Dexy’s Midnight Runners – Soul Gypsies


Dem Wandertrieb echter Zigeuner folgend, haben die Midnight Runners ihren musikalischen Standort verlagert: Fiedel und keltische Folk-Efemente bestimmen den Sound der einstigen Soul-Rebellen. E^H s ist schon ein paar ^H Jährchen her, da mm streifte mein Blick bei einem Empfang für ^H die Faces eine winzi^ ge Figur am anderen Ende des Raumes, den markanten Kopf und die Wulstlippe an einem Champagnerglas. .Hey..“, stieß ich meinen Begleiter an, .wer ist denn der Knirps dahinten, der wie Mick Jagger aussieht?“ -,Das ist Jagger,“kam die Antwort. Mein Freund machte mich daraufhin mit einer Grundregel der Rockmusik vertraut, die da lautet: Je größer das Ego, desto kleiner der Popstar. Das Phänomen basiert auf dem – wie Psychologen es nennen – Napoleon-Komplex: Kleine Männer zieht es zur Rockmusik, weil ihnen zu wenig andere Türen offenstehen. Und vor allem, weil sie sonst keine Mädchen abstauben würden. Rein intellektuell läßt sich sowas zwar verarbeiten, schwieriger aber ist es, dieses Phänomen praktisch in den Griff zu bekommen. Auf der Bühne sieht nun mal jeder groß aus, aber wenn du Roger Daltrey, Graham Parker oder Paul Simon die Hand schütteln willst, mußt du erstmal vor ihnen auf die Knie gehen. Nachdem ich die jüngsten Interviews von Kevin Rowland gelesen und die letzten PR-Fotos betrachtet hatte, war ich auf eine Mischung zwischen Toulouse Lautrec und Charlie Chaplin gefaßt. Meine Überraschung war groß, als ich im Hamburger Phonogram-Büro feststellte, daß der Mann in den sorgfältig zerfetzten Huckleberry Finn-Overalls – gemessen am Pop-Standard – nahezu ein Riese ist. Kevin Rowland scheint seine Karriere zu steuern, indem er alles rückwärts macht. Im Jahr der Human League verkauft er eine Variante dessen, was Van Morrison schon vor mehr als zehn Jahren als Celtic Soul Music bezeichnete. Er lebt im unmodischen Birmingham und kann so dem Gesellschaftsleben der londoner Szene aus dem Wege gehen, das für den Erfolg der Steve Strange/Spandau Ballet/Ultravox-Inzucht von so entscheidender Bedeutung ist Und während D.A.F. für ein macho-mäßiges Plattencover den Bizeps spannen, verpaßt Kevin seinen Midnight Runners schlabbrige Arbeitshosen, Baskenmützen und Ohrringe, daß man sie fast für Angehörige eines versprengten Zigeunerstammes halten kann. Jeder Effekt ihrer Präsentation, jeder Aspekt seiner Musik ist und das gibt Rowland auch unumwunden zu – sorgfältig kalkuliert. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Vor zwei Jahren noch weigerte sich die Band, mit den englischen Musikzeitungen zu reden. Und jetzt, ,um die Leute zu schockieren ‚ wie Kevin es formuliert, gibt er wieder Interviews. .Ich hatte das Gefühl, daß man fest damit rechnete, daß wir unter keinen Umständen mit der Presse reden. Weißt du, ich setze schon auf gewisse Prinzipien und halte es für wichtig, einen Standpunkt zu vertreten. Aber ich wollte andererseits auch nicht halsstarrig und unflexibel sein wie ein alter Mann.“ Er zuckt mit den Schultern und hebt seine großen Hände zu einer Geste der Resignation. „Inzwischen ist es für mich genauso unwichtig, Interviews zu geben wie vor zwei Jahren die Tatsache, keine zu geben. Damals dachte ich, ich arbeite schwer genug an meiner Musik – mein Privatleben gehört mir. Und ich werde nicht zulassen, daß irgendso ein Schwätzer unter Mißachtung meiner Musik innerhalb einer halben Stunde meine Existenz zerpflückt. Was haben dir diese englischen Musikzeitungen im übrigen schon zu bieten ? Wenn sie dich zufällig mögen, dann besitzt du für ein paar Monate eine ,hip credibility“. Also, ihre credibility können sie sich sonstwohin stecken. Inzwischen denke ich mir eben: Okay, dieses Interview mag dazu beitragen, daß ich ein paar Platten mehr verkaufe. Ich glaube an diese Musik, halte sie für wirklich gut und will damit auch so viele Leute wie möglich erreichen. Ich tue deshalb mein Bestes, um sie auch zu promoten. Aber ich habe meine Meinung über Kritiker nicht etwa geändert. Ich kenne ihren Stil. Während des Interviews geben sie sich noch superfreundlich. Zuhause werden sie dann unheimlich mutig und verpassen dir hinterrücks Gemeinheiten, die sie dir niemals ins Gesicht sagen würden. Solche Leute kann ich beim besten Willen nicht respektieren. Darum lese ich die Artikel auch gar nicht mehr. Mir geht’s nur noch darum, wieviel Platz sie mir eingeräumt haben. Titelstory? Mittlere Doppelseite? Toll. Das reicht mir.