CALIFORNIA DREAMING


THE BEACH BOYS

MADE IN CALIFORNIA

Capitol/Universal

Der Soundtrack für ein mythisches Kalifornien: eindrucksvolle Werkschau der amerikanischen Pop-Institution mit 174 Songs auf sechs CDs.

„I love the colorful clothes she wears. And the way the sunlight plays upon her hair. I hear the sound of a gentle word on the wind that lifts her perfume through the air. I’m pickin‘ up good vibrations. She’s giving me excitations.“ Aufregend? Darauf dürfen Sie wetten. Und viel mehr als das: eine superbe Melodie. Zum Niederknien schöne Harmony Vocals. Eine mitreißende Performance. Eine dreieinhalbminütige Pop-Sinfonie. Ein Song für die Ewigkeit. Und: die – neben „Heartbreak Hotel“, „(I Can’t Get No) Satisfaction“,“Like A Rolling Stone“ und „Strawberry Fields Forever“/“Penny Lane“ – beste Single aller Zeiten. „Good Vibrations“, in vier Monaten (!) Studiozeit entstanden und am 10. Oktober 1966 veröffentlicht, folgte dem im Mai jenes Jahres erschienenen LP-Meilenstein PET SOUNDS auf dem Fuß. PET SOUNDS und „Good Vibrations“: die größten Momente unter vielen großartigen jener Band aus Hawthorne, Kalifornien, die als Surfrock-Combo begonnen hatte und bald zu der amerikanischen Pop-Institution schlechthin avancieren sollte, Brian Wilsons Genius sei Dank. Groß ist die Zahl der Beach-Boys-Originalalben, die mittlerweile, soundtechnisch überarbeitet, neu aufgelegt worden sind, unüberschaubar die der Best-of-Kompilationen, die allesamt die immer gleichen immergrünen Hits neben die immer gleichen immergrünen Keytracks diverser Longplayer zu stellen pflegen. Was an dieser Stelle die Frage aufwirft: Wem soll jetzt auch noch eine strikt limitierte, mit 80 bis 90 Euro nicht eben billige 6-CD-Box nutzen? Die Antwort lautet: Natürlich den Fans, denn über 60 unveröffentlichte Tracks (von 174) sind ein nicht zu schlagendes Argument. Aber auch den Novizen, denn mehr als 100 Hits und essenzielle Songs übertreffen jeden noch so gut gemeinten Sampler um Längen. Aber, Achtung: Nicht einmal das hier versammelte überaus üppige Material macht den Erwerb der regulären Alben überflüssig.

Nach der umjubelten Tournee vom vergangenen Jahr (samt Doppel-CD LIVE: THE 50TH ANNIVERSARY TOUR), dem Reunion-Album THAT’S WHY GOD MADE THE RADIO und der Neuauflage diverser Originalalben (ME 12/12) hat die Band unter der Regie des für seinen Geschäftssinn bekannten Mike Love tief in den Archiven gegraben. Für die Klangpolitur wurde das Grammy-prämierte Team Mark Linett, Alan Boyd und Dennis Wolf verpflichtet, das sich um die 2011 erschienenen SMILE SESSIONS verdient gemacht hat. Und das Ergebnis ist nicht weniger als spektakulär. Was ebenso für die Verpackung der sechs CDs gilt, die im Stile eines Highschool-Jahrbuchs daherkommt. Darin gibt’s: handschriftliche Einträge von Brian Wilson, Mike Love, Al Jardine, Bruce Johnston und David Marks, Nachbildungen von Artworks und Memorabilien, Archivfotos und Gimmicks sowie das Faksimile eines Aufsatzes, verfasst von Brian Wilson 1959, in dem er verkündet: „Ich möchte mich nicht mit einem durchschnittlichen Leben zufriedengeben, sondern mir mit meiner Tätigkeit einen Namen machen. Ich hoffe, dass das die Musik sein wird.“

Mission erfüllt -wie MADE IN CA-LIFORNIA eindrucksvoll unterstreicht: Viereinhalb CDs lang wird hier zunächst streng chronologisch die Karriere und musikalische Entwicklung der Beach Boys nachgezeichnet: von den ersten Demos über die frühen Singles („Surfin'“, „Surfin‘ Safari“,“Surfin‘ USA“, „Fun Fun Fun“,“I Get Around“, ihre erste US-Nummer-eins), teils in Stereo, teils in gloriosem Mono abgemischt, und Ausschnitte aus den epochalen Alben der mittleren bis späten 60er bis hin zu „Isn’t It Time“, ihrer bislang letzten 45er aus dem Jahr 2012, und zu „That’s Why God Made The Radio“. Die Band durch diese fünf Dekaden zu begleiten, zu hören, wie Brian Wilson seine Songwriter-Kunst entwickelt, wie er dabei von sonnigen Surfsounds zu betörenden (beizeiten auch verstörenden) Pop-Elegien kommt, wie er scheitert und sich aufzurappeln versucht, wie die Band später ohne ihren körperlich und geistig schwer angeschlagenen Mastermind verzweifelt einen Sommer feiert, der lange vorbei ist: All das ist heute noch spannend, mitunter schmerzlich, aber stets unterhaltsam. Allein: Es sind die 15 unveröffentlichten Live-Takes auf CD 5, von „Runaway“ aus dem Jahr 1965 bis „Sail On Sailor“ von 1995, sowie die Raritätensammlung FROM THE VAULTS auf CD 6, die den Sammlerwert dieser Box beträchtlich steigern. Letztere enthält Outtakes, Demos, Instrumental-und Vokaltracks sowie Work-inprogress-Studien. Am Ende der knapp achtstündigen Werkschau hört man die Stimme des 1998 verstorbenen Carl Wilson. Er habe seinen Bruder Brian mal gefragt, warum die Band denn so erfolgreich sei, erinnert er sich. Die Antwort: Ihre Musik sei eine Feier des Lebens, „a real experience of joyfulness“. Besser kann man’s nicht sagen.

***** Peter Felkel

Trivia

Dass das Werk populärer Künstler viel zu oft mit „Greatest Hits“-Alben und dubiosen Kompilationen echter oder vermeintlicher Raritäten verramscht wird, ist keine neue Erkenntnis. Dass von den Beach Boys über die Jahre mehr als 50 solcher Zusammenstellungen veröffentlicht wurden, ist zumindest bemerkenswert. Es begann schon 1966 mit BEST OF THE BEACH BOYS und hörte mit CLASSICS – Untertitel: „Selected By Brian Wilson“ – von 2002 noch lange nicht auf.