Der gute Mensch von Portland


James Mercer hat nach fünfjähriger Pause The Shins reaktiviert – und dabei eine Menge von dem bedacht, was ihm Freund und Partner Danger Mouse beibrachte. Wir sprachen mit ihm über das neue Album Port Of Morrow, clevere Popsongs und seine Heimatstadt.

Die Sache mit Portland ist einfach die, dass es dort so schön zu sein scheint, wie sie alle immer behaupten. Es gibt ausreichend Radwege, gute Kaffeegetränke aus fair gehandelten Bohnen, Geschäfte, in denen man nicht unbedingt notwendigen, aber liebevoll gestalteten Kleinkram kaufen kann und jede Menge Menschen, die die gleichen Interessen und Wertvorstellungen haben wie – nun ja, wie die Menschen, die wir sind oder die wir gerne wären. Von einigen dieser Menschen liest man bisweilen. Etwa von Colin Meloy, der der barocken Band The Decemberists vorsteht und der unlängst sein Jugendbuch „Wildwood“ veröffentlichte, einen farbenfrohen Brocken Jugend-Fantasy. Oder von Carrie Brownstein, die früher bei den Post-Riot-Girls Sleater Kinney musizierte – 2006 wählte der „Rolling Stone“ sie in die Liste der „25 unterbewertetsten Gitarristen aller Zeiten“ – und heute bei Wild Flag singt, vor allem aber in der Fernseh-Comedy „Portlandia“ oben erwähnte Klischees genussvoll seziert. Oder eben von James Mercer. James Mercer von The Shins, der vor einigen Jahren aus Albuquerque, New Mexico einwanderte.

James Mercer sitzt in einer Suite im Westin Grand Hotel an der Berliner Friedrichstraße und sieht gut aus. Er trägt preppy Pastelltöne, die seinen drahtigen Körper hübsch einrahmen, einen dezenten Schlips und mehr Bart als zuletzt. Und er kichert. Er kichert, weil seit dem Erfolg von „Portlandia“ jeder Journalist zunächst nach der früher eher vernachlässigten Hauptstadt des Bundesstaats Oregon fragt. Freundlich bestätigt er das Vermutete. „Natürlich ist Portland wunderschön. Vor allem ist es günstig. Auch als Künstler kannst du dir dort ein schönes Plätzchen zum Wohnen leisten. In Seattle oder Los Angeles funktioniert das nicht mehr.“ Die Konsequenz: eine lebhafte Musikerszene. „Die Bands dort unterstützen sich. Jeder kümmert sich um den anderen. Ich denke, dass wir auch die nächste Broken-Bells-Platte dort aufnehmen werden.“

Broken Bells, das ist die letzte Band, mit der Mercer eine Platte veröffentlichte. Beziehungsweise: genau genommen ist es ein Duo. Gemeinsam mit Brian Burton, besser bekannt als Danger Mouse und noch besser bekannt als die Hälfte des One-Hit-Wonders Gnarls Barkley, erarbeitete Mercer vor zwei Jahren ein gutes Dutzend Popsongs, in denen er die Sehnsuchtsmomente der Shins mit einer guten Kante Psychedelic und einigen Beats kreuzte. Hätte man die Journalisten, die seinerzeit Interviews mit den beiden führten, nach der Zukunft der Shins gefragt, kaum einer hätte darauf sein Geld verwettet. Der Vertrag mit dem amerikanischen Indie-Label Sub Pop war erfüllt. Mercer hatte gerade sämtliche Bandmitglieder rausgeschmissen und so sehr von der tiefen Freundschaft mit Burton geschwärmt, dass es völlig klar schien: Die Zukunft würde Broken Bells gehören.

Mercer hat sich besonnen. Er hat die Shins reaktiviert, jene Gruppierung, der das Kunststück gelang, den amerikanischen College-Rock der 90er-Jahre in die Gegenwart zu übersetzen. Jene Band, die sich Anfang des Jahrtausends an angeschrammten Powerpop-Hymnen versuchte und diese von Platte zu Platte mehr verwinkelte. Port Of Morrow ist das vierte Shins-Album. Teil der Besetzung sind jetzt Joe Plummer, eigentlich Drummer bei Modest Mouse, und der feinfühlige Indie-Songwriter Richard Swift. Auch die anderen Musiker bringen langjährige Erfahrung in diversen Bands mit. Für Mercer ein Fest. „You know, I’m a band guy“, sagt er. „Und die Shins waren immer eine Band, egal wer gerade mitspielte. Es war nie so, dass ich da irgendwelche Musiker herumstehen hatte, denen ich Anweisungen erteilte. Es waren immer gute Leute, die selber Ideen hatten.“ Auch, wenn er die Shins-Songs alleine schrieb, sei ihm der musikalische Dialog immer wichtig gewesen. „Als die Tour mit Broken Bells zu Ende war, fühlte ich mich unvollständig. Ich bekam Angst, dass ich danach zum Solokünstler werden würde. Das wollte ich aber nicht.“

