Bob Geldorf


Daß er sich mit seinen Boomtown Rats nicht mehr in den Charts-Spitzen einnisten kann, bereitet ihm weiter kein Kopfzerbrechen. Geldof, 1982 durch seine Hauptrolle im Pink Floyd-Film "The Wall" populär geworden, ist von den Mechanismen des Musikgeschäftes ohnehin eher gelangweilt. Mehr noch: Wenn er über Kollegen und vor allem die Medien ein Füllhorn des Spottes ausgießt, macht er seinem Spitznamen "Das Großmaul" alle Ehre. Mit dem Erfolg, daß Geldof wiederum zur bevorzugten Zielscheibe der englischen Presse erklärt wurde. Doch in dieser Rolle fühlt sich der streitbare Ire sichtlich wohl...

ME/Sounds: In den beiden Jahren zwischen den letzten Alben waren die Boomtown Rats auf Tournee in Indien, Malaysia, Singapur, Thailand, Rumänien, Israel… Warum diese ungewöhnlichen Orte?

Geldorf: „Ich habe es einfach satt, eine Platte zu machen und dann in England, Europa und den USA zu touren, um diese Platte zu präsentieren. Man gerät allzu schnell in diese Mühle: Sobald eine Tour beendet ist, fängt man mit der nächsten LP an und so weiter … Ich hieht einen drastischen Schritt einfach für notwendig. Unsere vorletzte Platte (MONDO BONGO) war ein klassischer Flop, völlig erfolglos. Was uns echt enttäuschte, denn das war unsere bisher beste LP. Ich will damit nicht kokettieren, es ist wirklich so.

Jedenfalls: Die Platte verstaubte in den Regalen – und man riet uns allseits, eine Europatournee zu machen, um den Verkauf doch noch anzukurbeln. Aber ich sagte: ‚Fuck it, ich hab’s satt! Statt dessen machten wir uns auf in diese Länder, was mir auch wieder die Lust am Spielen gab.

ME/Sounds: Habt ihr in diesen Ländern euer reguläres Repertoire gespielt?‘ Geldorf: „Nein, das war auch noch ein positiver Aspekt: Wenn wir in Europa touren, wollen die Leute nur ‚Rat Trap‘ und ‚I Don’t Like Mondays‘ und all den Shit hören. Was ja auch ganz verständlich ist; wenn ich zu Bowie gehe, warte ich auch auf ,Ziggy Stardust‘. Aber aufgrund dieser Erwartungshaltung geht es einem auf den Keks, die gewünschten Stücke zu spielen.

Mitten in Indien, wo noch nie eine Rockband hingekommen ist, hatten die Leute nicht die leiseste Ahnung, wer wir überhaupt waren. Und das war ein befreiendes Gefühl. Wir konnten sogar Songs anderer Bands spielen, was uns richtig Spaß machte. Ich stand da vor zehntausend hüpfenden Turbanen und fühlte mich großartig.“

ME/Sounds: Ihr wart in Israel, als Beirut bombadiert wurde. Was denkst du zum Beispiel über den Human League-Song „The Lebanon“?

Geldorf: (Schneidet Grimassen) „Das sind ihre Ansichten – und als solche durchaus gerechtfertigt. Aber als Song ist er ein Leichtgewicht, insofern er sich auf Polemik beschränkt. Seine Essenz ist: Was passiert, wenn die Soldaten wieder abgezogen sind? – und nichts weiter. So ähnlich wie ’ne Geschichte in der Bildzeitung; hundertprozentig oberflächlich.

ME/Sounds: Glaubst du nicht, daß dieser Themenkreis innerhalb der Popmusik ohnehin reichlich suspekt ist? Ich bin ziemlich skeptisch, wenn Police in ihrer Hotelsuite in Bombay sitzen und ihnen die Armut dort Tränen in die Augen treibt „Driven To Tears …“ Alles, was dieser Song ausdrückt, ist doch nur: „Mein Gott, schaut nur, wie sensibel ich bin; wie sehr mich das Leiden anderer Menschen berührt!“

Geldorf: „Ich fand den Song schon immer kompletten Blödsinn. Sie spielten in Bombay, das stimmt, aber hauptsächlich, weil es sich auf dem Rückweg von Australien geradezu anbot. Rein und raus. Sie wurden mit der Armut dort fast nicht konfrontiert.

