Die Hintermänner


Ja, ja, das Ganze hier ist eigentlich ein tragischer Unglücksfall Es gibt nämlich zwei Dinge, die ich überhaupt nicht kann: Fotografieren und Geschäfte machen. “ Sagt Jim Rakete, Deutschlands bekanntester Rockfotograf und vor allem Manager von Spliff, Nena und einigen anderen Künstlern wie Maurenbrecher, Prima Klima, Sternhagel und ehemals Interzone.

„Ich bin nicht so’n abgezockter Typ, dazu verstehe ich von dem ganzen Geschäftskram viel zu wenig. Für solche Fälle habe ich meinen Anwalt. Der ist dann sozusagen mein Schäferhund, den ich loslasse, wenn’s nötig ist. Und der macht seine Arbeit dann auch sehr gründlich.“ Sagt der Mann vom Hagener Kartell, Extrabreit-Manager Jörg Hoppe.

Etwas weniger grell stellt sich die Lage bei dem dritten in diesem Bunde dar: Conny Konzack. Der Tourneeveranstalter, Kinobesitzer und nicht zuletzt Ideal-Manager ist immerhin gelernter Kaufmann, dem Jim Rakete unterstellt: „Der ist unheimlich clever und im Gegensatz zu mir auch ein echter Geschäftsmann, der im Zweifelsfall bei der Band immer für die Kapital-Interessen steht.“

Trotzdem, es hat sich eine Menge verändert in der Szene der „Hintermänner“. Wo früher ergraute Firmenbosse die Schicksale von Gruppen verwalteten, hat sich heute ein neuer Typ des Selfmade-Man zur Spitze durchgebissen. Vor ein paar Jahren noch Illustriertenfotograf (Rakete), Sozialarbeiter (Hoppe) oder Angestellter bei einer Alternativzeitung (Konzack) – und diese Reihe ließe sich mit anderen Beispielen fortsetzen – bestimmen mittlerweile Leute die Geschicke deutscher Top-Acts, die vom Geschäft ursprünglich tatsächlich keinen blassen Schimmer hatten.

Was sie nicht hindert, inzwischen souverän die Millionen im Auge zu halten. Typischer Telefon-Dialog im Extrabreit-Büro: Hoppe zu X: „Ich brauch‘ dringend mal ’n bißchen Geld. Kannst du mal eben die 50000 Mark rüberschicken?“ Als wenn’s ein Stück Käse für das Abendessen wäre. Außer Alter (alle um die 30),Äußerem und Arbeitsweise unterscheiden sich die Drei noch in einem anderen wesentlichen Punkt von den Musik-Mogulen alter Schule: Ihre Namen sind untrennbar mit der Geschichte ihrer Gruppen verbunden, und wenn Rakete sagt: „Ich bin der fünfte Mann bei Splitt“, dann trifft das für die anderen und ihre Bands ebenso zu.

Den Schritt aus dem Probenraum zum ersten Auftritt, den Schritt von der Anonymität bis zur goldenen Schallplatte, alle Wege sind sie gemeinsam gegangen. Am Anfang noch richtungslos oder mit ganz anderen Zielen. Jim Rakete: „Ich war damals, 1977, noch bei einer Illustrierten und hatte irgendwo von einer gewissen Nina Hagen gehört. Die wollte ich unbedingt mal kennenlernen – und daraus hat sich dann eine Freundschaft mit ihr und der Band (aus der bekanntlich Spliff entstand) ergeben. Dann sollte ich Fotos für den Stern machen und das Cover für ihre erste Platte fotografieren. So kam eins zum anderen, die Sache wurde immer interessanter, und am Ende ergab sich eben etwas ganz Anderes als em paar Bilder.“

Conny Konzack war zum Zeitpunkt, als aus den X-Spectors Ideal wurde (1980), durch sein Kant-Kino in Berlin bekannt, wo auch regelmäßig Konzerte stattfanden und noch stattfinden.

Keine Frage, daß die neue Band hier auch ihren ersten Auftritt absolvierte. „Am Anfang fand ich einfach die Gruppe toll, das war mein ganz persönliches Interesse.“

Ans große Geld kann damals ohnehin keiner gedacht haben, denn die Band erntete bei allen Plattenfirmen nur ein mildes Lächeln. Erst als Konzack seine Beziehungen spielen ließ und Ideal im Vorprogramm des legendären Barclay James Harvest-Free Concerts an der Berliner Mauer 1980 unterbrachte, funkte es, und in den Räumen über dem Kino mußten ein paar neue Schreibtische aufgestellt werden, um Arbeitsraum für sein drittes Bein neben Albatros-Konzerte und Kant-Kino zu schaffen.

Aus Hagen kannte man 1979 allenfalls Grobschnitt und die Rambiers, als sich ein paar illustre Gestalten aus dem Schatten dortiger Wohngemeinschaften schälten. Ein vergessener Koffer, achtlos in eine Ecke der heutigen Extrabreit-Schaltzentrale geworfen, trägt noch die Aufschrift: „Extrabreit – Wehrdichausen“, flankiert von zwei schwarzen Sternen.

Was im offiziellen Sprachgebrauch Hagen-Wehringhausen heißt, ist die 1. Adresse für alle, die beim Kneipennamen „Sumpfblüte“ nicht in erster Linie an einen Versammlungsort für Naturliebhaber denken.

Jörg Hoppe hatte gerade keinen Job und sah in der neuen Gruppe einen Silberstreifen am Horizont; die fünf Musiker sahen in ihm den ehemaligen Sozialpädagogen, dessen große Liebe der Durchführung von Rockkonzerten im Hagener Jugendzentrum galt.

