Bitter und süß


Die Anerkennung ließ lange auf sich warten. Nun aber freut sich Aimee Mann über ihren Aufstieg. Den Erfolg kostet sie alleine aus.

Ein unscheinbares Hotelzimmer in San Francisco: Interview mit Aimee Mann. Im Hintergrund guckt der Manager CNN. Es ist der Tag, an dem der US Supreme Court seine Entscheidung in der Angelegenheit Bush vs. Gore fällen wird. Die 40-Iährige ahnt.

wer ihr Land künftig regieren wird und fallt ein vernichtendes Urteil: „Es fasziniert mich, dass ein Mensch, der so durnm ist, so weit kommt. Bush ist nichts als ein Partytyp mit null Intellekt. Ein echter Idiot.“ Aimee Mann grinst. Manchmal lässt sie in ihren Konzerten Comedians auftreten. Sie ist sicher: Für Programm ist in den nächsten Jahren gesorgt.

Für das Hauptgesprächsthema der nächsten siebzig Minuten ebenfalls. Aimee Mann ist eine begnadete Songschreiberin und Performerin. Ihr aktuelles Album „Bachelor No.2“ ist voll mit bittersüßen, melancholischen Gitarrenpop-Kunstwerken. Sie äußert sich auch durchaus zur Musik. Doch das erklärte Lieblingsthema ist heute ein anderes: Dummheit. Nicht die vermeintliche von Politikern, sondern vor allem die der Entscheidungsträger im Entertaiment Business. Gemeint sind die Bosse der Schallplattenkonzerne. „Hör mir zu“, fordert die Künstlerin, „Plattenmanager sind einfach nicht clever. Die sollten auf ihre Frauen und ihre Kinder hören, die verstehen wenigstens was von Musik. Aber keiner, keiner dieser Leute, die ich in 15 fahren im Musikgeschäft getroffen habe, war in der Lage, seinen lob so zu machen, dass ich damit einverstanden sein konnte.“

Die gebürtige Bostonerin hat schwer gelitten unter Corpomte Ameriai. Nach frühen Erfolgen mit ihrer Wave-Pop-Band Til Tuesday (Hit: „Voices Carry“, 1985) war der Rest der Karriere ein einziges Missverständnis. Egal ob bei Epic, bei Geffen oder zuletzt bei Interscope – immer dasselbe: Mann halte eine prima Platte fertig, die Firma wusste aber nicht so recht, wie sie sie vermarkten sollte. Kommerzieller Erfolg? Natürlich Fehlanzeige. „Dabei mache ich nun wirklich keine indianische Bongomusik, sondern mehr oder weniger klassischen Pop in der Tradition von Neil Young, Tom Petty oder den Beatles, nicht weit weg von dem, was so gehört wird. Aber die Labels kapieren einfach nicht, wie sie mit Musik umgehen sollen. Wenn sie mir wenigstens gesagt hätten ‚Mach doch mal dies‘ oder ‚Probier es doch mal mit jenem Produzenten‘. Nichts. Die schicken dich ins Studio und hoffen, dass dabei ein offensichtlicher Single-Hit rauskommt. So was geht natürlich gar nicht.“ Nicht einmal auf den Frauen-mit-Gitarren-Zug hat das Label sie seinerzeit draufgekriegt. „Diese Typen labern dich voll mit ihrem ‚Gefühl‘, das nicht so ganz stimme, aber sonst? Viele Künstler haben diese Probleme mit ihrer Firma, aber Angst, sich dazu zu äußern, weil sie fürchten, sie würden bestraft. Ich war an dem Punkt angelangt, wo mir das scheißegal war.“

