Der schöne Lärm des amerikanischen Mittelstands


Ein paar Kids aus Kalifornien. Ein College in Virginia. Punk, der nicht nach Punk klingt und Pop, der gut codiert ist. Fanzines, kleine Radiostationen, Secondhand-Dress. Die Geschichte von Pavement ist die Geschichte der 90er-Jahre.

Ich traf Stephen Malkmus vor gut eineinhalb Jahren. Es war ein heiterer Sommertag, und er stand in einem Hinterhof im Prenzlauer Berg und nahm mit ungeheurer Geduld die Befehle eines Fotografen entgegen. Malkmus sah gut aus. Groß gewachsen, der Haarschopf grau und genau so unfrisiert, dass es nicht gewollt aussah. Ein schmales Hemd, eine Chino-Hose, keinerlei Bauchansatz. Ab und an tänzelte er, reckte sich ein wenig. Und immer lächelte er. Ein gutes, ein aufrichtiges Lächeln. Ein Alles-easy-Lächeln. Später versanken wir in einer 70er-Jahre-Sitzgarnitur im Büro der Berliner Dependance seiner Plattenfirma, und er erzählte mir davon, dass er jetzt ein paar Monate in Berlin leben würde. Seine Frau, die Künstlerin Jessica Jackson Hutchins, habe einen Lehrauftrag an der UDK. Er selbst habe keine weiteren Aufgaben, und das sei doch auch mal ganz angenehm. Er sei nämlich ganz gerne faul.

Das ist vor allem deshalb interessant, weil Faulheit eine der Untugenden war, die man Pavement zu Beginn ihrer Laufbahn zuschrieb, zumindest unterschwellig. Als „Slacker“ bezeichnete man Malkmus und seine Mannen gerne. Ein Begriff, der seinen Ursprung als popkulturell besetzter Begriff im Film „Back To The Future“ hat, und spätestens nach der Superchunk-Single „Slack Motherfucker“, allerspätestens jedoch nach Richard Linklaters „Slacker“ (1991) auch als Beschreibung für die Protagonisten des Alternative Rock der angehenden 90er-Jahre verwendet wurde. Hauptslacker war übrigens Beck, der mit seiner Single „Loser“ das Slackertum in den Mainstream schob, Slacker-Vorläufer war der von Malkmus oft als Idol erwähnte Paul Westerberg von den Replacements. Denn, und das ist eine der wichtigsten Sachen, über die man sprechen muss, möchte man über den Alternative Rock der frühen 90er-Jahre reden: Die Zeit, in denen die Gedankenströme und Ideologien von Straight-Edge-Bands wie Minor Threat vorgegeben wurden, lagen noch gar nicht so lange zurück, und das Erobern von Freiräumen, die die rasch gesetzten Regeln des Punk überwanden – nun, das war vielleicht nicht skandalös, aber mindestens ein Point of discussion.

Womit wir mittendrin wären in den 80er-Jahren. Und zwar in Stockton, Kalifornien. Die dreizehntgrößte Stadt im Bundesstaat, gleichzeitig eine, die in den vergangenen Monaten vor allem durch schlechte Headlines auffiel. Die zehntgefährlichste Stadt der Vereinigten Staaten! Nur 17 Prozent der Bevölkerung haben einen Collegeabschluss! Der einzige Rockstar, den die Stadt hervorbrachte: Chris Isaak. „San Francisco hat dieses Pseudointellektuelle. Volvos und gutes Kokain. In Stockton findest du mieses Gras, Leute, die die Hauptstraße entlangfahren und nach der nächsten Schlägerei suchen“, erzählt Malkmus in Rob Jovanovics empfehlenswerter Pavement-Biografie „Perfect Sound Forever“. Kein Traumort also. Keiner, in dem man sich groß entscheiden kann, welcher Jugendbewegung man sich anschließen möchte.