Aber Sting ist kein unintelligenter Mensch. Viele Leute glauben ja, eine Popgruppe sei völlig isoliert von der Realität; aber das ist ein gravierendes Mißverständnis. Selbst mit halbem Hirn lebst du als Musiker genauso bewußt wie jeder andere. Doch auf einer langen Tour muß man wohl bestimmte Eindrücke verdrängen, weil man sonst geradezu überflutet wird. Ich kann mir vorstellen, daß Sting wahrscheinlich nach einer Tournee durch solch ‚westlich-zivilisierte‘ Länder wie Japan oder Australien plötzlich in Bombay wieder zu Bewußtsein kam – und daß er in dem Song dieses Schockgefühl ausdrücken wollte.

Die Tatsache, daß er ein reicher Mann ist, entwertet seine Beobachtungen nicht automatisch, wirklich nicht! Für mich wäre es eine ebenso lächerliche wie vergebliche Geste, mein Geld wegzugeben – nicht daß ich etwa so betucht wäre wie Sting – als wolle ich sagen: ‚Schaut doch, wie toll ich bin, ich geb‘ was her von meiner Kohle…‘ Ich stimme sicher nicht mit allem überein, was Sting macht, aber innerhalb seines Mediums tut er das Mögliche.“

ME/Sounds: Aber allzu oft scheint es, als benötigten Popstars ein Publikum, das ihrer Ehrenhaftigkeit applaudiert…

Geldorf: „Ja, dem kann ich nur beistimmen, das ist wirklich Scheiße. Und bei Police ist das spürbarer als bei anderen: Jedesmal wenn Sting ein Buch liest, scheint er ein Album draus machen zu müssen. So bekommen wir dann seine halbgare Arthur Koestler-Philosophie serviert …

Ich kenne Sting ein bißchen. Er verschlingt all das Zeug und spuckt es wieder aus, ohne es unbedingt verdaut zu haben. Andererseits stehe ich doch mehr auf Sting-Songs als auf ,Yummy, yummy, yummy/I’ve got love in my tummy‘. Doch ich stimme dir zu – Musiker erwarten vom Publikum Applaus für ihre Tugenden. Das gilt für die unterschiedlichsten Leute, sogar für die Stones. Und deren Tugenden sind ja nicht unbedingt über jeden Zweifel erhaben. Auch für The Clash, für die meisten Leute aus der Zeit von 76/77.“

ME/Sounds: Sind die Boomtown Rats als Gruppe überhaupt noch wichtig für dich?

Geldorf: Ja. Vor allem ist es eine Verantwortung. Ich meine die Verantwortung, die durch eine Freundschaft entsteht – und die ist mir sehr wichtig. Ich kenne jeden in der Band jetzt mindestens 15 Jahre, einige sogar weitaus länger, (Gitarrist) Garry (Roberts) seit meinem achten Lebensjahr. Und wir kamen nicht durch so ne kleine Anzeige hinten im Melody Maker zusammen. The Boomtown Rats sind eine wirklich exzellente Live-Band! Ich war stolz darauf, wie wir einem Publikum, das gar nichts von den Inhalten unserer Songs verstand, dennoch etwas vermitteln konnten. Und mir kam der Gedanke, daß Rockmusik vielleicht wirklich die große Kunstform des 20. Jahrhunderts ist, wie blöd das jetzt auch klingen mag.

Rock überwindet wirklich alle Sprachbarrieren. In Bangalore spielten wir ‚Ziggy Stardust‘, ‚Get Up, Stand Up‘ und ‚I Want To Hold Your Hand‘. Das Publikum hatte nicht die leiseste Ahnung von David Bowie oder Bob Marley, vielleicht irgendwann mal was von den Beatles läuten hören und absolut keinen Schimmer, wer die Boomtown Rats waren. Aber die Reaktion war die gleiche wie die eines Publikums in München oder in Cleveland, Ohio: im Nu fingen sie an zu tanzen. Das hatte ich nicht erwartet. Und wenn Keith Richards in China mit blang dang dangdangdangdang loslegen würde (er singt die ersten Takte von ,Honky Tonk Woman‘), würden die Chinesen genauso ausrasten.“

ME/Sounds: Wieviel hast du eigentlich in deiner Zeit als Journalist über Musik geschrieben?

