Der weiße Riese


Er litt unter Angstzuständen, Panikattacken und wäre "am liebsten einfach gestorben". Trotzdem zieht es den Blues-Giganten immer wieder zurück auf die Bühne.

DIE KLASSISCHE FRAGE, OB WEISSE DENN nun tatsächlich den Blues spielen können, ist mittlerweile wohl hinreichend beantwortet. Johnny Winter spielt den Blues, und er ist so weiß, weißer geht’s nicht. 1944 kam er in Leland/Mississippi zur Welt. Als Albino, und damit qua Geburt als Außenseiter. Doch in der Welt des Blues ist das bekanntlich kein Makel, ganz im Gegenteil. Man muss in seiner Jugend nicht zwangsläufig Baumwolle gepflückt haben, um standesgemäße Zwölftakter auf die Reihe zu bringen, doch eine kräftige Portion Außenseilertum ist der Authentizität in jedem Falle förderlich. Wie sollte man auch gefühlvoll über „Bad Luck & Trouble“ singen, wenn man ansonsten als heftig umworbener High School-Liebling oder selbstzufriedener Kapitän der Football-Mannschaft durchs Leben schreitet? „Während der Schulzeit war ich ständig in Kämpfe verwickelt“, erinnert sich Johnny Winter, „dauernd gab’s Arger, weil ich anders war. Die meisten Leute hatten noch nie zuvor einen Albino gesehen. Einige konnten damit offenbar überhaupt nichts anfangen und reagierten unfreundlich, andere wiederum bekamen es einfach mit der Angst.“

Zum Prügelknaben taugte Johnny Winter allerdings nicht, er wusste sich zu wehren – und sei es mit seiner Gitarre: „Ich habe mal einem Typen meine Gibson I^s Paul über die Rübe gezogen. Er wachte erst wieder auf, als ich schon längst gegangen war. Glücklicherweise, denn der Kerl war ein ziemlicher Schrank.“ Nur nebenbei bemerkt: So eine Les Paul ist aus hartem Palisanderholz gefertigt und bringt knappe fünf Kilo auf die Waage. Schlagkräftig war und ist Winters Gitarre jedoch auch in anderer Hinsicht. Unter all den weißen Saitenhelden gilt lohnny Winter zu Recht als der „schwärzeste“. Das kommt davon, wenn man als weißer Junge stau in Los Angeles oder einem Londoner Vorort in Texas aufwächst, genauer gesagt in einem Kaff namens Beaumont. Deep Down also, und im Radio laufen ständig Country und Blues. Mit elf Jahren griff Johnny Winternach einem kurzen Gastspiel auf der Klarinette zur Gitarre, er war von Muddy Waters und Howlin‘ Wolf derart begeistert, dass er jede Bluesplatte kaufte, derer er habhaft werden konnte. Line Schule fürs Leben. Außerhalb des Südens und der schwarzen Communities von Chicago oder Detroit war der Blues damals allerdings überhaupt kein Thema mehr. Lind selbst in benannten schwarzen Hochburgen hörte man lieber Jazz, Doo Wop oder Soul. Gemahnte der Blues doch an jene unselige Vergangenheit, die man besser vergessen wollte: Sklaverei und Depression, Lynchjustiz, Überschwemmungen und schlechte Baumwollernten. Den weißen Mainstream-Markt regierten Country und Rock’n’Roll – oder das, was Anfang der sechziger Jahre davon noch übrig geblieben war. „AJs icli 18 wurde, zog ich nach Chicago und spielte Twist, was damals dank Chubby Checker das große Ding war. Nach ein paar Monaten kehrte ich jedoch nach Texas zurück und verdingte micht fortan als Sessionmusiker – mit dem Blues Geld zu verdienen, schien mir jedenfalls völlig unmöglich.“ Also spielte Johnny Winter all das, was eben gerade so anstand. Und unter eigenem Namen auch das, was zumindest theoretisch ankommen konnte: Die Single „Birds Can’t Row Boats“ erinnerte an die damals populären Byrds, „Avocado Green“ klang verdächtig nach Bob Dylan, und „Coming Up Fast“ hätte auch auf eine damalige Stones-Platte gepasst. Audi Surfsounds und psychedelischen Rock hatte Winter im Repertoire, doch seine Liebe galt weiterhin dem Blues. Keine leichte Zeit für Johnny Guitar: „Ich war frustriert, weil ich nicht das umsetzen konnte, was ich eigentlich wollte.“ Zudem erwiesen sich Winters Ausflüge in die Welt der Popmusik mehrheitlich als kommerzielle Flops. Ein anderer, völlig neuer Job kam audi nicht in Frage. Außer Gitarrespielen hatte Winter letztlich nichts gelernt. Mittlerweile kann er darüber lachen: „Ich versuchte mich kurzzeitig als Gitarrenlehrer, brachte jedoch bei weitem nicht genügend Geduld mit.“

