Metallica, Overkill oder Primus. „Ich habe dieses Zeug geliebt – auch, wenn es mir dabei weniger um die Musik ging. Es war eher das Drumherum – die T-Shirts und die Underground-Mentalität.“ Doch das wurde schlagartig uninteressant, als er auf der Stereoanlage seines älteren Bruders „Leave Them All Behind“ von Ride hörte. „Ich kann mich noch genau an diesen Augenblick erinnern. Ich saß an meinem Schreibtisch und hörte diesen merkwürdigen Song, der aus dem anderen Zimmer kam. Er hat mich regelrecht gefesselt. Ich habe mir sofort ihr erstes Album Nowhere zugelegt und es nur noch rauf- und runtergespielt. Dann kamen andere Bands dazu, die ich toll fand – The Verve, The Jesus & Mary Chain.“ Mit deren Gitarrist Jim Reid Turner übrigens nicht selten verglichen wird – schließlich tragen beide dieselbe Beatnikfrisur. „Das war’s dann aber auch an Gemeinsamkeiten“, lacht Turner. „Und Jim selbst sieht auch nicht mehr Parallelen.“ Dafür aber ganze Heerscharen britischer Fans, die BMRC schon mit ihrer allerersten Single „Whatever Happened To My Rock’n’Roll (Punk Song)“ im Herbst 2001 ins Herz schlossen und über 200.000 Exemplare ihres Debüt-Albums B.R.M.C. aus den Läden trugen – mehr, als in jedem anderen Land.

„Ich kann es nur so erklären, dass wir dort mehr Zeit verbrachten und öfter gespielt haben als sonst wo auf der Welt. Und das deswegen, weil wir zwischen den Alben dort gewohnt haben, wegen der Sache mit Nicks abgelaufenen Visa.“ Der britische Drummer des Motorradclubs war Ende der 90er ohne Arbeitsgenehmigung in die USA eingereist, und hielt sich dort nach Ablauf des dreimonatigen Touristen-Visums illegal auf. Was zur Folge hatte, dass er zur ersten UK-Tour von BRMC zwar aus-, aber anschließend nicht wieder in die USA einreisen konnte. „Deswegen haben wir uns entschieden, zu ihm nach London zu ziehen und die paar US-Gigs mit einem Aushilfsdrummer zu bestreiten. Das war zwar nervig, aber wir wollten Nick nicht verlieren. Selbst, wenn wir mit ihm erst wieder in neun oder zehn Jahren hätten einreisen können.“ Worauf man sich bereits mental eingestellt hatte. Doch zum Glück haben BRMC nicht nur viele Fans, sondern darunter auch ein paar einflussreiche. Etwa U2-Sänger Bono und seinen Manager Paul McGuiness, die Hebel in Bewegung setzten, um Jago eine erneute Einreise zu ermöglichen. „Und das, obwohl sie in keinerlei geschäftlicher Beziehung zu uns stehen“, sinniert Turner mit glänzenden Augen. „Es sind einfach nur wahnsinnig nette Menschen, die mitbekommen haben, in welcher Klemme wir steckten und ihre Zeit darauf verwendeten, uns da rauszuhelfen. Das finde ich großartig.“

Die Ironie an der Geschichte: Bislang beschränken sich die Touraktivitäten des Trios in den USA auf den Großraum Los Angeles. Im Rest des Landes sind BRMC allenfalls ein Insider-Tipp und weitestgehend unbekannt. Daher auch der humorvolle Titel des neuen, zweiten Albums Take Them On, On Your Town, eine charmante Einladung an alle und jeden, dem Rebel Club beizutreten, egal, wo man auch wohnt. Deshalb gibt es nicht nur erstmals die Texte im Booklet, um die schwer verständlichen Ergüsse der Herren Turner/Hayes nachvollziehbarer zu gestalten, das gesamte Album ist eine Spur zugänglicher als das Debüt. So sind die zwölf Songs, die vielversprechende Titel wie „Six Barrel Shotgun“ oder „US Government“ tragen, rauer und weniger verquast als die undurchdringliche Wall of Sound des Debüts. „Das liegt daran, dass wir alles selbst produziert und live eingespielt haben. Es ging nicht mehr darum, möglichst viele Spuren zu füllen und sie dann übereinander zu legen. Wir haben vielmehr versucht, nur wenige technische Tricks einzusetzen. Mehr wie auf der Bühne, wo wir die Anlage bis zum Anschlag aufdrehen und der Schall ein Eigenleben entwickelt, was dann schon mystische Qualitäten haben kann. Das sind Sound-Abenteuer.“

Und die hätten sie auch nie in den berühmten Toe Rag Studios, dem erklärten Lieblingsort der White Stripes, aufnehmen können. Eben, weil es laut Turner gar nicht so wichtig ist, ob das Equipment nun analog oder digital, antik oder hypermodern ist. „Natürlich haben wir uns den Laden angesehen und fanden ihn faszinierend. Es ist wie eine Zeitreise, weil alles aus den frühen 6oern stammt, nur war das Ganze viel zu klein. Es gab nicht einen Raum, in dem wir alle drei gleichzeitig hätten spielen können. Also haben wir uns im Fortress eingenistet – ein großer, miefiger Keller, wo wir aber 24 Stunden am Tag spielen konnten.“ So entstand einmal mehr dieser psychedelische, bewusstseinserweiternde Sound, der das Publikum für die Länge einer CD oder eines Konzertes aus seiner vertrauten Umgebung und seinem Gemütszustand reißt. „Es ist ein Trip“, erklärt Turner. „Für uns wie für die Leute. Musik ist wie ein Tunnel in dem du dich verstecken kannst und in dem du jedes Gefühl für Raum und Zeit verlierst. Es ist eine Gegenwelt. Und die scheint oft interessanter als die Realität.“ Spricht’s und seufzt in seinen Kaffee. „Diese Erklärung stammt übrigens von meinem Dad“, setzt er nach einer kurzen Pause grienend dazu. Und Turners Vater Michael Been weiß, wovon er spricht: Als Frontmann der kalifornischen College-Rocker The Call bediente er sich in den 8oern nicht minder schamlos bei britischen Bands als sein Sohn heute – Echo & The Bunnymen, New Order, Smiths und Psychedelic Furs. „Ich schätze, er ist unser größter Fan“, lacht Turner. „Und weil er nichts anderes zu tun hatte, haben wir ihn als Mixer engagiert.“ Eine nette Geste von einer Band, die einfach ganz anders ist, als es uns gerade britische Medien weismachen wollen. Nur: Ist die Wahrheit wirklich spannender als ein Haufen abgegriffener Klischees? Rob Turner kann jedenfalls prima ohne die letzteren leben.

>>> www.blackrebelmotorcycleclub.com