“ Jede Art von Promotion ist gute Promotion, in der Tat . Genauso sehe ich es inzwischen auch.“ Kevin spricht wiederholt von bestimmten Zyklen und Phasen in Dexy’s Werdegang. Und da gibt es eine strenge Abgrenzung – für den Außenstehenden kaum nachzuvollziehen – zwischen ,this year’s thing“ und „last year’s thing“. Was das vergangene Jahr betrifft, so handelte es sich dabei um ausgeprägte Gruppendisziplin unter Betonung der körperlichen Fitness. Dazu gehörte, daß man den Weg zu den Proben joggenderweise zurücklegte. „Damals war’s das Richtige für uns,“ mein Kevin, „aber heute würde das nicht mehr hinhauen. Das hat sich auf natürliche Weise totgelaufen.“ Ebenso warfen sie den ganzen Ballast der früheren Dexy’s-Terminologie über Bord. Heute windet sich Kevin, wenn er nur an das Motto ihrer 80er Tour denkt: „Projected Passion Revue“. Natürlich hatte es „zu der Zeit seine Berechtigung“. Und das neue Album trug schon fast den Titel THOSE ENDEARING YOUNG CHARMS, bis er es sich, .Scheiße – schon wieder dieser typische alte Dexy’s-StH“ – schnell noch anders überlegte. „TOO-RYE-A Y hat für Jetzt genau das richtige Feeling.“ Und die neuen Klamotten? “ Genau dasselbe. Ich halte es für absolut angebracht, 1982 sowas anzuziehen. Es ist rein instinktiv, aber gleichzeitig auch sehr gut durchdacht.“ Aber, werfe ich ein, wie hast du die anderen Jungs in der Band von deinem Instinkt überzeugt? Hast du ein Meeting einberufen und verkündet: Wir haben 1982, in diesem Jahr werden wir uns wie Zigeuner ausstaffieren? Kevin gestattet sich ein leichtes Glucksen. „Es ist schon witzig, wenn man es so formuliert. Nein, ich habe einen Haufen Ideen, was die Kleidung betrifft -und dann frage ich sie, was sie davon halten. Für gewähnlich sagen sie dann, fuck off, was absolut in Ordnung ist, denn oft genug habe ich grauenvolle Einfälle. Aber diese Latzhosen habe ich irgendwann einfach angezogen, worauf ein paar von den Jungs meinten: ‚Die sehen ja ganz gut aus, ich glaube, ich hol‘ mir auch ein Paar‘. Ein anderer kam schließlich darauf, daß man dazu ja auch ganz gut diese Halstücher tragen könne. Und so weiter. Ich halte die Kleidung für ausgesprochen wichtig. Sich bloß für einen Auftritt aufzudonnern, wie das die meisten Bands tun – das heißt doch, daß du die Leute nur anscheißt. Das bringt’s überhaupt nicht. Aber mit den Sachen zu leben, es dahin zu bringen, daß Kleidung und Musik sich ergänzen … das trägt tatsächlich dazu bei, ein vollständigesBildvon dem rüberzubringen, was du machst.“ Ich möchte von Rowland wissen, ob es ihn denn tatsächlich stört, wenn er andere Musiker trifft, die seiner Meinung nach abstoßend gekleidet sind. ,Die Fragekann ich nicht beantworten,“ erklärt er, „weil ich nie andere Musiker treffe. Außer der von den Dexys mag ich eigentlich gar keine Musik.“ Nun, du magst aber Van Morrison, gebe ich zu bedenken. Und der gehört auch nicht gerade zu den bestgekleideten Leuten. „Nein, das macht mir nichts aus, das ist richtig. Aber ich bin nun mal nicht Van Morrison. Und im Gegensatz zu dem, was einige derweniger freundlichen Kritiker meinten, habeich auch nicht die Absicht, einer zu sein. So großartig er auch ist.“ Für TOO-RYE-AY haben Dexy’s Van’s Jackie Wilson Said“ neu bearbeitet, und dazu gibt es eine Anekdote: Van Morrison hatte sich tatsächlich bereit erklärt, für diese Version die Backing Voca/s zu singen, aber Kevin entschloß sich, doch darauf zu verzichten. „Ich hatte ihm die erste grobe Fassung zugeschickt mit der Anfrage, ob er Lust hätte, die Backing Vocals zu singen. Ich habe nicht einmal mit einer Antwort gerechnet. Dann passierte es, daß er zu uns ins Studio kam, weil ihm die Nummer gefiel. Zu dem Zeitpunkt aber war das Stück so gut wie fertig, zusätzliche Vocals erschienen einfach überflüssig. Van war derselben Ansicht, also haben wir darauf verzichtet. Da gab’s übrigens noch etwas. Ehe wir anfingen zu singen, unterhielten wir uns noch – was ebenfalls auf’s Tape kam. Ich habe ihn gefragt, wieesihm vorkommt, wenn andere seine Lieder singen, und er meinte: (Kevin verfällt in breiten irischen Slang): ‚Well, this is all roight das sind halt Interpretationen.