Aber einer, in dem man als Jugendlicher in den ausgehenden 70er-Jahren irgendwie durchkommt. Es gibt ein halbwegs gutes Fußballteam, wo sich all diejenigen versammeln, die weder Crack rauchen noch Football-Jocks sind. Es gibt Punk-Läden, sogar ein Aufnahmestudio, geführt von einem gewissen Gary Young, ein Ex-Hippie, der in den 70er-Jahren nach Ärger mit der Obrigkeit aus New York an die Westküste zog. Aber eigentlich hören alle Soft- und Hardrock gleichermaßen. In diesem Dunstkreis zwischen Kiss auf der einen und Minutemen oder The Fall auf der anderen Seite wachsen zwei Jugendliche heran, werden rasch zu besten Freunden. Einmal Malkmus, Sohn liberaler und leicht esoterischer Eltern. Sie ziehen nach Stockton, als er zehn ist, in ein großes Haus mit Swimmingpool. Und Scott Kannberg, in der 200 000-Einwohnerstadt zwischen Oakland und Sacramento geboren. Die beiden machen, was man in der Provinz eben so macht. Rumhängen. Partys. Irgendwann erste Bands gründen. Vor allem Malkmus‘ Jahre an der University Of Virginia in Charlottesville, einer der wichtigsten Orte des aufkommenden College Rocks, hinterlassen ihre Spuren. Es kristallisieren sich erste musikalische Fixsterne heraus, nach denen sie sich richten. R.E.M., aber auch Sonic Youth. „Dort lernte ich Can und Velvet Underground kennen. Vorher dachte ich, eine Band wie Social Distortion wäre Kunst“, sagt Malkmus heute. Dort, aber das nur am Rande, traf er auch David Berman, mit dem er rasch die Silver Jews gründete. Nach dem College zieht er zurück zu seinen Eltern, am 17. Januar 1989 gehen die beiden in ein Tonstudio. Richtig, in das von Gary Young. Der erinnert sich heute noch gut an den Aufschlag der beiden gerade mal 19-Jährigen: „Sie kamen rein und spielten diesen eigenartigen Gitarrenlärm. Wirklich nur Lärm. Mein Schlagzeug stand ohnehin im Studio, also bot ich ihnen an, etwas zu trommeln. Sie sagten:, Klar.‘ Malkmus erklärte mir während der Songs, was ich zu tun hätte. Und genau das tat ich.“ Pavement waren geboren, und zwar so richtig: Denn einer der Songs, die die drei aufnahmen, war „Box Elder“, eine Art Fuzz-Boogie, über den Malkmus nölt: „I’ve got a lot of good things coming my way. And I’m afraid to say that you’re not one of them.“ Ein Klassiker.

1 000 Singles von „Slay Tracks: 1933 – 1969“ pressen Pavement, sie sind ziemlich schnell ausverkauft. Hier könnte die Geschichte enden. Oder zumindest könnte sie auf eine Spur abbiegen, die ins Wasteland der Kleinst-Indie-Bands führt. Aber die Single ist gut und evoziert außergewöhnlich viel Aufmerksamkeit. Ein Exemplar landet durch Zufälle bei David Gedge, Vorsteher der britischen Band The Wedding Present, der „Box Elder“ im Rahmen einer „Peel Session“ als Coverversion aufnimmt. So schwappt die Nummer nach Europa. In den USA wird zeitgleich das junge Label Drag City auf die Band aufmerksam, veröffentlicht die zweite Single „Demolition Plot J-7“. „In zehn Jahren wird jede zweite Band Pavement als Einfluss nennen“, schreibt das Fanzine „Cut“. Aus dem Projekt wird eine Band, bald erweitert durch Malkmus‘ Charlottesville-Freunde Bob Nastanovich, der an der UVA das College-Radio schmiss, den Bassisten Mark Ibold und den neuen Drummer Steve West. Der Rest der Story dürfte in groben Zügen bekannt sein. Pavement veröffentlichen fünf Alben bei Matador Records. Sie touren oft und ausführlich – von wegen Slacker – und nach zehn wohl recht schönen Jahren löst die Band sich auf, erst 2010 gründet sie sich für eine Reunion-Tour erneut. In it for the money. Die alte Geschichte, die dieser Tage von den Stone Roses bis At The Drive-In so viele Künstler erzählen. Vermutlich ist es so: Pavement haben nie viel Geld verdient. Wer sollte ihnen verübeln, dass sie die Möglichkeit nutzen? Sie würden, so sagen sie in den Interviews zur Live-Reunion, nie mehr neue Songs schreiben, aber so ganz sicher kann man sich da ja nie sein.