Sie saß frustriert iu Hause und überlegte schon, ob sie ihrem Gatten Michael Penn beim Songschreiben helfen sollte. Aber auch das war nicht die beste Idee. „Wir ergänzen uns einfach nicht. Er braucht beim Schreiben absolute Ruhe in seinem kleinen Zimmerchen. Ich dagegen habe kein Problem damit zu arbeiten, während er daneben sitzt und fernsieht. Außerdem sind wir beide prima darin, einen Song zu entwickeln, aber superschlecht, wenn es darum geht, ihn fertig zu stellen. Manche Stücke lasse ich jahrelang liegen, bevor sie zu irgendetwas führen.“

Der Wendepunkt kam abrupt, er kam heftig, und – wie sich das für einen gelungene Wendepunkt gehört – völlig unerwartet. Irgem wann vor gut drei Jahren meldete sich Regisseur Paul Thomas Anderson, ein langjäh ger guter Freund. Der entwickelte gerade dai Drehbuch für einen Episodenfilm namen; „Magnolia“, hatte dabei an Aimees Lieder ge dacht und bat sie, einen Soundtrack zu schreiben, der möglichst eng mit den Figuren verknüpft sei. Der Film wurde grandios, und Aimee Manns Songs spielten darin eine nicht un wichtige Rolle. Auf einmal wurdC Aimee, ziemlich vergessen und glücklos, wie sie lange gewesen war, vom Mainstream-Publikum entdeckt.

Damit nicht genug I Vi Song „Save Me“ wurde sogar für einen Oscar nominiert – eine Riesensache, selbst wenn Mann erwartungsgemäß keine Chance h. te gegen Phil Collins‘ „‚I.ir/.m“ Lied. Dennoch: Das „Magnolia“ Album verkaufte sich daraufhin 300.000 Mal – ein unerwarteteter Karriere-Turbo, der Mann zi ganz neuen geschäftliche] Weichenstellungen veranlassi Sie kauft ihr bereits fertig gestelltes Album „Bachelor No. 2“, auf dem auch vier „Magnolia“-Songs enthalten sind, von Interscope zurück, stellt es zunächst zum Verkauf ins Netz und veröffentlicht es schließlich auf dem eigenen Label „SuperEgo Records“. Ergebnis: eine Viertelmillion verkaufte Exemplare. „Und weil ich alles selber mache und nichts teilen rnuss, verdiene ich mehr Geld als je zuvor“, freut Mann sich, „endlich kann ich auf Tour auch mal richtig essen gehen, statt von Orangensaft und Studentenfutter zu leben.“

Natürlich reißen sich die großen Companys mittlerweile um Frau Mann. Warner etwa, die Firma, bei der „Magnolia“ erschienen war, bot sogar recht ansehnliche Summen. Aber „jetzt, da ich weiß, wieviel mehr Spaß und Geld ich mit einer eigenen Firma habe, gibt es keinen Grund mehr, in die Arme des Systems zurückzukehren.“ Nur in Europa vertraut sie mehr oder weniger zähneknir-

schend auf die Zusammenarbeit mit handverlesenen Plattenfirmen, denn „so viel Geld haben wir auch noch nicht verdient, dass wir nun auf jedem Kontinent Filialen aufmachen könnten.“ Aus „SuperEgo“ soll demnächst „United Musicians“ werden, ein lockerer Zusammenschluss von Musikern, irgendwo zwischen Interessenvertretung und Plattenfirma. Haken:

Vor lauter Geschäftigkeit und wegen der ständigen Tourerei komme ich kaum dazu, neue Lieder zu schreiben. Seit ‚Bachelor‘ fertig ist, habe ich es auf gerade mal zwei neue Songs gebracht.“

Abends, die Entscheidung des Obersten Gerichts ist gerade gefallen, betritt Aimee Mann die Bühne des proppenvollen „Fillmore West“, des vielleicht berühmtesten Hippie-Clubs der Welt. „Hallo Leute“, begrüßt sie das ausverkaufte Haus. „Wisst ihr schon das Neueste? Vier Jahre Comedy!“ Zumindest Aimee Mann dürfte in Zukunft noch eine ganze Menge zu lachen haben.