Geldof : „Ne ganze Menge. Ich war Musikredakteur bei einer kanadischen Zeitung. Als ich nach Irland zurückkam, schrieb ich frei für den Melody Maker und den New Musical Express.“

ME/Sounds: Und es ist anzunehmen, daß du als Kritiker die personifizierte Fairneß warst, oder? Der einzige konstruktive, intelligente, objektive Beobachter der Szene…

Geldof (grinst): „Nein, nein… aber wenn mir was nicht gefiel, versuchte ich eine witzige Geschichte drum herum zu basteln. Ich schrieb nicht einfach: ‚Die sind beknackt‘, einfach so unqualifiziert, wie viele von diesen heutigen Typen das tun. Erst kürzlich fiel mir einer meiner alten Artikel in die Hände, von ’73, als die Stylistics den Philadelphia Soul nach Dublin brachten. Das war ehrlich ganz gut geschrieben. Oder als ich Kiss interviewte und die ganze Zeit nur über die Ausbuchtungen in ihren Hosen schrieb, weil mir zu ihrer Musik nichts einfiel.

Die Rockjournalisten sind einfach zu selbstgerecht heute. Inzwischen hat sich ein regelrechter Krieg zwischen ihnen und uns entwickelt. Die englische Rock-Presse ist doch völlig im Arsch: ich spucke auf diese Wichser. Ich würde aus dem Zimmer gehen, wenn einer vom NME jetzt reinkäme. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich diese Leute hasse.“

ME/Sounds: Du bist schon mehrfach sehr persönlich von ihnen angegriffen worden, oder?

Geldof: „Ja. Um es mit Keith Richards‘ Worten zu sagen: ‚Ich wurde noch nie von so vielen Menschen gehaßt, denen ich nie begegnet bin.‘ 99 Prozent der Sachen, die sie über mich schreiben, sind erstunken und erlogen und extrem bösartig. Es gipfelte darin, daß eines dieser Schmierblätter meiner schwangeren Freundin riet, sie solle doch lieber abtreiben, als einen Geldof-Bastard in die Welt zu setzen.“

ME/Sounds: Wirklich? Das ist in der Tat nicht allzu witzig.

Geldof: „So geht das die ganze Zeit. Seit mehr als drei Jahren habe ich keinerlei Kontakt mit der britischen Musikpresse, außer mit Smash Hits „und No. 1 (etwa vergleichbar mit Bravo und PopRocky -S. L). die finde ich noch am besten. Und die haben die höchste Auflage – Smash Hits zum Beispiel eine doppelt so hohe wie der NME. Mit ihnen rede ich. weil sie das bringen, was Popmusik ist: Glitzer und Glimmer. Klatsch und Songtexte.“

ME/Sounds: Das klingt, als wolltest du dich verteidigen. Wärst du nicht doch lieber Hätschelkind der etwas anspruchsvolleren Rockmagazine ?

Geldof: „Nein. Denn deren Favoriten sind völliger Schrott. Zum Beispiel die Smiths! Ha! Ein schlechter Witz, was die machen! Nichts als ein Haufen Scheiße! Ich kann mich noch gut an die Hippies von ’67 erinnern, und die heutigen sind um keinen Deut besser. Am besten gefallen mir noch Culture Club. Duran Duran, Spandau Ballet und die Euryhtmics – sie machen wirklich anständige Musik. Aber nicht solche Wichser wie die Smiths.“

ME/Sounds: Ich persönlich kann mich für keines dieser beiden Lager so recht erwärmen…

Geldof: „Als Lager kann man das auch nicht bezeichnen. Ich halte Culture Club für eine der besten englischen Bands seit langem. Sie schreiben brillante Texte, sind sehr persönlich und spielen zudem ungeheuer stilsicher. George kann sein ganzes Auftreten obendrein auf intelligente Weise artikulieren. Und wie alle guten Popbands komprimieren sie das Zeitgefühl, spiegeln es wider.