Einen Pavement-Song schreiben. Wie soll das überhaupt funktionieren? Was ist das überhaupt? Als ich Malkmus seinerzeit traf, hatte er wenig Lust, darüber zu sprechen. Begreiflicherweise erzählte er lieber von den Stücken seines damals aktuellen Soloalbums Mirror Traffic und davon, wie wunderbar es sei, mit Beck zusammenzuarbeiten. Einen Schlüsselsatz sagte er aber: „Es muss unvorhersehbar bleiben. Ein Lied, bei dem man am Anfang schon weiß, wie es endet, ist langweilig.“

Wenn man sich die Stücke auf den ersten beiden Pavement-Singles und dem 1992 veröffentlichten Debüt Slanted And Enchanted anhört, weiß man oft nicht einmal, was in der nächsten Minute passieren wird. Die Lieder krachen in sich zusammen wie Jenga-Türme in der Kinderspielgruppe. Sie werden größer, kleiner, lauter, leiser. Sie sind in einer Sekunde Pop und in der nächsten Lärm, sie klingen mal so, dass keine Frage offen bleibt und mal rätselhaft. Nur gleich klingen sie nie. Dazu singt Malkmus, der viel besser Gitarre spielt, als es den Anschein hat, manchmal Witze und manchmal Gewitztes. Blickt man heute in die einschlägigen Dekadenlisten, findet sich diese Platte überall. Das fünftbeste Indie-Album überhaupt, sagt man bei Pitchforkmedia. Der „Rolling Stone“ vergab immerhin einen 134. Platz in der Liste „The 500 greatest albums of all time“. Die US-Indie-Zeitschrift „SPIN“ erkannte das Potenzial der Band schon, als Slanted and Enchanted Monate vor seinem Erscheinen im Briefkasten lag. Das Label, das gab’s damals schon, hatte die Platte geleakt. „Zu perfekt“, schrieb die Zeitschrift und ergänzte, sie würde so klingen, als hätte sie sich jemand in seinem Schlafzimmer ausgedacht. Die neue Plattenfirma der Band, das junge Indie-Label Matador Records, brachte das Album übrigens an den Rand seiner finanziellen Möglichkeiten. Als die 30 000 Exemplare der ersten Pressung bestellt waren, blieb kein Geld mehr für die Miete übrig – mit den CDs standen auch der örtliche Sheriff und der Gerichtsvollzieher im Büro.

Matador machte schließlich gemeinsame Sache mit dem Majorlabel Atlantic, das zweite Pavement-Album, Crooked Rain, Crooked Rain (1994), wurde ein großer Erfolg. Weil es nach Pavement klang, ohne nach dem Vorgänger zu klingen. Weil es einfach Rockmusik war, aber nie einfache Rockmusik. Malkmus arbeitete sich hier an Westcoast-Rock ab, aber auch seiner Jugend, an Powerpop, vielleicht auch an der längst vergessenen Glamrock-Truppe Angel. Die waren stets weiß gekleidet und seine Lieblingsband, als er zehn Jahre alt war. „Wir sind eigentlich nette Jungs aus der Vorstadt“, sagte er seinerzeit in Interviews. Der Wille zum Sticheln war indes da: Im Text zu „Range Life“ legten sie sich mit den Smashing Pumpkins und den Stone Temple Pilots an, was zu argen Verstimmungen führte. Man war schließlich auf Augenhöhe, auch Pavement hatten mit „Cut Your Hair“ plötzlich einen ersten Hit in der MTV-Rotation und traten bei der Jay-Leno-Show auf. Weitere Gäste: Drew Barrymore und Harry Shearer. Pavement waren plötzlich Stars. Nicht Stars wie Nirvana. Vielleicht wie Weezer, Stars, bei denen man schon ahnte, dass sie es nicht bleiben würden. Von Stockton hatte sich die Band da übrigens längst verabschiedet. Malkmus lebte in Portland, Kannberg in Berkeley, der Rest der Mitglieder verteilte sich über die Ostküste. „Bei uns funktioniert das. Empfehlen kann ich es nicht unbedingt“, sagte Malkmus. Der Erfolg hallte indes bis in meine süddeutsche Heimat nach: „School’s out, what did you expect“, eine der Zeilen aus „Range Life“ prangte auf dem Titelblatt des einzigen Landkreisfanzines „Headspin“. Irgendjemand kritzelte die Zeile später mit einem Edding an das Transformatorenhäuschen gegenüber der Gymnasiumsturnhalle.