Material war schließlich vorhanden. Mercer hatte schon eine Handvoll Songs zusammen, die er in seinem kleinen Homestudio aufnahm. Gute Songs. Solche, die Geschichten erzählten. „Über die Liebe zu meiner Frau. Aber auch über das, was auf der Welt gerade passiert, über all die Gewalt. Und natürlich über das Leben. ‚It’s Only Life‘ handelt etwa von einem Freund, der Depressionen hatte.“

Die Geschichten werden auf Port Of Morrow gut abgefedert. Sie verschwinden in einem vielschichtigen Soundkleid, das mehr mit dem Broken-Bells-Album als mit den frühen Arbeiten der Shins gemein hat. Sitzt auf Mercers Schulter immer noch ein kleiner Danger Mouse, der bisweilen an den Reglern dreht? Mercer lacht. „Bei ihm habe ich gelernt, dass Popmusik abenteuerlich sein darf. Ich singe heute anders als früher, traue mich, mehr mit meiner Stimme zu arbeiten. Und natürlich habe ich Elektronik zu schätzen gelernt. Aber die steht auch bei Greg im Studio rum. Er und Brian könnten sich da wirklich einen Wettbewerb liefern.“

Zur Erklärung: Port Of Morrow produzierte Greg Kurstin. Den mögen manche vom Projekt The Bird and the Bee kennen, deren „Diamond Dave“ Popsternchen Lena Meyer-Landrut vor zwei Jahren einen entscheidenden Schritt näher Richtung „Eurovision“-Sieg brachte. Er gab aber auch Songs von Lily Allen, Britney Spears oder Ke$ha die richtige Form und arbeitete mit den Flaming Lips, Foster The People und Peaches zusammen. Kurstin ist einer, der Pop kann. Aber eben auch einer, der Pop bis an dessen Grenzen schieben kann. „Greg ist ein Analytiker. Er nimmt die Songs auseinander. Er hinterfragt jeden Ton. Aber er ist auch ein Freund. Bei ihm musste ich mir nie Sorgen machen, dass er mich überrennen würde, meine Songs so inszeniert, dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben. Und er ist ein wahnsinnig guter Musiker. Wenn ich etwas mit dem Klavier aufnehmen möchte, brauche ich Tage, um die richtige Hookline zu finden und sie fehlerfrei einzuspielen. Er macht das in fünf Minuten.“

Nun kann man die Verpflichtung eines zertifizierten Hitschmieds auch anders lesen. Das letzte Shins-Album Wincing The Night Away erreichte 2007 nicht zuletzt mit Schub durch den Kino-Hit „Garden State“ Platz zwei der amerikanischen Albumcharts. Will man da anschließen? Oder sogar höher hinaus? Mercer denkt eine Weile nach, bevor er antwortet. „Ich versuche, mich mit diesem ganzen Themenkomplex Erfolg nicht zu beschäftigen. Das gelingt mir auch ganz gut. Mir ist eigentlich nie bewusst, dass ich mit meinem letzten Album in den Charts war.“ Die Triebfeder fürs Musizieren habe sich durch den Wandel von der von Fans geliebten, aber letztendlich Indie-Band zum Mainstream-Act nicht verändert. „Ich mag gute Popsongs. The Beatles. The Zombies. Sam Cooke. Solche Songs möchte ich schreiben. Und das ist Kampf genug und beim besten Willen nicht planbar. Schaue dir mal die perfekten Popsongs dieser Welt an. ‚Don’t Worry, Be Happy‘ zum Beispiel. Eine A-Cappella-Nummer. Aber ob Bobby McFerrin die Qualität dieses Stückes klar war, als er es schrieb? Ich glaube kaum.“