Die Smiths spucken doch nur das NME-Gefasel aus. das mir schon von Anfang an zuwider war. Sie sehen sogar aus wie die NME-Schreiberlinge – und die gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Es muß wohl irgendwo einen NME-Shop geben, wo sie sich alle mit diesen Wolimänteln und Hochwasserhosen und Punk-Schuhen eindecken. Und sie haben alle denselben Haarschnitt und das gleiche nichtssagende, schmächtige, spitze kleine englische Gesicht!“ (Lacht) ME/Sounds: Nun, da ist sicher was Wahres dran. Aber um kurz auf die Tatsache zurückzukommen, daß Popmusiker Spiegelbild ihrer Zeit sind: Es ist doch interessant, daß Mitglieder beider Trends eine absolute Anti-Sex-Haltung verkörpern. Boy George und Marilyn behaupten beide ernsthaft, am liebsten mit Teddybären ins Bett zu gehen. Andererseits predigt auch der Sänger der Smiths, Morrissey, ständig die Ethik des Zölibats und erzählt, er hielte Sex für eine schrecklich eklige Sache. Was läßt sich daraus wohl schließen ?

Geldof: „Eigentlich gar nichts. Nicht jeder sagt, was er tut. Es ist einfach ein Spiel. Marilyn und George sind extrem narzißtisch. Und Morrissey sagt das nur, weil mit ihm sowieso niemand bumsen würde, er ist doch potthäßlich.

Man darf grundfalsch keinen dieser Sprüche ernst nehmen. Johnny Rotten pflegte zu sagen: ‚Welche Lüge soll ich ihnen heute auftischen?‘ Sex wird natürlich überbewertet, das stimmt. Ich war schon immer der Meinung, es sei völliger Blödsinn, das Ganze so aufzubauschen. Sex ist bestimmt nicht nur ‚zwei Minuten schmatzender Geräusche‘, um noch mal Johnny Rotten zu zitieren, aber irgendwann wird’s langweilig.

Wahrscheinlich bekommt man diese Einstellung, wenn man soviel rumgevögelt hat. Ich spreche jetzt nicht nur über mich, sondern über die meisten Musiker. Bevor ich in einer Band spielte, war’s ganz schön vertrackt, ein Mädchen aufzureißen: keine wollte was von mir wissen – bis ich auf der Bühne stand. Nach dem zweiten Gig meines Lebens ging’s los und ab dann… wow!

Aber ist ja auch egal: um auf deine Frage zurückzukommen: Ich glaube, es ist im Moment einfach das heißeste, Desinteresse am Sex vorzugeben. Das hat nichts zu bedeuten.“

ME/Sounds: Sprechen wir zur Abwechslung einmal über die Boomtown Rats: Wie würdest du die Grundstimmung des neuen Albums charakterisieren ?

Geldof: „Ist das nicht dem Job? Mmmm … es ist eine Protestplatte, nicht im Stile von Barry McGuires ,Eve Of Destruction‘. Sie drückt keine jammernde Unzufriedenheit aus, sondern eher ‚J’accuse‘. Ich weiß nicht, wen ich wofür anklage, aber ich bin ärgerlich, unzufrieden und habe einfach das Gefühl, daß etwas verdammt faul ist. Vielleicht reichlich fatalistisch.“

ME/Sounds: Glaubst du an so etwas wie Schicksal?

Geldof: „Es ist so: Das Schicksal spielt mir einen Ball zu – und meistens fang ich ihn auf und spiele weiter. Die Band zum Beispiel war nie geplant, sie hat sich einfach so ergeben.

