Der Glücklichere legt nach


Vor drei Jahren spielten sich Hercules And Love Affair mit "Blind" in unsere Herzen. Antony Hegarty, der damals dem Projekt seine Stimme lieh, ist mittlerweile zum Liebling der Ellbogenschoner-Intellektuellen aufgestiegen und dem Ensemble entflogen. Umso erstaunlicher, dass Andrew Butler und der Rest der Bande ein so souveränes zweites Album vorlegen. Harald Peters traf sich mit Butler auf eine Zigarettenlänge.

Herr Butler, stimmt es, wenn ich sage, dass Hercules And Love Affair vor allem ein Zufallsprodukt ist, etwas, was Sie in dieser Form nie angestrebt haben?

butler: Vollkommen. Ich war jemand, der von klein auf Klavier spielte und Songs schrieb, der aber niemals davon ausging, dass Musik irgendwann zum Beruf werden könnte. Selbst als ich mit Antony „Blind“ aufgenommen habe, konnte ich mir nicht vorstellen, dass sich daraus etwas machen ließe. Ich machte das alles eigentlich nur für mich. Antony sagte: „Du hast hier zehn Songs, vielleicht solltest du die veröffentlichen.“ Und ich so: „Äh, aber wie mache ich denn das?“ Und er: „Na ja, bring die Songs zu einem Label.“ Und ich: „Wie geht denn das?“

Ungewöhnlich.

Ich bin nicht dumm, aber ich bin sehr schüchtern. Obwohl New York die Hauptstadt des Netzwerkens ist, habe ich es geschafft, die Möglichkeit, wichtige Leute kennenzulernen, völlig zu umgehen. Wenn ich ausgehe, dann will ich tanzen, Musik hören, über den DJ lästern. Aber auf fremde Leute zugehen, das liegt mir nicht so.

Würde ich jetzt gar nicht denken.

Ja, komisch, nicht? Aber bei Journalisten scheint meine Schüchternheit immer zu verschwinden. Vielleicht liegt es daran, dass ich bei einem Interview davon ausgehen darf, dass man sich für mich interessiert. Aber ansonsten, im wirklichen Leben, bin ich mir da oft nicht so sicher.

Und wie haben Sie es geschafft, Ihre Musik zu veröffentlichen?

Ein Freund von mir, Daniel Wang, hat sich darum gekümmert. Er kannte „Blind“ und konnte sich das Elend nicht länger ansehen. Er meinte, er würde die Songs jetzt dem Label DFA schicken, und so ist es passiert.

Danach ging alles sehr schnell.

Ja. Unsere erste Show spielten wir vor tausend Zuschauern.

Nicht wenig.

Viel zu viel.

Wie war’s?

Wir waren schlimm.

Wurden Sie ausgebuht?

Nein, die Leute waren sehr freundlich. Aber wir haben nicht das aus den Songs herausgeholt, was in ihnen steckte.

Lag es am Sound?

Es lag an der Angst. Ich hab mir vor lauter Aufregung fünf Mal den Kopf am Mikrofon gestoßen. Kim Ann hat nur gezittert. Aber wir haben es überlebt. Wir haben in Glastonbury gespielt. Wir haben Dinge getan, die ich mir niemals hätte erträumen können.

Sie wurden überwältigt?

Und zwar so sehr, dass ich anfing, mein neues Leben zu hassen. Wenn mein Telefon klingelte, ekelte ich mich. Ich dachte, ich müsste sterben. Was als Herzensangelegenheit begann, entwickelte sich zum exakten Gegenteil.

Sie sind deshalb zurück nach Colorado gezogen?

Ja, weil es dort ruhiger und hübscher ist. Und weil ich mir eine so große Plattensammlung gekauft habe, die in keine New Yorker Wohnung passt.

In keine, die bezahlbar wäre, meinen Sie?

Exakt.

Ehrlich gesagt, wirken Sie angesichts der Zumutungen des Erfolgs gerade unangemessen glücklich.

Ich bin es ja auch. Ich weiß, es mag widersprüchlich klingen, aber manchmal denke, ich, dass ich der glücklichste Mensch bin. Im Grunde mache ich nichts anderes, als mit meinen besten Freunden um die Welt zu reisen.

Aber die besten Freunde sind neue beste Freunde – jedenfalls was Ihre Band angeht.

Ja, es gibt einige Neuzugänge.

Wo haben Sie die gefunden?

Aerea Negrot traf ich hier in Berlin. Ich war damals, das ist lange her, mit Antony And The Johnsons auf Tour und habe T-Shirts und andere Merchandising-Sachen verkauft. In Aereas Erinnerung ist sie zu mir an den Stand gekommen, weil ich traurig aussah. Sie fragte: „Was ist los?“ Ich erzählte wohl was von einer Trennung, jedenfalls kam wir ins Reden und sie erwähnte, dass sie eine von der Oper inspirierte Technokünstlerin sei, die außerdem eine Ballettausbildung habe. Und ich dachte: „Wow!“ Außerdem hatte sie so ein süßes Kleid an.

Und dann.

