Curt Cash


Curtie macht alles. Deutschlands gefragtester Studio-Trommler ist da, wenn man ihn ruft. Und alle rufen ihn - von Nicki bis Gianna Nannini, von Falco bis Frank Duval. Doch irgendwo im Drum-Computer schlägt auch noch das Musikerherz...

Heute streichelt er Toms und Becken in München für Frank Duval, haut am nächsten Tag die selben Felle für die Hardrocker von Monro und hat sich l’ür den Abend bereits mit dem Rest des Curt Cres:, Clan zu Tourneeproben in Hamburg verabredet. Zwei Tage später — der Flug dahin hat leider einen ganzen Tag gekostet — treffen wir Curtie in Los Angeles, Stücke schreiben mit Saga-Boß Jim Crichton. Und am Wochenende ist er wieder zuhause in München-Solln. widmet sich seiner Frau und den drei Kindern, regelt im Keller am PC den Bürokram, der die Woche über liegenblieb. Aber nur am Samstag. Denn Sonntag wird er wieder in Berlin gebraucht.

Auf etwa 6000 Titeln hat Curtie in den letzten 20 Jahren gespielt. Bei weit weniger als der Hälfte davon steht sein Name auch auf dem Plattencover. Geschulte Ohren hören den Cress-Stil auf Anhieb heraus. Typisch sein prägnanter Anschlag von Bass- und Snare-Drum und ein elegant federndes Flair, das seinem Spiel den Eindruck äußerster Präzision und Cleanness verleiht.

Achtung tief Luft holen! Die — natürlich unvollständige — Liste der Bands und Künstler, die Cress‘ Dienste in Anspruch nahmen, ist lang und verwirrend: Emergeney, Atlantis. Doldingers Passport. Snowball, Nine Days Wonder. Wallenstein. Hölderlin. Guru Guru, Birth Control. Ike & Tina Turner, Amanda Lear und Gianna Nannini. Nicki und Billy Squier, Boney M. und Eberhardt Schöner, Warlock und Udo Jürgens. BAP und Peter Alexander, Monro und Münchener Freiheit. Frank Duval und Meatloaf, Peter Hofmann und Rio Reiser, dazu Silver Convention, Juliane W’erding. Purple Schulz. Stefan Waggershausen. Freddie Mercurv. Stefan Remmler, Alan Woerner, Jose Feliciano. Saga und Rick Springfield für ihre jeweils letzten Werke. Splitf und Faleu diente Curt live. Es fehlen eigenilieh nur die Oberkrainer und die Toten Hosen.

Bei den ersten vier aufgezählten Formationen war Curtie festes Mitglied. Den zahllosen Krautrock-Aufnahmen folgte als internationaler Einstieg eine Ike & Tina Turner-Produktion bei seinem „Entdecker“ Dieter Dierks. Im Dierks-Studio schuftete Cress. damals 19. Tag und Nacht, pennte mit dem Kopf in der Bass-Drum und bekam das Frühstück von seinen 50 Mark Tages-Salär abgezogen. Ohne Curt lief nichts aul der Krautrock-Szenc. Denn, wie er selber seinen Aufstieg am deutschen Trommler-Firmament erkärt, „die deutschen Drummer hallen immer Probleme mit dem Groove, konnten einfach nicht geradeaus spielen. Die trommelten mehr als remging in einem Takt und waren nicht in der Lage, die Eins und die Drei zu treffen. „

Produzenten und A&R-Menschen der Plattenfirmen, die die Honorare für Deutschlands teuersten Studiomusiker raustun müssen, sind sich einig: Der Mann ist hierzulande ohne Konkurrenz; selbst in Amerika können höchstens Steve Gadd. Terry Bozio oder Jeff Porcaro in Punkto Schlagsicherheit mitziehen. Von Vorteil auch, daß Cress einst bei Doldinger lernen mußte, Noten fließend zu lesen. Curt lernt sehr schnell, hat eine Melodie und seine Brcaks meist nach einmal Hören intus und wechselt auf der Suche nach etwaigen Alternativmöglichkeiten einzelne Schläge oder ganze Sequenzen aus dem Stand blitzschnell aus. Die drei Mille, die er seit der letzten Preiserhöhung im Herbst ’87 pro Tag kassiert, sind also gut angelegt.

.Völlig logisch, dab der Mann ausgebucht ist“, meint Audio-Boß Udo Arndt. „Curtie ist wie kein anderer spezialisiert auf die heutigen Aufnahmeverfahren mit Click-Track und viel Svnchro-Technik. Niemand kann so schnell und genau auf Wünsche reagieren wie er. Und er hat ein einzigartiges Gedächtnis für Musik.“

Das Geheimnis des Gedächtnis-Wunders: Curt kann einen Rhythmus sehen, erfindet ihn als grafisches Muster und prägt ihn sich auf diese Art auch ein.