Der kaum ein Jahr später aufgenommene Nachfolger Wowee Zowee hinterließ viele ratlos. Sei’s drum. Der Legende nach wollte die Plattenfirma einfach schnell einen weiteren Bestseller landen. Pavement kommentierten das auf ihre Weise. Es folgte anschließend mit Brighten The Corners wieder ein sehr schönes Album, das mit „Shady Lane“ die wohl bekannteste Pavement-Single bevorratete und dessen Melodiösität wohl vor allem Kannberg zu verdanken war, der mehr als bei den Vorgängeralben ins Songwriting eingestiegen war: Mit „Passat Dream“ und „Date w/ Ikea“ stammen zwei der Songs aus seiner Feder. 1999 erschien Terror Twilight. Malkmus holte zum ersten Mal einen richtigen Produzenten ins Boot, der dafür sorgen sollte, dass diese Band gottverdammtnochmal funktioniert. Nigel Godrich, das muss man sagen, war Fan. Besessen von Crooked Rain, Crooked Rain, wie er heute selbst sagt. 1999 war das aber egal. Pop hatte wieder übernommen: Stars des Jahres waren Ricky Martin, die Backstreet Boys und Shania Twain.

Man interessierte sich nicht mehr so für Pavement. Und die, so wird überliefert, waren eher an ihren Scrabble-Skills interessiert als daran, ein Album aufzunehmen. Vor allem Malkmus, der von Portland aus schon im Sommer 1998 erste Solo-Konzerte gab, hatte sich innerlich längst von der Band verabschiedet. Es gefiel ihm einfach nicht, was die anderen aus denn Song-Ideen machte, die in seinem Kopf so ausdefiniert waren. Und Godrich? Er wusste nach einer Woche nicht mal die Namen aller Bandmitglieder. Pavement tourten noch einmal. Aber es war der Wurm drin. Der „NME“ spekulierte über die Trennung der Band, das Label bestätigte sie so halb. Malkmus sagte: nichts. Noch 2000, ein Jahr nach den letzten Konzerten, war die Band-Homepage aktiv. „Du musst die anderen anrufen“, sagte Kannberg. „Kannst du das nicht machen?“, entgegnete Malkmus.

Einatmen. Ausatmen. Nicht über die anderen nachdenken. Nicht über das Vergangene nachdenken. In der Langeweile eine Art Ruhe finden, ein Nichts, aus dem neue Gedanken entstehen. Wir hatten’s vorhin schon mit dem Slackertum, das man auch so sehen kann: als Produktivbrunnen, der unbekümmert Unklares hinaussprudeln lässt, dessen Gestalt erst erkennbar wird, wenn es abgestanden ist. Ich war damals auf recht vielen Pavement-Konzerten. Zwei Mal in der Muffathalle München, einmal aber auch in der Brixton Academy in London, wo die Belgier dEUS und die Hamburger Blumfeld Vorgruppe waren, die seinerzeit gerade ihr Album L’etat Et Moi veröffentlicht hatten. Das passte gut, denn Blumfeld hatten ja ebenfalls den Rock entdeckt. Und den Powerpoprock, der auf Crooked Rain, Crooked Rain oft postuliert wurde, schoben Pavement live zur Seite. Sie spielten ihn nicht, sie spielten an ihm vorbei, und zwar haarscharf. Sie waren laut. Aber eben nicht nur.