‘ Ich wollte diesen Schnipsel gern auf der Platte haben, aber Van war da nicht zu begeistern. Was ich auch akzeptiere. Und warum hat Kevin die hookline von Jackie Wilson Said“ verändert, warum singt er „Let it all come down“ anstelle von „Let it all hang out?“ „Das ist ganz einfach: ‚Let it all hang out‘ gehört eben nicht zu m einem Vokabular. So etwas würde ich einfach nicht sagen…“ Wir sprechen über die keltischen Wurzeln im neuen Dexy’s-Konzept. Mir kam es irgendwie eigenartig vor, diese irischen Fiedel-Akzente über dem eher urbanen Soulsound zu hören. Ein merkwürdiger Schritt für einen Einwohner Birminghams, einer Stadt, die – ähnlich wie Frankfurt – aus einem einzigen großen Parkplatz zu bestehen scheint, einem ständig wachsenden Wirrwarr von Industrie. „Ich glaube, das steckt irgendwie in mir,“ meint Kevin. „Ich habe das nicht forciert. Mein familiärer Background hat durchaus keltischen Einschlag. Meine Mutter war Irin, ich wuchs mit irischer Musik auf. Meine ersten Kindheitserinnerungen sind die, daß mein Vater mich auf dem Schoß nahm und mir Volkslieder vorsang. Ich suchte schon lange nach einer Möglichkeit, diese Elemente irgendwie einzubauen. 1980 habe ich sogar versucht, die Blaser in der Band rumzukriegen, Geige zu lernen. Die sind natürlich ausgeflippt! Aber jetzt war das eine natürlichere Entwicklung als im ersten Stadium der Band. Damals habe ich mich einer totalen Gehirnwäsche unterzogen, indem ich mein Radio wegwarf und nur noch zuhause Soul-Platten hörte. Das war einfach ein Lemprozess. Nach draußen hin sah es vielleicht nicht so aus, als ob wir besonders hart arbeiten würden, aber tatsächlich waren wir die ganze Zeit im Studio und experimentierten mit verschiedenen Streichinstrumenten. Wir haben Celli, Viola und Violine ausprobiert. Aber das Schlüsselerlebnis kam für mich, als ich Helen O’Hara traf.“ Eine Begegnung, die unter romantischen Umständen an einer Bushaltestelle in Birmingham zustande kam. Kevin wollte gerade zur Probe, und Helen war unterwegs zur Musikhochschule, die Violine unter dem Arm. Kevin brach ein Gespräch vom Zaun und erzählte ihr von seinen Schwierigkeiten. „Sie war absolut desinteressiert, “ lacht er. „Sie hatte nie im Leben von Dexy’s Midnight Runners gehört und Popmusik m och te sie sowieso nich t. Für sie gab es nur klassische Musik oder Folk.“ Aber, wie in dem berühmten Song der Hollies, trafen sie sich ständig wieder an derselben Haltestelle – und Kevin setzte alles daran, ihren Widerstand zu überwinden. „An einem Tag bin ich ihr dann nachgegangen, versuchte, sie zu überzeugen. Sie hatte noch immer kein Interesse, mit mir zu reden. Aber so erfuhr ich ihre Adresse und steckte ihr eine Kassette in den Briefkasten, mit meiner Telefonnummer. Und das funktionierte. Sie kam zu den Proben und meinte, ‚Also an der Stelle würden sich drei Geigen gut machen‘. Und sie hatte recht. Das war der Ausgleich. Sie war sozusagen das fehlende Glied in der Kette.“ Seitdem hat die Gruppe ihr komplettes Repertoire „traditionalisiert“. Wie es scheint, hat Rowland _ damit seine bislang erfolgreichste Richtung eingeschlagen. „Come On Eileen“ ist die in England bisher bestverkaufte Single des Jahres. “ Es klin gt vielleich t arrogan t,“ sagt Kevin, “ aber das m ußte ein lach riesig einschlagen. Ich hatte schon beschlossen, auszusteigen, falls die Single und das Album nicht abheben würden. Ich hätte die Band ad acta gelegt und hätte etwas völlig anderes gemacht. Ich habe keine Lust, in die Fußstapfen dieser mittelmäßig erfolgreichen Bands zu treten und das ganze Jahr über zu touren, nur um eine Formation dieser Größenordnung (12 Leute umfaßt das Dexy’s Tour-Ensemble) unterhalten zu können. Sowas versetzt dich doch in eine absolut anti-kreative Lage. Wenn du ständig nur unterwegs bist, um deine Kosten reinzukriegen – das ist tödlich. Ich brauche wirklich eine Menge Zeit für mich, um nachzudenken und zu planen.“ Wird der neue Sound nun richtungsweisend sein für die Zukunft oder ist er eher als Übergang zu werten? „Als Ubergangsphase,“ grient Kevin. „Aber ich glaube, daß die Leute langsam begreifen, worum es uns geht. Das einzige, was man von uns erwarten kann, ist, daß wir uns ständig verändern, immer und immer wieder auf’s neue.“