In den Münchner Arco-. Werytonund Musicland-Studios sowie im Berliner Audio stehen nach Cress-Wünschen aufgebaute Drumkits bereit. Notfalls haut der Virtuose aber auch auf jede andere Schießbude, empfindet es sogar als anregenden Sport, eine ungewohnte Anordnung von Trommeln auszuprobieren. Für einen Umbau verschwendet er keine Zeit. Er schätzt den geregelten Acht-Stunden-Tag, fliegt morgens mit der ersten Maschine ein und abends am liebsten nach Hause.

Daß er neben ernstzunehmenden Jobs auch „anrüchige“ bei Schlager-Plätscherern wie Jürgen Drcws, Ingrid Peters oder Guillermo Marchena annimmt, stößt allerdings nicht nur seinen Neidern übel auf. „Schlagzeug-Maschine“, „Seelenverkäufer“ oder“.Curt Cash“ sind die harmloseren unter den Kosenamen, die man ihm anhängt.

Er selbst hat eine emotionslose und vor allem ideologiefreie Profi-Einstellung. Er ist stolz auf seine Vielseitigkeit, macht einfach jeden Job, der sich im Terminkalender unterbringen läßt, bei dem die Kohle und der technische Standard stimmen.

Nachdem Curtie in letzter Zeit die Schlagzahl weiter erhöhte, muß sich der durchschnittliche Auftraggeber jetzt rund sechs Monate vorher auf seinem Anrufbeantworter gemeldet haben, wenn er ihn zum Termin im Studio haben will. Alte Kumpels wie die Produzenten Mack, Udo Arndt und Keith Olsen oder besonders interessante Acts wie Rick Springfield bedient der Drummer auch innerhalb kürzester Fristen und läßt dafür dann Nicki warten oder sausen.

Der Münchner Produzent Mack weiß sein Können und seine Einsatzbereit- ¿

schalt zu schätzen: „Der Drummer ist die Basis des Unternehmens, aber keine heilige Kuh. Wenn er eine Pfeife ist. fliegt er raus. Ich kann schließlich nicht auf eine Platte hinten drauf schreiben: Der Drummer war leider nicht so besonders. Ich bitte diese Tatsache zu überhören. Der Cun ist immer sofort da. wenn man ihn braucht. „

Menschliche Härten sind natürlich vorprogrammiert. Beispiel BAP: Mack und Gitarrist Major drückten Jan Dix bei den Aufnahmen für AHL MÄNNER AALGLATT gegen den Widersland von Niedecken raus. Curt trommelte vom ersten bis zum letzten Schlag; Dix posierte noch griesgrämig auf dem Cover und war wenig später seinen Job auch live los.

“ Vielleicht haben die Kollegen manchmal ein Problem mit mir, ich habe jedenfalls keins mit ihnen“, so Curtie.

Auf Credits auf dem Cover verzichtet er klaglos, wenn sein Auftraggeber dies zur Bedingung macht. Und aus der Schule plaudert er auch nicht. Daß er auch bei der Münchener Freiheit die Studio-Trommel rührt, ist nur über Umwege in Erfahrung zu bringen.

Was Curtie dazu treibt, die unzähligen Jobs anzunehmen, ist der Drang nach Existenzsicherung. Das Münchner Triumvirat Cress, Armand Volker und Harald Steinhauer investierte gerade viereinhalb Millionen in das „Pilot“-Studio. Asia. Bonnie Bianco und Richard Sanderson haben bereits gebucht. Cun steht in den Startlöchern zu seiner zweiten Karriere — als Produzent. Ein Produktionsangebot der US-Sängerin Fiona lehnte er aus Termingründen aber ab. Die Tournee mit seiner eigenen Band „CCC“ war ihm wichtiger.

Da schlug nun doch mal wieder das Musikerherz im Drum-Computer. Wer Curt näher kennt, weiß übrigens, daß es eigentlich ständig laut und vernehmlich pocht. Udo Arndt: „Man darf nicht meinen, der Curtie wäre ein Eisberg, der immer nur in diesem perfekten Stil-irommelt. Der freut sich, wenn er mal richtig Lärm machen darf Die Liste seiner meistbewunderten Drummer offenbart ganz ungeahnie Präferenzen. Noch vor Steve Gadd, Elvin Jones und Billy Cobham zählt Curtie Ringo Starr und Mitch Mitchell auf. Und gerade die galten immer als fehlbar und saßen im Studio selbst öfter mal – auf der Ersatzbank…