„Es ist fast unmöglich, zu beschreiben, warum ‚Slacker‘ so gut ist“, schrieb der „Rolling Stone“ seinerzeit über Linklaters Film. Mit Pavement verhält es sich ähnlich. Zwischen Indie und Powerpop und Lärm und Rock pendelten schließlich auch Superchunk, Sebadoh oder The Breeders. Sie erreichten nie das Standing von Pavement. „Sie strahlen bei aller Unruhe Ruhe aus“, sagt ein Kollege. „Malkmus tut so, als ob er kein guter Musiker wäre. Dabei ist er ein Genie“, sagt Rick McPhail von Tocotronic. Blur, die beste Band Englands, nannten Pavement ab 1997 ihren Haupteinfluss. Und Malkmus selbst? „They’re coming to the chorus now“, singt der in „Gold Soundz“. Stimmt, die Refrains sind bei Pavement wichtig. Immer auf den Punkt. Aber eben immer auch um den Punkt herum.

Da muss man wieder an Gary Youngs Geschichte von den ersten Aufnahmen denken, davon, wie Malkmus ihn und sein Schlagzeug mit Ansagen durch die Songs erklärbärte. Vielleicht ist es das, was die Güte dieser Band ausmacht: Dieses Selbstvertrauen, diese klar erkennbare Freude am Umweg, die im heutigen Pop-Zirkus nicht von Bands, die wie Pavement klingen, sondern von Bands wie den Flaming Lips oder Wilco vertreten werden. Andere, etwa Alt-J oder Django Django arbeiten darauf hin, wenn auch mit anderen Mitteln. Sie eint mit Pavement, dass sie Konventionen brechen, ohne deshalb Alternativen anzubieten. Der Verzicht darauf ist eben die Alternative. Wohlerzogene Middle-Class-Kids, deren Revolution sich im Detail abspielt. Das bedeutet nicht den Verzicht auf Witz. Heißt es in „Cut Your Hair“ nun: „Career, Career“? Oder doch, wie Malkmus gerne behauptet, „Korea, Korea“, als Warnschrei gegen einen womöglich bevorstehenden Nuklearanschlag? Wie ernst ist der Smashing-Pumpkins-Diss gemeint? Was ist der Hintergrund der R.E.M.-Huldigung „Unseen Power Of The Picket Fence“? Es kursieren eigenartige Anekdoten, nicht nur über die Auflösungserscheinungen während der „Terror Twilight“-Tour, sondern auch etwa die Geschichte von einem Vorspiel für den Soundtrack der Teenie-Serie „Beverly Hills 90210“ und einer anschließenden Prügelei mit Jason Priestley, der zwar kontemporäre Popmusik, aber nicht Pavement mag. Die einzige Sache, die verbrieft ist: 1997 schoss ein Mann auf den Pavement-Tourbus. Aus Langeweile. In Deutschland. Nichts passierte.

Die National Word Society Of America hat festgestellt, dass das Wort Pavement zu den 20 wohlklingendsten der englischen Sprache gehört. Der komplette Katalog der Band wurde in den vergangenen Jahren aufgearbeitet und mit umfassenden Liner Notes und jeder Menge Bonusmaterial wiederveröffentlicht. Malkmus hat mittlerweile mit seiner Band The Licks fünf Alben auf der Kette. Er, so schrieb der großartige Chuck Klosterman in einem Stück für die „GQ“, fahre Audi und rauche Zigaretten mit holländischem Samson-Tabak. Während seiner Hochzeit sei ein Song von Kingdom Cone gelaufen. Über die Band rede er nicht gerne, dafür über sein Dasein als Vater und über Sport-Fantasie-Ligen, also das, was in Deutschland „Hattrick“ ist. Darüber seien die ehemaligen Mitstreiter am besten zu erreichen. Kannberg spricht über ihn heute eher wie über einen entfernten Bekannten, schreibt Klosterman. „Es klingt so, als denke er viel über ihn nach, kenne ihn aber kaum. Er nennt ihn nicht einmal beim Vornamen.“ Freundschaften sind im Fluss, verändern sich. Wie Bands das eben auch tun.

