Depeche Mode: Modemuffel


Die Platten von Depeche Mode werden von Jahr zu Jahr besser - die vier Musiker aber immer unnahbarer. Zehn Jahre im harten Showgeschäft hinterlassen eben ihre Spuren. Wie sieht das neue Image aus?

Lange ist es wahrlich noch nicht her. daß wir uns zuletzt trafen. Im März 1989 präsentierten die vier Mode-Macher in London ihren abendfüllenden Konzertfilm „101“ und das dazugehörige Doppelalbum der Öffentlichkeit. „‚101‘ markiert einen wichtigen Einschnitt in unserer Entwicklung“, meinte Alan Wilder damals. „Jetzt machen wir erst einmal eine schöpferische Pause, und danach räumen wir mit unserer Vergangenheit auf. Schließlich sind wir schon lange keine Teenie-Band mehr. Ein neues Image ist fällig. „

Neues Image also. Sehr gut. Grund genug, nach London zu fliegen. Aber da kommt die Ernüchterung. Wo steckt es denn, das neue Image? Anfang 1990 hat sich, so scheint’s, nichts Grundlegendes bei Depeche Mode geändert. Wie eh und je sind die vier Musiker in ihrer typischen Mischung aus Schüchternheit und Verspieltheit, aus schroffem Desinteresse und aristokratischer Ignoranz nicht unbedingt die ergiebigsten Gesprächspartner. Die Hosen und Jacken aus schwarzem Leder, die gestylten Frisuren und Martin Gores schwarzes Käppi gehören zu den vertrauten Accessoires – was also hat sich denn, bitte schön, am Konzept geändert? „Nichts“, lächelt Alan Wilder nachsichtig. „Warum sollte es auch ? Wir sind wir, und wir entwickeln uns seit Jahren. Und wir sind mit unserem Image zufrieden. Was hätten wir daran andern sollen?“

Nun ja, vor einem Jahr noch meinte Alan immerhin, die Band möchte endlich ernst genommen und nicht immer als Lieferant gefälliger Pophits mißverstanden werden. Und die Single „Personal Jesus“ hatte einen deutlich bluesigeren. „erwachseneren“ Akzent als frühere Songs. Alan zuckt mit den Schultern. „Mag schon sein.“ Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, will er wohl damit andeuten.

Auch die vor einem Jahr angekündigte längere kreative Pause war ganz schön kurz. Schon gibt’s ein neues Album. Das trägt den schönen Titel VIOLATOR und klingt so, wie man es von einer Platte von Depeche Mode erwartet: melodisch und beschwingt, mit grimmigen, bedrohlichen Untertönen, haufenweise seltsamen Geräuschen und hopsenden, flirrenden Rhythmen – elektronische Bubblegum-Arien mit einem Schuß Kafka und dem Flair von New Order. „Wir nannten es VIOLATOR, weil das der lächerlichste Heavy-Meial-Titel ist, der uns einfiel“, grinst Martin. „Mal sehen, ob die Leute den Witz verstehen.“

Eine längere kreative Pause war nicht nötig. meint Alan Wilder. Und Martin seufzt: „Wenn ich eine Weile nicht im Studio oder auf Tournee sein kann, wird das Leben langweilig. Wir haben zwar die vergangenen Jahre nahezu voll durchgearbeitet – erst Studio, dann Promotion und Tournee, und dann das ganze wieder von vorn. Und das wurde sicher irgendwann zu viel. Doch nur faulenzen und Zuhause bei der Familie sein – das wird uns allen sehr schnell viel zu langweilig.“

„Boring“ – langweilig – dieses Wort kommt im Vokabular meiner beiden Gesprächspartner ziemlich häufig vor. Und so wirken sie auch: gelangweilt. In ihren seltenen Interviews glänzten die vier Herren vom Depechen-Dienst zwar noch nie durch übermäßige Eloquenz. Doch früher hielten sie immerhin ihre eigene Entwicklung für erzählenswert. Jetzt möchten sie am liebsten vor lauter Bescheidenheit nicht einmal mehr über das neue Album reden. „Soll sich doch jeder selber sein Urteil darüber bilden“, meint Gore, „indem er sich die Plane anhört. Warum sollen wir viel darüber erzählen. Das wären doch sowieso bloß langweilige Kommentare. „

Trotzdem die Frage: „Enjoy The Silence“. die zweite Single aus VIOLATOR, knüpft mit ihrer reichen Melodik und rhythmischen Eleganz doch eher an Frühwerke von Depeche Mode wie „Dreaming Of Me“ und „New Life“ an – bedeutet das versprochene neue Image womöglich eine Rückkehr zur früheren Pop-Naivität? .“Enjov The Silence‘ klingt wie einer unserer frühen Songs?“ wundern sich da beide Gesprächspartner. „Komisch, wir fanden eigentlich, es ist was ganz Neues. „

Noch ein Versuch: In „Clean“. einer dramatischen Nummer, in der Martin Gore mit eindringlicher Stimme gesteht „Now I am clean, von know, what I mean“, scheint es um eine Warnung vor Drogen zu gehen. Flossen da etwa autobiographische Erfahrungen mit ein, frage ich Martin, der ein schwarzes T-Shirt mit der weißen Aufschrift „Clean“ trägt? „Das kann man interpretieren, wie man will“, ziert sich der Künstler. „Ich ziehe es vor, strikt zwischen meinem Privatleben und der Arbeil bei Depeche Mode zu trennen. Soll sich jeder selbst einen Reim auf meine Songs machen. “ Alan lächelt milde: „Du wirst ihn nicht dazu bringen, mehr zu verraten. Außerdem ist unser Privatleben doch völlig uninteressant.“ Warum denn? „Wir unterscheiden uns nicht von ’normalen‘ Leuten, bloß weil wir zufällig in dieser Band arbeiten. Wir gehen genauso gerne ins Kino, sehen fern oder unternehmen was mit unserer Familie wie andere Menschen auch. Dieses Thema ist doch wirklich stinklangweilig.“

Das neue Image von Depeche Mode schein! in erster Linie aus Langeweile. Wortkargheit und Desinteresse zu bestehen. Nicht gerade der Stoff, aus dem die Träume sind.

