Bongos Über Bayern


Nix für ungung!

Von den Geheimnissen der bulgarischen Stimmen bis zum Chor der Haschisch-Kneter aus Kabul haben sie uns die ganze Welt aufgeschwatzt, die Trend-Spione des vielfarbig gedruckten Zeitgeistes. Doch diesmal haben die schnellen Gazetten geschlafen: Die Chart-Erde bebt unter der Urgewalt im eigenen Land. Der neue megahipe Ethno-Orkan ist da: die Naabtal-Wawe.

Und was haben wir unseren westlichen Konsum-Öhrchen alles zugemutet: Ost-Sudanesische Wanderprediger, kaukasische Paprika-Pflückerinnen, jemenitische Weihnachtsbäume, algerische Minarett-Jodler. Die Sound-Kraft der Naturvölker segelt in der Ethno-Thermik durch die Stratosphäre bundesdeutscher Hitlisten -— und die Nation swingt im Sound aus Entwicklungs-Land. Kaum ein Asylbewerber kann noch über die Straße gehen, ohne von einem Trend-Geier angemacht zu werden: „Du wollen tauschen Cassette von deine Heimat mit nagelneue 501?“

Wohlgemerkt: Nichts gegen die Entdeckung bislang weißer Flecke auf der musikalischen Landkarte. Doch wer da was und warum entdeckt, entbehrt nicht einer unfreiwilligen Komik.

Nennen wir ihn Gisbert. Gisbert weiß, daß nichts älter ist als die Swatch vom Vormonat. Wenn er wirklich hip sein will, muß er alle Erwartungshaltungen links überholen. Acid House? Pah, kennt doch jeder! Balearic Beat? Auch schon wieder von vorgestern.

Die dicken Frauen aus Sofia, „Geheimnis der bulgarischen Stimmen“ genannt, sind da ein weitaus cooleres Aushängeschild. Vom Hamburger Zeitgeist („Tempo präsentiert“) abgesegnet, sitzt Gisbert nun da, wo er eigentlich nie wieder hinwollte, und lauscht in einer Kirche den braven Bäuerinnen aus Bulgarien. Und wartet darauf, daß ihm der Zeitgeist noch ’nen garantiert coolen Tip gibt.

Doch Vorsicht, Gisbert, sollte dir bei der Jagd nach dem grünen Trend-Diamanten ein noch viel abartigeres Geheimnis entgangen sein? Hast du und deine guten Zeitgeister am Joystick der Hip-Maschine nicht bemerkt, daß der deutsche Tanzboden wieder zu zittern begint? Die Vorboten des neuesten Ethno-Erdbebens verpaßt? Du hättest dabei deinen Mode-Blick gar nicht so weit über die Kontinente schweifen lassen müssen, der heißeste Welt-Beat kommt von einem kleinen Volksstamm tief im Süden unserer Republik, von den Eingeborenen eines kleinen Tals in der bayerischen Oberpfalz. Zu spät, Gisbert, Zehntausende haben das vor dir entdeckt und das fremdartig-religiöse „Patrona Bavariae“ vom Original Naabtal Duo in die Charts gekauft.

Dabei war es vom jemenitischen Hochzeits-Lied zur Hymne an den bajuwarischen Schutz-Heiligen doch nur ein winzig kleiner Schritt. Schließlich haben wir auch im eigenen Land unsere ethnischen Minderheiten, die auf archaischen Musikinstrumenten ihre ehrlichen Lieder über die Freuden des einfachen Lebens begleiten.

Zum Beispiel Wolfgang Edenharter und Willie Seitz, der eine Postbeamter in Petzendorf, der andere Textilverkäufer in Regensburg. Beide leben die Tradition ihres oberpfälzischen Volkes, und seitdem Wolfgang “ von Burglengenfeld nach Steinsbach umgeheiratet hat“, musizieren sie auch gemeinsam. Jahrelang spielten sie mit Schlagzeug und Akkordeon auf den Hochzeiten, Taufen und Ernte-Festen in ihrem Tal und entwickelten dabei einen ganz eigenen und echt coolen Sound. Wolfgang Edenharter ist stolz, jenseits der Oberkrainer einen ganz persönlichen Weg gefunden zu haben: „Des is net des Althergebrachte, wost Singa und Jodln mußt. Des ist viel, viel anspruchsvoller. „

Das Naabtal-Duo geht auch in Sachen Technik einen sehr undogmatischen Weg, vergleichbar mit Mory Kante, der sein traditionelles Cora-Spiel mit modernem Dance-Groove verbindet. So setzt Willie Seitz gerne ein elektronisches Schlagzeug ein; Edenharter mischt in den obertonreichen Natur-Sound seines Akkordeons aktuelle Synthielänge: „Mei Akkordeon ist wie a Orgel —- ich hob mit MIDI an Expander dro, des ist super. Aber mir spuin alles selber. Was mir einitun, kummt a wieder ausi.“

Natürlich weiß auch Edenharter, daß andere Ethno-Acts erst den Weg für das Naabtal Duo in die Charts ebnen mußten: „Ich finds riesig, daß sowas eint kummt. Des muß ma akzeptiern, weil uns die heut auch akzeptieren.“ Tatsächlich —- die Akzeptanz ist so groß, „daß mir mit der Single etz sogar überm Jackson Michael stehn.“ Vor allem die Offenheit, mit der die beiden ihr musikalisches Schaffen sehen, macht die Naabtaler selbst für norddeutsche Ohren hörbar.

Edenharter kann sich sogar vorstellen, irgendwann mit afrikanischen Buschtrommlern eine Platte einzuspielen: „Probiern tat ich’s scho. Schließlich müssn wir Schwarzn ja zammhaltn“.

Entscheidend aber für die Zukunft der Ethno-Musik ist, daß die beiden Oberpfälzer ihren Erfolg allein mit der Urkraft ihrer Musik geschafft haben, ohne den Turbo-Trendbeschleuniger der Zeitgeist-Fabrik. Und für alle, denen diese Zeit noch immer nicht auf den Geist geht, gibt es gigantische versunkene Weltmusik-Schätze zu heben —- ganz in der Nähe des Naabtals: das Geheimnis der Regensburger Domspatzen. Alles bongo, sagt Euer