Genauso war es mit dem Film ,The Wall‘: Als das erste Angebot kam, sagte ich einfach ja, obwohl die Chancen groß waren, einen kompletten Narren aus mir zu machen. Und als meine Freundin Paula schwanger wurde, womit keiner von uns beiden gerechnet hatte, fand ich das auch großartig. Die meisten Sachen haben sich einfach ganz beiläufig ergeben. Es wurde behauptet, die Boomtown Rats wären extrem berechnend, hätten klar umrissene Ziele. Das Gegenteil ist der Fall: Wir nutzten einfach die Gelegenheiten, die sich uns boten.“

ME/Sounds: Als du die Rolle in ,The Wall‘ annahmst, schoß dir da nicht der Gedanke durch den Kopf, daß es sich negativ auf dein Image auswirken könnte, wenn du mit einem Pink Floyd-Projekt assoziiert wirst?

Geldof: „Nicht nur das, ich hab ne Menge darüber nachgedacht. Und dann kam ich zu dem Schluß, daß es sich auf mein Bankkonto sogar sehr positiv auswirken könnte. Und ich dachte, wenn schon Film, dann lieber gleich mit einem der besseren Regisseure Englands. Außerdem vermutete ich, daß es gute Werbung für die Boomtown Rats in Amerika sein könnte, daß auch die große Schar der Pink Floyd-Fans auf uns aufmerksam würde.

ME/Sounds: Wie reagiert eigentlich der Rest der Band auf deine Schauspielerei?

Geldof: „Die finden das zum Kotzen.“

ME/Sounds: Weil es Projekte der Band aufhält?

Geldof: „Nicht so sehr deswegen. Es gefällt ihnen nicht, daß ich einiges an Kohle mehr mache als sie. Jeder dieser Filme hat mich sechs bis acht Wochen Arbeit gekostet – und das ist ja nicht so lang. Man tourt sowieso nicht andauernd. Ich muß die Möglichkeit haben, auch meine eigenen Sachen zu machen, ob es ihnen nun paßt oder nicht.“

ME/Sounds: Besteht die Möglichkeit, daß die Schauspielerei einmal Überhand nehmen wird?

Geldof: „Bestimmt nicht, denn die Band ist es, was mich wirklich befriedigt. Im Moment aber finde ich die Filmerei einfach faszinierend. Ich weiß, daß ich kein großartiger Schauspieler bin, aber übel bin ich auch nicht gerade, und vielleicht kann ich mich noch verbessern.

Außerdem ist es eine Abwechslung von all den Boomtown Rats-Angelegenheiten: Ich manage die Band, schreibe alle Songs und muß neue Ideen auf Lager haben. Das ist eine Verantwortung, die mich manchmal buchstäblich rund um die Uhr beansprucht. Manchmal verbringe ich schlaflose Nächte, weil ich mir über Verträge und so weiter den Kopf zerbreche.

Bei einem Film sagt der Regisseur: ‚Geh da rüber und mach dies und jenes!‘ und meine einzige Verantwortung besteht darin, so gut wie möglich zu spielen. Wenn ich dann zur Band zurückkomme, habe ich meist ’nen Sack neuer Ideen dabei, die nur noch zu Songs geformt werden müssen. Ich kann die Songs ganz klar in meinem Kopf hören, aber manchmal ist es ganz schön schwierig, sie so umzusetzen, wie sie klingen sollen… aber da steigt die Band ein und ich denk‘ mir: Ja genau, genauso hab‘ ich mir das vorgestellt.“

ME/Sounds: Würdest du die anderen Bandmitglieder als genauso kreativ wie dich bezeichnen?

Geldof: „Was für eine Frage! Die Antwort ist vermutlich nein. Ich sage das nicht aus Arroganz, sondern weil nun mal die Ideen von mir kommen. Ihr Job ist es, was damit anzufangen. Bei mir spielen sich keine mysteriösen kreativen Prozesse ab, die Sachen kommen mir einfach so in den Sinn. Ich komme auf Melodien, die mir eigentlich ganz selbstverständlich erscheinen, eine Melodie klingt oft, als würde es sie schon längst geben. (Er singt ,An der schönen blauen Donau‘.) Ich bin mir ganz sicher, daß Strauß gedacht hat: ‚Scheiße, diese Melodie hat todsicher schon jemand vor mir gefunden!‘ Ich frage die Band oft, ob sie dies oder jenes, was mir gerade einfällt, schon mal gehört hat; und sie hören sich’s an und verneinen. Erstaunt mich immer wieder. ‚Tonight‘, ein Song auf unserer neuen LP, klingt so einfach, daß man denkt: ‚Shit, jeder Nächstbeste hätte das schreiben können.‘ Aber dem ist nicht so, komischerweise.

