Das Biest ist von der Kette


Keine Ironie, keine Kompromisse: Wolfmother haben die Kraft, die Monsterriffs, die Soli und nun auch den Grammy. ME blickt hinterdie Kulissen der australischen Supergroup.

Selten ist das Gefühl, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, so intensiv: Eine gute Stunde, bevor Andrew Stockdale mit einem ersten kreischend verzerrten Gitarrensolo den Marihuana-Nebel im Paradiso zerschneiden wird, scheint die Luft in der Umgebung des Amsterdamer Clubs bereits zu vibrieren. Die aufgeregt plappernden Leute – es kommen immer mehr: zu Fuß, in Taxis, Trambahnen und auf Fahrrädern – bilden am Haupteingang eine Schlange, die weit die Straße hinab reicht; eine Horde Teenager schleicht hinter dem Club herum, macht sich an der Bühnentüre vergeblich an Klingel und Klinke zu schaffen, und überall stehen verzweifelte Fans, die Neuankömmlingen unsicher lächelnd „Need Tickets!“-Schilder entgegenstrecken.

Kaum ein Newcomer hat in den letzten zwölf Monaten so viel Aufsehen erregt wie Wolfmother. Ob man es wahrhaben will oder nicht: Das australische Trio hat sich mit einem kompromisslos unmodernen Hardrock-Album zu einer Macht entwickelt. Ein erster Donnerschlag war ihr viel beachteter Auftritt beim kalifornischen Coachella-Festival im Mai 2006: „Einige der besten Konzerte haben in den Zelten stattgefunden „, schrieb der amerikanische Rolling Stone damals, „darunter die arenataugliche Show der Garagen-Metal-Revivalists Wolfrnother, die großartige Keyboard- und Gitarren-Soli im Programm haben, die gleich noch unglaublicher werden, wenn der Typ neben dir seinen Joint weiterreicht“. Der Ruf ihrer explosiven Liveshows breitete sich in Windeseile aus, zahlreiche ihrer brachialen Riffs fanden in mächtigen Werbespots (u.a. für den iPod) Verwendung, und zwei Tage vor dem restlos ausverkauften Konzert in Amsterdam haben Wolfmother auch noch einen Grammy gewonnen: In der Kategorie „Best Hardrock Performance“ haben sie Nine Inch Nails, Tool und System Of A Down auf die Plätze verwiesen, Den Hype hat sich die Band selbst erarbeitet. Aus Angst, sich mit diesem unkonventionellen Trio die Finger zu verbrennen, haben Musikjournalisten das Thema Wolfmother in der Anfangsphase eher zu klein als zu groß behandelt. Wer zu spät kam, hat spätestens jetzt ein Interview beantragt: Im Paradiso wimmelt es von Medienmenschen, die sich – behängt mit allerlei Pässen, Aufnahmegeräten und Fototaschen – genervt durch die Gäste schieben, bis sie am Eingang des Backstage-Bereichs an einem roten Seil gestoppt werden. Lange und umständlich erklären sie sich der stoischen Security auf Englisch und Holländisch, bevor sie sich resigniert abwenden, ihr Gepäck ablegen und eine Zigarette anzünden. Um die Band zu schonen, finden viele der angefragten Interviews nicht statt. Da Andrew Stockdale und Schlagzeuger Myles Heskett nach einem Konzert am Freitag in Manchester zu den Grammys in Los Angeles gereist sind, sich dort nach dem überraschenden Gewinn so komatös betrunken haben, dass sie bei ihrer erschöpften Ankunft in Amsterdam am Dienstag Nachmittag gerade erst wieder nüchtern gewesen sein dürften, werden sie von ihrer Tourmanagerin bewacht wie von einer bissigen Schäferhündin: Journalisten werden neue Interviews versprochen, die an anderen T-SHIRT-CHECK Amsterdam, 13.2., Saaleingang, 20:16-20:42 Uhr Pearl Jam, The Who.Thursday, Pixies, Placebo.Oomph!, „Royal Rock“ (in gefährlichen Buchstaben), Pixies (Tour 2004), Wolfmother, „Buenos Fucking Aires“, The Answer, Devo, Fratellis. Jimi Hendrix, Infadels, The Strokes, „Rock am Ring 2006″, Systers Of Mercy,“2nd Annual Chicago Blues Festival“ (gespannt in der Bauchgegend), Editors.