Inspiriert von

The Fall

The Replacements

The Velvet Underground

My Bloody Valentine

R.E.M.

Wire

Haben inspiriert

Blur

Los Campesinos!

Tocotronic

Death Cab For Cutie

Built To Spill

Weezer

Das Pavement-Mixtape

1. Box Elder

2. Western Homes

3. My Radio

4. Trigger Cut / Wounded Kite At :17

5. Stereo

6. Unseen Power Of The Picket Fence

7. Range Life

8. Major Leagues

9. Date w/ Ikea

10. The Killing Moon

11. Here

12. Gold Soundz

Die schönsten Textzeilen

„It was the way you smiled and made me know at once: I got to get the fuck out of this town.“

(„Box Elder“)

„Your jokes are always bad. But not as bad as this.“

(„Range Life“)

„So drunk in the August sun / And you’re the kind of girl I like ‚Cause your empty and I’m empty and You can never quarantine the past.“

(„Gold Soundz“)

Die Platten

Slanted and Enchanted (1992)

Pavement sind eine der wenigen Bands, deren Essenz sich mit dem Debüt am besten fassen lässt. Slanted AND Enchanted verbindet 80er-sozialisierten College Rock mit einem ungemeinen Gespür für Melodieführung, aber auch dafür, diese Melodieführung im richtigen Moment kippen zu lassen.

Crooked Rain, Crooked Rain (1994)

Das Erfolgsalbum. Pavement arbeiteten am Songwriting, ohne die alte Unbefangenheit zu verlieren. Vor allem strafften sie ihre Besetzung, statt Gary Young trommelt Steve West, zum ersten Mal sind Mark Ibold und Bob Nastanovich auf einem Album zu hören. Das Ergebnis: Hits, Hits, Hits.

Wowee Zowee (1995)

Der rasch erschienene, aber gar nicht so hastig klingende Nachfolger. Entfesseltes Improvisations-Halligalli („Half A Canyon“) trifft auf wohl abgehangene Midtempo-Tracks (Beinahe Bowie: „We Dance“). Insgesamt wenig Neues, aber viel Gutes.

Brighten the Corners (1997)

Das erste Alterswerk. Entsprechend formatiert. Sieht man vom ruppigen „Stereo“ ab, hört man auf Brighten The Corners eine vorsichtige Erweiterung des Werks um Einflüsse aus Folk, Folkrock und Rock. Entspannter als hier klang Stephen Malkmus selten, traditionalistischer als etwa auf „Date w/Ikea“ Kannbergs Gitarre nie. Unterschätzte Platte.

Terror Twilight (1999)

Verträumter Pop, Psychedelica. Fast-Jazz, gedankenverhangene Balladen: Etwas wirr wirkende Platte, die aber mit der Zeit wächst. Fun Fact: Der nicht bei allen Bandmitgliedern beliebte Produzent Nigel Godrich brachte Radiohead-Mann Jonny Greenwood als Harmonika-Spieler ins Pavement-Camp.

Die anderen

Das erste „richtige“ Label der Band, Drag City, wollte etwas vom Pavement-Kuchen abhaben, als die Band populär wurde und veröffentlichte 1993 die Compilation Westing (By Musket And Sextant), die das Frühwerk der Band gut abbildet. Manchmal rauscht’s und rumpelt’s arg, aber das liegt wohl in der Natur der Sache. Durchaus klug zusammengestellt ist die 2001 erschienene Greatest-Hits-Sammlung Quarantine The Past.

Pavement für Kenner

– Zunächst waren Pavement nur das Projekt von Malkmus (Künstlername: „S.M.“) und Kannberg („Spiral Stairs“). Gary Young spielte zwar auf „Slay Tracks: 1933 – 1969“ Schlagzeug – aber eher, weil’s gerade so gut passte. Von der Single wurden 1 000 Stück gepresst – Malkmus und Kannberg behielten je 100, die sie über die nächsten Jahre immer dann veräußerten, wenn sie in finanziellen Schwierigkeiten waren. 100 Dollar, so sagt Malkmus, bekam man seinerzeit für die Single. Bei discogs notiert sie aktuell mit 268 Dollar. Live-Auftritte? Standen nicht auf der Agenda. „Wir haben nur simuliert, dass wir eine Band wären“, sagt Malkmus heute.