Ich mach‘ mir immer total ins Hemd, wenn ich so was schreibe, ob ich nicht bis an mein Lebensende eine Plagiats-Klage am Hals haben werde. Songs zu schreiben ist wirklich nichts Besonderes, ich halte das für kein großes Talent. Ich schreibe, die Band greift es auf, fügt die Harmonien dazu und so weiter. Sie sind Musiker, das geht ganz von selbst.“

ME/Sounds: Hast du Kontakt zu anderen Songwhtern, tauscht ihr mal Ideen aus?

Geldof: „Nein, ich kenne fast keine anderen Musiker. Midge Ure von Ultravox, er ist ein echt netter Kerl. Sonst niemand. Deswegen lasse ich mir aber keine grauen Haare wachsen, denn ich hielt die ,Class of 1976′ noch nie für eine Vereinigung besonders liebenswerter Zeitgenossen. Die Sex Pistols waren komischerweise noch die nettesten. Alle anderen hatten massive Ego-Probleme und hielten sich für die Größten.

Natürlich ist man sich jetzt allgemein darüber einig, daß 99,9 Prozent dieser frühen Punksachen totaler Schrott waren. Die neuen Bands sind da weitaus annehmbarer. Duran Duran und Spandau Ballet sind immer recht fair zu mir, wenn wir uns mal über den Weg laufen; vielleicht, weil ich aus der Musiker-Generation vor ihnen stamme. Sie sahen mich im Fernsehen, als sie noch die Schulbank drückten.“

ME/Sounds: Was ist das für ein Gefühl?

Geldof: „Es ist mir scheißegal. Ich finde es ganz lustig, das ist alles. Jetzt checke ich sie im Fernsehen aus, sie sind schließlich die Konkurrenz. Sie haben es sich auf dem Platz bequem gemacht, auf dem wir vor vier, fünf Jahren saßen. That’s the way it goes. Zuerst schnappte ihn sich Adam Ant, danach Human League und jetzt Boy George. So was hat mich schon immer kaltgelassen, ich hatte nie ein besonderes Interesse an meinem Status als Popstar. Wir sind die besten Boomtown Rats der Welt- und das genügt mir.“

Sollte dieses Interview provozierend oder auch nur amüsant wirken, so liegt das bestimmt nicht am Interviewer. Um es ganz deutlich zu sagen: Man könnte einen Affen mit ’nem Mikrofon in Bob Geldofs Hotelzimmer schicken – und er würde mit einer Cassette voll flotter Sprüche wieder rauskommen. Geldorf redet gerne, besonders über sich selbst und ist gerade dann kaum zu bremsen. Seine typisch irische Schnauze wird dabei durch das Popstar-Ego noch zusätzlich geölt.

Gleichzeitig ist er sich aber völlig im Klaren, was hier eigentlich gespielt wird. Durch seine Vergangenheit als Musikjournalist weiß er nur zu gut, welche Statements die Augen eines Redakteurs aufleuchten lassen. Er denkt sozusagen in Schlagzeilen, ist aber trotz dieser berechnenden Cleverneß witzig und unterhaltsam. Überraschenderweise für eine Zeit, in der die Körpergröße normalerweise im umgekehrten Verhältnis zum Ego steht, ist Geldorf wirklich groß. Während des Gesprächs verrenkt er seine langen, knochigen, spinnenhaften Gliedmaßen, als hätte er Gummigelenke.

Als der Cassettenrekorder seine Schuldigkeitgetan hat, rückt Geldorf noch mit weiteren Plänen raus: Neben seinen Boomtown Rats-Aktivitäten wird er mit einem TV-Dokumentarfilmteam als Standfotograf nach China reisen; außerdem hat er sein erstes Drehbuch geschrieben und von der irischen Filmförderung 5000 Pfund kassiert, um es weiter auszuarbeiten … Faulheit ist eine der typisch irischen Eigenschaften, derer sich Geldorf bestimmt nicht rühmen kann. (sl)