Aber vielleicht ist das Image gar nicht so wichtig wie das Jubiläum: zehn Jahre Depeche Mode. Oder: wie aus vier schüchternen, jungen Elektronik-Poppern aus Basildon selbstbewußte und vielseitige, wenn auch ein wenie exzentrische Popstars wurden.

„Muß man ein solches Jubiläum überhaupt feiern ?“

wiegelt Alan prompt ab. „IV1V sind lullt zehn Jahre alter geworden und haben dabei viel dazugelernt.“

Was war im Rückblick der erstaunlichste Aspekt in der Entwicklung von Depeche Mode? „Daß wir uns so lange in den Charts halten konnten. „

In der Tat gibt es nicht viele Bands der 80er Jahre, die auf eine kontinuierliche Karriere wie Depeche Mode zurückblicken können und regelmäßig Hits produzieren. Bands, die brave Teenies ebenso ansprechen wie deren Eltern, die schon in den guten alten Sechzigern für englische Exzentrik schwärmten. Bands, die ihre Talente nicht mit leichter, seichter Hit-Abkoche vergeuden, sondern in ihre Ohrwurm-Songs immer wieder hübsche kleine Widerhaken und Sound-Überraschungen einbauen. In der Tat gibt es nicht viele Bands, die die Musik der 80er Jahre so nachhaltig geprägt haben – vom Technopop bis zur Sample-Basis vieler House-Aufgaben. Und es gibt nicht viele Bands, die sich trotz aller Publicity und trotz ihres oft schrillen Stylings ao konsequent aus dem Showbiz-Rummel heraushielten. „Was in der Szene passierte, hat uns nie interessiert. Wir haben uns auf unser Ding konzentriert. „

Aber mir scheint, ihr habt euch früher schon mal weniger gelangweilt. „Sicher, am Anfang war alles noch viel spannender. Andererseits würden wir uns ohne den Streß in dieser Band – im Studio und auf Tournee – heutzutage im Privatleben noch vielmehr langweilen. Deshalb ist Depeche Mode für uns nach nie vor ein Ansporn.“

Auf ihrer ersten Promotionreise durch deutsche Hotels – anno 1981 – verhielten sich die vier Knaben aus Basildon noch unbefangen und unbekümmert: lediglich Vince Clarke haderte mit der Aussicht, bald ein Popstar zu werden und verzog sich in den Schmollwinkel, während seine Freunde die große weite Welt des Showbiz entdeckten und eroberten. Martin Gore mußte damals ins kalte Wasser springen und die Rolle des Songschreibers übernehmen. Doch der Personalwechsel führte trotz aller Befürchtungen nur zu einem leichten Schlingern im Kurs der Band. Alan Wilder, der neue Mann, erwies sich dank seiner Fähigkeiten als Keyboarder. Produzent und Arrangeur als große Bereicherung. Und im Gegensatz zum schüchternen Martin und zum maulfaulen Sänger Dave Gahan machte Wilder auch in Interviews den Mund auf. Das wiederum entlastete den stets höflichen, sympathischen und diplomatischen Andrew Fletcher, der über all die Jahre in vielen Interviews geduldig Rede und Antwort stand.

Die gemeinsame Erinnerung an viele Gespräche in den vergangenen zehn Jahren kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen. daß sich das Plauderstündchen mit Martin Gore und Alan Wilder diesmal lustloser denn je dahinschleppt. Kein Wunder: „Am liebsten würden wir gar keine Interviews mehr geben. Die finden wir seit Jahren nur noch langweilig.“ Warum setzt ihr euch dann trotzdem der Qual aus? „Das gehört doch zum Spiel, wenn du eine neue Platte hast. Da müssen wir halt alle durch. Du auch.“

Neues Image? Ach wieso denn. Zehnjähriges Jubiläum? Interessiert doch keinen. Neue Platte? Wie alles von Depeche Mode – schön und gut. Wunderschön sogar und einfach exzellent.

Aber die vier Schöpfer solcher perfekter Pop-Pretiosen haben die Tendenz, sich in splendid isolation zu begeben. Würdet ihr beispielsweise bei einer Tournee für Amncsty International oder in einem neuen Band Aid-Projekt mitmachen, wenn man euch darum bittet? „Nein“, sagt Alan. „Wir halten nichts davon, unsere Musik mit solchen karitativen Projekten zu verbinden. Wenn wir was Soziales tun. dann im privaten Rahmen. Und dann reden wir auch nicht darüber.“ Und Martin ergänzt: „Es war mir schon immer suspekt, wenn sich Musiker über diese Schiene profilierten.“ Interviews wurden ihnen schon vor Jahren zur lästigen Pflicht. Nehmen wir darauf Rücksicht, kommen wir zum Schluß. „Du hast noch Glück“, tröstet mich Alan, „daß du einer der ersten bist, mildem wir sprechen. Du solltest uns mal in ein paar Wochen erleben, wenn wir schon eine Reihe von Interviews hinter uns haben. Dann wird’s wirklich langweilig.“

Martin hat einen Vorschlag: „Zeitschriften wie Bravo haben jahrelang alle Stories über uns erfunden, weil wir ihnen keine Interviews gaben. Warum können nicht auch andere Magazine so verfahren?“

Einverstanden. Wird gemacht. Beim nächsten Mal.