Tagen in anderen Städten stattfinden sollen, und Fotografen werden mit floskelhaften Entschuldigungen einfach hinauskomplimentiert. „Alle sind sehr müde“, erklärt die verantwortliche Britin immer wieder mit kühler Professionalität. „Heutegibt es nur eine einzige Priorität: dass das Konzert gut über die Bühne geht.“

Gitarrist Chris Ross und Myles – der den Grammy-Rausch und die aberwitzige Umrundung des halben Erdballs gut weggesteckt zu haben scheint – haben allerdings noch andere Prioritäten: Halb- und Unwahrheiten über die Vorgeschichte von Wolfmother zu verbreiten. Übermüdet und übermütig denken sich die beiden abstruse Geschichten aus, die zur zusätzlichen Verwirrung munter mit Fakten vermischt werden: Chris habe „bei Savage Gordon, einer Tribute-Band von Savage Garden “ gespielt, erzählt Myles mit ernstem Gesicht. Chris wiederum berichtet, dass Myles „in der Schule in einer Thrashmetalband namens Dysentery gesungen hat. “ Als der Chef eintrifft, wird auch er- solange er noch außer Hörweite ist – mit einbezogen. „Andrew hat als Minnesänger in einem Mittelalter-Erlebnispark gejobbt“, sagt Myles verschwörerisch. Chris nickt: “ Und er tanzt Flamenco. OhneWitz- einmal hat er aufunserer Terrasse seine Boots ausgepackt und eine Vorführung gemacht. Ich war total baff. Ich hatte keine Ahnung…“

Als sich wenig später die Gelegenheit bietet, Andrew aufsein angebliches Hobby anzusprechen, reagiert er überraschend humorlos. „Flamenco-Tänzer? Ach ja? Und wer hat das erzählt?“, fragt er misstrauisch.“ich hab’… nun. ja. Also na ja … „, sagt er und verstummt mit einer großen Falte auf der Stirn. Ein schlechtes Thema, ganz offensichtlich. Es muss nicht vertieft werden – die Show beginnt ja gleich…

Im Saal des Paradiso – einer ehemaligen Kirche, die inzwischen mit all dem feierlichen Stuck, den zwei Baikonen und den Kirchenfenstern hinter der Bühne einer der schönsten Liveclubs der Welt ist – hat sich ein ungewöhnlich heterogenes Publikum versammelt: Von 16-jährigen Mädchen, die zu den besten Plätzen unter Andrews Mikrofon drängeln, bis hin zu Wayne’s-World-frisierten Mittvierzigern, die am Rand mit staatlich geduldeter Selbstverständlichkeit ihre Dübel bauen, ist fast alles vertreten.

ES lauft gerade Queens „Bohemian Rhapsody“, als das Spektakel beginnt: Das Licht in der Halle geht aus, der Song aber nicht- er wird lauter gedreht. Zu „Bis millah! No! We will not let you gol“ kommen Wolfmother in schnellen Schritten auf die Bühne und verteilen sich auf ihre Plätze. Andrew trägt ein schwarzes Hemd, enge Röhrenjeans und spitze, silberne Schuhe, von denen er einen sofort auf die Monitorbox stellt. Ohne Einzählen, ohne Hallo! und Wie geht’s? stürzt ersieh in ein bombastisches, orgiastisches Gitarrensolo, mit dem er Queen erstickt und – den überraschten Gesichtern nach zu urteilen – auch dem einen oder anderen im Publikum für einen Augenblick den Atem raubt. Chris und Myles untermalen die gewaltige Improvisation mit den schwurbelnden Orgelflächen und dramatischen Trommelwirbeln, die man gewöhnlich nur bei einem ekstatischen Songende zu hören bekommt. Die Gitarre jault und sägt, jeder Schlag der Bassdrum lässt den ganzen Körper beben, und als die Intensität fast unerträglich wird, ordnet sich das Chaos, und aus dem Klangwahnsinn schält sich plötzlich das stampfende Riff von „Dimension“. Was für ein Beginn! Die Mädchen vorne werfen ihre Köpfe von einer Seite zur anderen, Typen in speckigen Lederjacken spielen Luftgitarre, in der Mitte wird geschubst und gehüpft, und als ein erster Stagediver in die Menge hechtet, beginnt ein endloses Raufklettern und Reinspringen, das bis zum letzten Song nicht abbricht.