DIE FROHE BOTSCHRFT RUS FNGLRNO KRM HLSO gerade recht: Man kann mit Blues Geld verdienen. 1968 ließen Cream und die Jimi Hendrix Experience daran keinen Zweifel. „Das ermutigte mich, doch noch mein Ding durchzuziehen“, erinnert sich Winter, der mit dem Schlagzeuger “ Red“ John Turner und dem Bassisten Tommy Shannon kurz zuvor bereits sein eigenes Bluesrock-Trio gegründet hatte. In Austin und Houston zog man durch In-Clubs mit so wohlklingenden Namen wie „The Vulcan Gas Company“, „The Love Street Light Circus“ oder „The Feelgood Machine“. Mit „The Progressive Blues Experiment“ erschien sogar ein Album der drei Freizeit-Blueser. Der große Durchbruch ließ allerdings noch auf sich warten: „Wir waren noch immer kurz vor dem Verhungern und verdienten so gut wie gar nichts.“ Das ist der Blues, nicht wahr?

Also auf ins gelobte l.and, aul den Spuren von Jimi Hendrix nach England, wo selbst die Beatles „Yer Blues“ spielten. Eine Arbeitserlaubnis rückte der Zoll Ihrer Majestät aber bedauerlicherweise nicht heraus. „Die hätten mich beinahe nicht ins l.and gelassen, weil ich einen Gitarrenkoffer trug. Sie machten mir eindrucksvoll klar, dass ich den Koffer besser geschlossen ließe, wenn ich keinen Ärger haben wolle. Zumindest trafen wir etwas später Mike Vernon, der damals als Produzent von Fleetwood Mac arbeitete.“ Schön und gut, doch der New Yorker Club-König Steve Paul war schließlich schneller. Nachdem die amerikanische Zeitschrift „Rolling Stone“ Johnny Winter als „schielenden Albino mit wallendem Haar“, tituliert hatte, der die „kernigste und flüssigste Bluesgitarre spielt, die man je gehört hat“, überboten sich die Plattenfirmen mit ihren Offerten. Paul bekam den Zuschlag und vermittelte Johnny Winter einen 600.000 Dollar schweren Plattendeal mit CBS Records. Von da an hieß es Johnny Winter Superstar, denn 1969 galt ein Vorschuß von 600.000 Dollar als schlichtweg astronomisch. Winter wiegelt ab: „Ständig gab’s irgendwelche Leute, die behaupteten, das sei der lukrativste Vertrag in der Geschichte der Menschheit. Doch tatsächlich bezog sich das Geld auf zwölf Alben in sechs jähren.“ Immer noch ein guter Schnitt, den Winter dann auch mit hervorragenden Alben rechtfertigte. Anders ausgedrückt: Der Mann war sein Geld wert. Gitarrenhelden boomten, und neben Jimi Hendrix, Jeff Beck, Eric Clapton, Jimmy Page und Alvin Lee hatte fortan auch Johnny Winter ein lautes Wörtchen mitzureden. Bluesrock galt als Popmusik der Stunde, nachdem der oftmals naive Beat endgültig ausgedient hatte und auch psychedelische Klänge nicht mehr richtig zogen. Nach all den Trips machte sich Katerstimmung breit, und den aufkommenden Progressive Rock empfanden viele Hörer als zu kompliziert und kopflastig. Da kam der bodenständige Blues gerade recht. Waren Johnny Winters Fähigkeiten als Gitarrist über jeden Zweifel erhaben, schieden sich an seinen Gesangskünsten allerdings die Geister.

Winter krähte den Blues, alles andere als wohlklingend aber durch und durch authentisch.

Nach zwei Alben schlug Johnny Winter – nicht zuletzt auf Druck des Managements – eine etwas andere Richtung ein: „Anfang der Siebziger war der Blues wieder passe, und Steve Paul überzeugte mich davon, künftig mehr Rock’n’Roll zu spielen, um nicht den Anschluss zu verpassen.“ Gesagt, getan. Turner und Shannon mussten gehen. Mit den Überbleibseln von Rick Derringers ehemaliger Pop-Band The McCoys gründete Winter die Formation „Johnny Winter And“. Nach zwei grandiosen Werken schlug jedoch das Schicksal zu. Wie so viele Musiker jener Ära halte sich auch Johnny Winter den „Nasty Habits“ ausgeliefert. Er war hoffnungslos auf Heroin und musste in der Rena-Klinik zwangpausieren: „Ein Jahr lang war ich weg vom Fenster“, fasst Winter dieses reichlich dunkle Kapitel zusammen.