Sind Jahre vergangen. Ich nahm das erste Album auf, bekam irgendwann von Chanel den Auftrag, einen Song zu schreiben, und ich dachte, Aerea wäre dafür die perfekte Sängerin. Also hab ich sie mühsam ausfindig gemacht und sie angerufen.

Mitunter klingt sie ein wenig wie Grace Jones.

Genau. Sie macht etwas, was heute nur wenige Sänger tun, sie behauptet sich auf eine recht forsche Art, sie fordert Aufmerksamkeit ein.

Gilt das auch für die zweite neue Stimme, Shaun Wright?

Ja, aber natürlich auf eine ganz andere Art. Ich entdeckte ihn bei einer Show. Wir spielten in New York und im Publikum stand dieser Junge mit dieser tollen Rick-James-Frisur, also lange Haare, gerader Pony und geflochtene Zöpfe – wunderschön. Auf der Bühne stellte ich mir die ganze Zeit vor, dass er am Gelingen des Konzerts einen entscheidenden Anteil hat. Nach der Show kam er auf mich zu und erzählte mir, wie sehr es ihm gefallen habe, und ich sagte ihm, dass ich ihn bereits im Publikum bemerkt habe. Ich sagte: „In meiner Vorstellung spielten wir nur für dich.“

Wie hat er reagiert?

Er war natürlich geschmeichelt. Ich erklärte ihm, dass es auch daran lag, dass er ein wenig wie der große Discostar Sylvester aussähe. Und er sagte: „Ich sehe nicht nur wie Sylvester aus, ich kann auch wie Sylvester singen.“ Ich sagte: „Hoppla!“ Und er darauf: „Na ja, vielleicht singe ich doch eher wie Jeffrey Osborne.“

Dann war er drin?

Nicht ganz. Er hat mir ein Demo geschickt, wir haben uns getroffen und er hat nebenbei ein, zwei Platten erwähnt, die wirklich sehr speziell und rar sind, mir aber viel bedeuten – und das hat die Türen geöffnet.

Würde ich die Platten kennen?

Nein, die kennt eigentlich niemand.

Nur Sie?

So ungefähr. Deshalb wusste ich ja auch, dass Shaun der Richtige ist.

Wir sollten auch den neuen Produzenten und Keyboarder Mark Pistel nicht unerwähnt lassen.

Ja, Mark hab ich in San Francisco gefunden. Ich suchte ein Studio und bin über eine Anzeige bei ihm gelandet. Plötzlich sehe ich diesen Flyer, auf dem Meat Beat Manifesto und auch sein Name steht. Und ich sag zu ihm: „Du hast mit Meat Beat Manifesto gespielt? Das ist ja so cool!“ Und er sagt: „Äh, eigentlich bin ich Mitglied von Meat Beat Manifesto!“ Und ich nur: „Wow!“

Er war auch Mitglied der queer-vegan-anarchistischen Hip-Hop-

Gruppe Consolidated.

Ja, das hat er mir gleich danach erzählt. Ich nur: „Wie bitte?“ Denn vor meinem Coming-out hatte der Consolidated-Song „Unity Of Oppression“ einen großen Einfluss auf mich. Darin gibt es die Zeile: „How can we discuss gender, class and race / When we can’t respect the rights of lesbians and gays“. Mit dem Song hat Mark mich quasi durch mein Coming-out begleitet, denn plötzlich wusste ich, hey!, ich bin mit meinen Problemen nicht allein. Und heute ist er in meiner Band.

Ist Hercules And Love Affair heute mehr eine Band als früher?

Unbedingt. Früher war es eher ein Ensemble, das sich aus Gastsängern, Studiomusikern und mir zusammensetzte. Es war vorläufiger. Mir war auch von Anfang an klar, dass Antony und Nomi Ruiz ihre eigenen Projekte verfolgten, worüber ich nicht böse bin, mein Gott, wie könnte ich auch, ich habe Antony so viel zu verdanken. Aber jetzt fühlt sich Hercules And Love Affair zum ersten Mal gut und richtig an. Wir sind ein wunderbares Ensemble. Momentan kann ich mir nichts Besseres vorstellen.

Außerdem singt auch noch Kele von Bloc Party ein Lied auf dem neuen Album.

Ja, Kelly kam über die Vermittlung des Managements. Das sagte immer: „Du musst unbedingt Kelly kennenlernen!“ Und ich nur: „Wer ist Kelly!“

Sie nennen Kele Kelly?

Ja, wie Kelly Osbourne – er ist allerdings deutlich schlanker.

Warum lachen Sie?

Mir fiel nur gerade ein, wie süß er ist. Nachdem wir den Song aufgenommen hatten, meinte er zu mir: „Du, Andy, ich glaube, das ist unser Madonna-Song.“ Und ich so: „Meinst du?“ Und er: „Könnte sein.“ Er stand einmal mit uns auf der Bühne und ein anderes Mal haben wir ihn zu seinem Geburtstag besucht. Das hat ihm aber nicht gefallen.

Wieso?

Er mag keine Überraschungen. Er schaute mich nur ernst an und sagte: „Ich wünschte, ihr wäret jetzt nicht hier.“

Albumkritik S. 93