Die Ausgelassenheit des Publikums und die Sorge des Managements, die Band könnte nach der Reise zu erschöpft für eine gute Show sein, motivieren Wolfmother, an diesem Abend an ihre Grenzen zu gehen: Chris bearbeitet seine Orgel breitbeinig in weit ausgeschnittenem T-Shirt, kippt sie auf die Kante und lässt sie drehen wie einen Tennisschläger auf der Schaufel. Andrew rutscht auf Knien über die Bühne, spielt hinter dem Rücken und mit den Zähnen und lässt beim Singen und Kreischen seine Stimme überschnappen, bis ihm ein langer Spuckefaden vom Kinn herabtropft. Die Band peitscht das Publikum derart auf, dass der Jubel, als Andrew mitten in einem Intro erstarrt und mit dem Rücken zum Saal mit ausgebreiteten Armen regungslos dasteht, über geschlagene zwei Minuten beständig anschwillt. Bei „Woman“ gibt es dann kein Halten mehr – zwischen Stagedivern, die sich nun wie am Fließband in die Menge werfen, reibt Andrew die Gitarre am Mikrofonständer, wälzt sich auf der Bühne und führt die Band in einen knapp zehnminütigen Instrumentalpart mit galaktischen Keyboardsoli, Feedback-Gewittern und wütendem Jazz-Drumming, der alleine 1986 den Preis für einen Bootleg auf einer Plattenbörse auf 150 Mark getrieben hätte, ,,It’s time to Harvest the primitive needs“, sagt er vor der Zugabe (als hätte er davor nur Varese-Interpretationen gespielt), und Wolfmother beenden die Show mit „Colossal“ und „Joker &. The Thief‘.

Am nächsten Tag in Hamburgist die Weit falschrum: Der Band werden wieder Interviews und ein ausgiebiges „Meet &. Greet“ mit Fans zugemutet, doch ist sie in weitaus schlechterer Verfassung als am Tag davor. Bei Andrew und Myles setzt der Jetlag erst jetzt richtig ein, und Chris hat seine eigenen Probleme.

„Ich war nach der Show noch in Cojfeeshops und bin ziemlich stoned ins Bett gegangen „, sagt er in der Garderobe im Keller der Großen Freiheit. „Mitten in der Nacht bin ich im Tourbus aufgewacht: ,Oh Gott, ich weiß nicht, wo ich bin, warum ist alles so eng?’Haha!“

Für Erholung ist keine Zeit: Kaum ist das PflichtproT-SHIRT-CHECK

Hamburg, 14.2., große Bar, 21:03-21:27 Uhr Ramones, The Kinks, Hulk Hogan.The Killers, Rolling Stones, „Hurricane 2005“, Motörhead, Wolfmother, Led Zeppelin, Joy Division, „Hard Rock Cafe Chicago“, Virginia Jetzt!, „Rock am Ring 2006“, NOFX, Backyard Babies.

gramm mit Medien und Fans absolviert, beginnen schon die Vorbereitungen für das Konzert. Chris klebt sich mit Gaffer-Tape die Schnürsenkel zu („Schuhe binden auf der Bühne ist nicht cool.“), und Andrew verschwindet in der Garderobe, wo er geduldig Tonleitern singt, um die Stimme aufzuwärmen .Dass der Auftritt nicht die gleiche Magie besitzt wie der am Abend zuvor, weiß nur, wer den direkten Vergleich hat. Obwohl Andrew bisweilen ein wenig neben sich zu stehen scheint (und offenbar deshalb auch einige der dramatischen Gesten von Amsterdam aus dem Programm streicht), ist die Stimmung in der Gro-ßen Freiheit am Ende blendend. Und vor einer – um es nochmal zu sagen: kompromisslos unmodernen – Band, der mit75 Prozent Einsatz noch immer eine so fesselnde Show gelingt, dass bei den Zugaben BHsaufdie Bühne fliegen, darf man sich durchaus verneigen. >» www.wolfmother.com-»