Es ist also der Zufall, der die Popsongs schafft. Auch bei James Mercer. Beispiel „Simple Song“, die vorab ausgekoppelte und wohl beste Nummer auf Port Of Morrow. Deren Entstehungsprozess müssen wir uns so vorstellen: James Mercer am Wohnzimmertisch. Seine Frau daneben. Mercer trommelt auf dem Tisch herum. Macht er öfter. Aber diesmal wird was draus. Ein Beat. Ein Mod-Beat. Mercer muss an The Who denken. Er summt dazu, findet die Textzeile „Well this is just a simple song to say what you’ve done.“ Er hat die Idee, daraus den „Simple Song“ zu machen. Der klang bald nicht mehr nach The Who, sondern nach Phil Spector, ging viele Wandlungen durch, wechselte zwei Mal seine Akkorde, mehrfach die Instrumentierung und war am Ende alles, nur nicht simpel. Aber die Ausgangsposition, die war ein Zufall. Und der Zufall ist der Feind der Charts-Ambition.

Für das, was in den Hitparaden läuft, scheint sich Mercer nicht besonders zu interessieren. Was bei ihm so in der Stereoanlage rotiert? The Bird and the Bee erwähnt er, außerdem Foster The People. Zwei Mal Musik von seinem Produzenten. Fragt man ihn nach dem Sound, der die Gegenwart definiert, an den sich die Menschen auch noch in 15 Jahren erinnern würden, nennt er MGMT. Eine Band, die wie er ihre Inspiration zu großen Teilen aus der Vergangenheit bezieht. Vor allem aber eine, der kommerzieller Erfolg immer unangenehm zu sein schien. Nach einer Weile fällt ihm noch die kalifornische It-Slacker-Band Girls ein. „Ich gebe manchmal bei Pandora ‚Girls‘ ein und höre dann alles, was der Algorithmus mir vorschlägt. Aber ich schaffe es nie, mir die Namen der Bands zu merken. Dabei würde ich mich gerne wieder mehr mit der Musik von anderen beschäftigen. Ich habe schließlich über die Jahre einiges an Produktionswissen angesammelt. Das Album irgendeiner kleinen Band aus Portland zu produzieren und auf meinem eigenen Label zu veröffentlichen, das würde mir gut gefallen.“

In „Portlandia“ spielte James Mercer neulich einen Rockmusiker. Zusammen mit Colin Meloy und Corin Tucker, die früher an der Seite von Carrie Brownstein bei Sleater Kinney musizierte, gab er die Indie-Pop-Band „Echo Echo“. Und die versucht, in einem Boutique-Hotel einzuchecken. In einem dieser affigen Läden, in denen man für ein Zimmer eine halbe Monatsmiete bezahlt, aber die Bediensteten Basecaps tragen, ein DJ die Lobby beschallt und man als Gast kostenlos Schreibmaschinen und Kenny-Loggins-Platten zur Verfügung gestellt bekommt. Eine ziemlich wilde Episode, die aber durchaus Nachrichtenwert besitzt. Der besteht weniger in der Schauspiel-Tätigkeit Mercers – man sah ihn schon in dem Film „Some Days Are Better Than Others“, sondern vielmehr in seiner Aussage, er könne sich durchaus vorstellen, die Band aus der Serie in die Realität zu heben. Unbekannte plakatierten in Portland bereits. Das Problem an der Sache: Echo Echo gab es schon mal. Hinter dem eigentlich ganz guten Namen verbirgt sich ein deutsches A-Cappella-Quartett aus der Dieter-Thomas-Heck-Mottenkiste, das in den 80er-Jahren aktiv war und unter anderem „Caravan Of Love“ von den Housemartins eindeutschte. Vielleicht wäre es doch ganz schön, nach Portland zu ziehen.

portland

Rock City

Vielleicht ist’s die kurze Entfernung zu Seattle, wo mit Sub Pop eine der wichtigsten Plattenfirmen der USA sitzt. Vielleicht sind es aber tatsächlich die niedrigen Mieten und Lebenshaltungskosten und die Tatsache, dass die Uhren in Portland etwas langsamer laufen als im Rest der USA. Auf jeden Fall ist die Dichte an guten Rockbands, die sich in der Hauptstadt des Westküstenstaats Oregon niedergelassen haben, bemerkenswert. Was in den 80er- Jahren mit Punk-Acts wie den Wipers oder Poison Idea begann, explodierte spätestens Anfang des Jahrtausends in einer der spannendsten Szenen des Landes. Unter anderem haben die Americana-Band Blitzen Trapper, die Indie-Heroen Modest Mouse, die Songwriterin Laura Veirs, die Hippie-Rocker Portugal. The Man und Teile von Death Cab For Cutie hier ihren Lebensmittelpunkt.