– Niemand geringeres als Sonic-Youth-Mann Thurston Moore drehte 1992 das erste Pavement-Musikvideo. Wobei wohl „schneiden“ der passendere Begriff wäre: Der Song „Here“ wird von Live-Bildern flankiert, die offenbar zu völlig anderen Stücken gehören. Ohnehin fällt es sehr schwer, einen richtig guten Pavement-Clip zu finden: Selbst Spike Jonzes Versuch, „Shady Lane“ irgendwie Richtung Kunst zu schieben, wirkt eher kopflos.

– Wenn man’s weiß, erkennt man’s: Der Hit „Slave To The Wage“ von Placebo basiert teilweise auf einem Sample aus dem Pavement-Song „Texas Never Whispers“.

– Das dritte Album, Wowee Zowee, trägt seinen Titel nach einem Ausruf von Ur-Drummer Gary Young, den er immer dann anbrachte, wenn er aufgeregt war. Einer der Arbeitstitel des Albums lautete „Dick Sucking Fool At Pussy-Licking School“. Als die Band das Album bei Warner Records, dem damaligen US-Vertriebspartner ihres Labels Matador, vorspielte, verließ Labelpräsident Danny Goldberg nach dem Albumopener den Raum. Warner hatte gehofft, die Band als Nirvana-Nachfolger vermarkten zu können.

– Der unterhaltsame Konflikt mit Billy Corgan, der seinen Anfang im Text zu „Range Life“ nahm, und seinen Höhepunkt darin fand, dass die Veranstalter des Lollapalooza-Festivals 1994 Pavement auf Anweisung des Headliners Smashing Pumpkins aus dem Line-up schmissen, ging auf der Tour zu Terror Twilight in eine späte zweite Runde: Bei einem Konzert in Chicago coverte die Band „1979“ von den Smashing Pumpkins – mit einem leicht veränderten Text, in dem Malkmus mutmaßte, Corgan würde ihn gerne umbringen lassen. Danach sagte er: „Ich meine das völlig ernst. Irgendwann wird der Typ einen Killer auf mich ansetzen. Es gibt Russen, die machen das für einen Tausender. Ich weiß doch, was für ein Geizhals er ist!“ Anschließend spielten Pavement den Song „Billie“ – der mit Corgan wohl nichts zu tun hat.

– Pavement coverten ausführlich und gerne – etwa „Camera“ von R.E.M., „The Classical“ von The Fall, „The Killing Moon“ von Echo & The Bunnymen oder „Oddity“ von The Clean. Die Musik von Pavement nahmen sich neben den im Text erwähnten Wedding Present auch Surfer Blood, Los Campesinos!, Grandaddy und Cat Power vor.

Wo sind sie hin?

Preston Schools of Industry

Scott Kannbergs Band nach Pavement. Veröffentlichte eine EP und zwei Alben. Kannbergs drittes Werk erschien 2009 unter dem alten Pavement-Moniker Spiral Stairs.

Stephen Malkmus & The Jicks

Mit seinen Jicks hat Stephen Malkmus bisher fünf Alben veröffentlicht. Zuletzt erschien das erstaunlich stringent klingende, von Beck produzierte Mirror Traffic.

Marbel Valley

Neue Band von David Berman und Steve West.

Gary Youngs Hospital

Ur-Drummer Gary Youngs Band riss nicht viel – sieht man von einem Musikvideo, das in der TV-Show „Beavis & Butt-Head“ lief, ab.

Sonic Youth

Nicht nur eine der wichtigsten Bands Amerikas, sondern auch der spätere Arbeitgeber von Bassist Mark Ibold.

Die Rennbahn

Bob Nastanovich jobbte nicht nur als Tour-Manager, unter anderem auch für Stephen Malk-mus. Er züchtet auch Rennpferde (Englisches Vollblut), arbeitete als Jockey und Pferdesport-Journalist.