Board Aid


Ich verachte Snowboarder. Sie sind der Bodensatz der Alpin-Sport-Gesellschaft. Sie erinnern an einen primitiven Stamm. Sie verunstalten ihre kleinen Leiber mit „Tribal Tattoos“, simplen Piekereien, die wie Stacheldraht unter der Haut aussehen. Sie stecken sich Dinge durch Nase/Ohren/Zunge/Sonstwas, die auf die Altmetallsammlung gehören. Sie tragen alle die gleichen Sonnenbrillen und färben sich die Haare blond. Sie tragen schicke Klamotten – leider nicht in ihrer Größe. Und die einzige Möglichkeit ihre Beinchen zusammenzuhalten ist die, sie nebeneinander auf ein Brett zu schnallen. Mit dem sie dann die Pisten derart abschaben, daß sich unsereins, traditionelle Abfahrtsläufer, zwangsläufig auf die Schnauze legen muß. Sie sind ein Hindernis, sowohl auf der Piste, als auch abseits davon. Beispielsweie auf der einspurigen Straße, die von Los Angeles hinauf zum Bear Mountain Ski Resort führt.

Mindestens zu fünft pro Kleinwagen zusammengepfercht, quälen sie sich den Berg hinauf… mit weniger Worten: Sie sind schlichtweg blöd und machen mir das Leben zur Hölle. Okay, vielleicht liegt mein Haß auch darin begründet, daß ich mir beim ersten Snowboard-Versuch fast die Schulter gebrochen hätte. Daß ich mir dabei alt und albern vorkam. Wie auch immer. Fakt ist: Die Aussicht auf ein Snowboard-/Punk-Festival versaute mir so richtig den Tag, erst recht, als ich oben angekommen feststellte, daß der Feind in der Überzahl war: ca. 10.000 Snowboarder gegen mich und meinen Fotografen. Das Schöne: Am Ende sollte ihnen der Tag versaut – und ich glücklich sein. Der Reihe nach: Um 10 Uhr 30 bestieg die erste Band, 7 Year Bitch, ein armseliges Trio kreischender Walküren, die Bühne. Abgesehen von der unchristlichen Stunde war es natürlich vollkommener Irrsinn zu glauben, daß irgendjemand an diesem strahlend blauen Morgen so etwas hören wollte. Derweil kämpften die Massen bergauf mit dem einzigen Lift, bergab mit dem sulzigen Schnee, der alsbald dem Ersten die Knochen brach (die Ambulanz hatte an diesem Tag Hochkonjunktur). Unser Zwei-Mann-Team hingegen suchte nach Erfrischungen.

Wie nicht anders zu erwarten bei einem Festival für Minderjährige und einen guten Zweck (AIDS-Hilfe), wurden keinerlei Alkoholika ausgeschenkt. Wir ahnten das. Wir waren vorbereitet! Schnell das Bier aus dem Skisack, das Acid auf die spröden Lippen, das Hawaiianische Heilkraut gegen den kalten Wind in die Lungen – allrightallrightallright! Die nächste Band – Sublime – gefiel da schon besser. Ein hundsgemeiner Bass blubberte unter ihrem Mix aus Ska-/Surf-/Punkrock, junge Mädchen tanzten, die Sonne schien mit der Kraft von 100 Herzen – so hätte das eine runde Sache werden können. Doch in der nächsten Pause bekam das Publikum die schreckliche Macht imperialistischer Konzertveranstalter zu spüren. Zwei Rowdys wurden abgeführt, weil sie es gewagt hatten, Schneebälle zu werfen. Ein Dritter – dreadbelockter Dussel! ließ sich beim Kiffen erwischen und wurde nie mehr gesehen. Das Ganze wurde stolz übers Mikro bekanntgegeben, anschließend wurde das Volk aufgefordert, „unseren Jungs in der Half-Pipe“ (tollkühne Skateboarder auf ihren fliegenden Brettern) „ordentlich Beifall zu klatschen“. Tres Punk – es war Zeit, die Vorräte aufzubrauchen und ein Nickerchen abzuhalten. Unwritten Law, so ’ne Art Green Day, spielten wohl in der Zeit, aber egal: Wir mußten Kräfte sammeln für die letzte Runde, den Auftritt von Bad Religion. Sie waren die einzigen, die den Berg leerfegten und die 10.000 vor der Bühne versammeln konnten.

Sehr zu unserem Leidwesen, denn unser Pressepass war plötzlich einen Scheißdreck wert. Statt gebührendem V.I.P.-Treatment verbannte man uns in die erste Reihe, an den Rande der Mosh-Pit, ins Auge des Sturms! So stand ich denn – Gesicht zur Menge – im Schnee und versuchte, meinem Fotografen den Rücken zu decken. Von hinten hörte ich prima Aggro-Musik, Songs wie ‚We’re Only Gonna Die‘ (in dieser Situation mein Favorit), ‚No Control‘, ‚Recipe For Hate‘, ‚Suffer‘, ‚How Can Hell Be Any Worse‘ (paßte auch), sowie jede Menge Material von der neuen CD. Von vorne kamen meine Feinde angeflogen, direkt in Reichweite meiner Fäuste. Da, schon wieder einer. Getragen von zig Händen schießt er auf mich zu, denkt, ich werde ihn auffangen. Angetäuscht, Ausfallschritt – rrumms – da liegt er, winselnd, der Snowboarder. Verdeckter Uppercut, gelegentlich ein Knie nach oben: Payday, die Stunde der Vergeltung. Ab und zu drehe ich mich um, und den glücklich-verzerrten Mienen von Sänger Greg Graffin und Gitarrist Greg Hetson nach zu urteilen, die sporadisch zwischen den beiden Kreuzen der Security-Guards auszumachen waren, machte ihnen das Spektakel genauso viel Spaß wie mir. Eine Stunde später war es vorbei. Ich hatte Zahnabdrücke im Schienbein, Mütze und Sonnenbrille verloren, dafür die Telefonnummern von einer Hula-Hoop-Tänzerin und einer Sammlerin von Barbie-Puppen (Lieblingspuppe: ‚Slut Barbie‘, O-Ton) in der Tasche. Es war ein guter Tag.