Programmatisch „Still Alive And Well“ betitelt, geriet sein nächstes Werk zum Comeback-Album. „Ich glaube, ‚Still Alive And Well‘ ist bis heute mein bestes Rock-Album“, urteilt Johnny Winter, „doch was den kommerziellen Erfolg anging, blieb es eher eine Enttäuschung.“ Es deutete sich an, was im weiteren Verlauf der siebziger Jahre schließlich zur Gewissheit werden sollte: Zwar existierte ein harter Kern treuer Fans, doch im Hitparaden-Mainstream spielten Blues und Rock n’Roll neben Glam-Pop, Disco und später Punk eine immer unbedeutendere Rolle. Zudem hatten andere Gitarrenhelden Johnny Winter schlichtweg überholt. Jimmy Page feierte mit seiner hochkommerziellen Band Led Zeppelin Welterfolge, Eric Clapton sprach mit kompakten Songs ohne ausufernde Soli ein immer größeres Publikum an, und Hendrix war längst zum Mythos erklärt worden. Johnny Winter veröffentlichte zwar weiterhin qualitativ gute Alben, kooperierte mit seinem keyboardspielenden Bruder Edgar, produzierte die Blueslegende Muddy Waters und tourte fleißig um den Globus, doch eines fehlte: eine Hit-Single. Dass Muddy Waters im Spaß behauptete, Johnny Winter sei in Wirklichkeit sein Sohn, machte ihn zwar „sehr glücklich“ aber bestimmt nicht reich.

Massive gesundheitliche Probleme -Winter leidet wie viele Albinos unter erheblichen Sehstörungen – veranlassten ihn Anfang der achtziger Jahre zu einer weiteren Auszeit, die erst mit dem hochgepriesenen Album „Guitar Slinger“ von 1984 endete. Konzessionen an den Mainstream sind seitdem kein Thema mehr. Winter spielt den Blues, mal laut und elektrisch, mal ländlich und akustisch wie in seiner Heimat. 1986 konnte er sogar die Wiedervereinigung mit seinen alten Weggefährten „Red“ John Turner und Tommy Shannon feiern. Im New Yorker Madison Square Garden erntete Winter 1990 anläßlich der „Tribute To John Lee Hooker“-Show stehende Ovationen. Als Bob Dylan drei Jahre später sein Jubiläumskonzert gab, begeisterte Winter die Massen mit einer fulminanten Version des Dylan-Klassikers „Highway 61“. „Ein Höhepunkt meiner Karriere“, befindet Johnny, „und eine große Ehre“.

Sicher auch Genugtuung für einen Mann, der bereits seit seiner lugend immer wieder unter heftigen Panikattacken leidet. „Manchmal wusste ich wirklich nicht, ob ich überhaupt heil auf die Bühne komme oder eine Show auch tatsächlich beenden kann. Ich litt unter furchtbarer Angst und wäre am liebsten einfach gestorben. Seit einigen Jahren nehme ich Medikamente, die mir helfen, diese Angstzustände zu bewältigen.“ Winter, der mittlerweile in New York lebt, steht noch heute auf der Bühne – nicht allzu oft, aber regelmäßig. „Ich liebe es noch immer, live zu spielen. Es gibt nichts Besseres, als auf der Bühne vor einem begeisterten Publikum zu stehen.“ Zwar füllt Johnny Winter heute keine 1 ußballstadien mehr, doch Clubs und kleine Hallen sind regelmäßig brechend voll, wenn der zerbrechlich wirkende Citarrist den Verstärker anwirft. Ob seine Musik irgendeinen Bezug zu gängigen Trends hat, ist dem Überzeugungstäter denn auch schlichtweg egal: „Ich weiß, dass mein Sound mit gegenwärtigen musikalischen Slilrichtungen wenig bis gar nichts zu tun hat. Keine Ahnung, ob das jemals anders war. Wahrscheinlich nicht. Ich ziehe eben einfach mein Ding durch, denn von meinen Wurzeln wollte ich mich nie zu weit entfernen. Und diese Wurzeln sind eben der Blues.“