Es klappte, der Silberstreifen mauserte sich zur kapitalen Goldmine. Ob anfangs auch schon Musik gemacht wurde, dazu liegen keine exakten Überlieferungen vor. Sänger Kai Havaii: „Der Stefan (Kleinkrieg) hat sich die Gitarre nach dem Motto umgehängt: Ich will nicht spielen können, das muß nur gut aussehen.“

Den Größenwahn zum Prinzip zu erheben, lag nahe, und ein wesentlicher Anteil daran fiel Jörg Hoppe zu, der zeitweilig eine wahre Matenalschlacht entfachte, was das Versenden von Werbebroschüren, Flugblättern und Infos anbetraf. Gutbesuchte Tourneen oder gar ein Plattenvertrag, das war noch Zukunftsmusik. Aus heißer Luft ein heißes Eisen zu zaubern, das war Jörg Hoppe’s Trick.

Jim Rakete reklamiert eher heißes Blut für sich, wenn es darum geht, sein – freilich nur von ihm behauptetes – fototechnisches und geschäftliches Unvermögen zu besiegen. Und eine Portion Grips gesteht er sich ebenfalls zu.

Die hat der 31jährige allerdings mit früh ergrauten Haaren bezahlt. Daran sollen zwar eine ganze Reihe Frauen Mitschuld tragen, aber seine Arbeit kann er dabei nicht ganz ausschließen:

„Weil ich Rakete heiße (kein Künstlername – so steht’s im Paß), soll bei mir immer alles ganz besonders schnell gehen. Dadurch habe ich zum ersten Mal zwei Tage Urlaub gemacht. Aber ich finde ja keinen anderen, der das hier zu einem akzeptablen Preis machen könnte. Außerdem ist es viel moralischer, sich selbst auszubeuten als jemand anderen zu knechten.“

Trotzdem hat er in der Anfangszeit sieben Sekretärinnen verschlissen, und zwar alle im selben Rhythmus: Vier Wochen und dann Nervenzusammenbruch.

Obwohl sich alle drei als Mitglieder ihrer Bands betrachten, hegen sie keinerlei musikalische Ambitionen. Für Conny Konzack ergibt sich aus dieser Distanz ein Vorteil: „Ich bin kein Musiker und verfüge auch über keine dementsprechenden Fähigkeiten. Also beurteile ich das, was Ideal macht, wie ein ganz normaler Musikkonsument, und aus dieser Warte gebe ich meinen Senf dazu, während neue Musik entsteht. Was sie dann daraus machen, ist ihre Sache.“

Für Jörg Hoppe ist das Nicht-Musiker-Sein sogar eine Triebfeder für seinen Job: „Ich glaube, ich mache das, weil ich mich selbst nicht dahin traue, wo ich meine Jungs hinschicke, auf die Bühne oder vor die Fernsehkameras. „

Allerdings, selbst wenn er sich überwinden könnte, Musik wie bei Extrabreit käme dabei nicht heraus: „Ich habe ein etwas gespaltenes Verhältnis zu ihrer Musik. Ich würde mir weder Extra breit-Musik anhören, noch mir eine Platte kaufen, noch in ein Konzert gehen.“

Die Menschen, die dahinterstehen, findet er weit wichtiger, die Musik folgt erst in zweiter Linie, auch wenn er sie früher mal gut und originell fand. Aber man würde halt älter, meint er, und an das heutige Extrabreit-Publikum müsse man ja eigentlich noch Negerküsse und Dauerlutscher verschenken.

An den Menschen hängt’s auch bei Jim Rakete, besonders an Spliff: „Wenn eine meiner anderen Bands sich morgen eine goldene Nase verdient, dann freue ich mich natürlich darüber, aber es ist nie so ein Gefühl wie bei Spliff. Das ist ein ganz anderes Verhältnis. Jemand wie Herwig Mitteregger, der ist sowas wie ein kleiner Bruder für mich.“

Rock ’n Roller, das sind für Rakete alles Kranke. Ihr Krankheitsbild: Nicht erwachsen werden wollen und ganz genau zu wissen, was man nicht will, vor allem, nie am Fließband zu versauern.

Als Erziehungsberechtigter will er sich nicht verstanden wissen: „Im Gegenteil, ich gehöre ja selbst zu diesen Rebellen. Es gibt Rebellen ohne Grund und Rebellen mit Grund, und ich glaube, zur zweiten Kategorie zu gehören. „

Ein verhinderter Popstar ist er dadurch nicht geworden: „Nein, ich würde zwar gern auf der Gitarre spielen können, was mir so einfällt, aber wenn ich sehe, wie das auf der Bühne ist und wie das Volk da unten steht, dann ist mir das zu negativ. Es wird keine Musik für Leute mehr gemacht, sondern es gibt Projekte, mit denen man Leute totschlägt. Jackson Browne und David Lindley waren für mich die einzigen Ausnahmen der letzten Jahre, wo wirklich jemand mit und nicht gegen Publikum spielt. Die anderen nehmen’nur den großen Prügel und schlagen zu. „

Wie wichtig ihm das Geld ist, gibt als einziger Jörg Hoppe unumwunden zu: „Früher hatte ich nie Geld, hatte keinen Job, aber das machte mir nicht viel aus. Heute will und kann ich nicht mehr drauf verzichten. Meine finanziellen Existenzängste sind heute weitaus größer als früher, wo ich von der Hand im Mund gelebt habe. Ich glaube, es kommt nicht ganz von ungefähr, daß die Reichen ihre Häuser verbarrikadieren und sich Atomschutzbunker in den Garten bauen lassen.“

Immerhin hat er sich irgendwo im Süden, wo es immer schön warm ist, em Haus gekauft, keine Villa, wie irgendwo zu lesen stand, nur ein Haus, und in Hagen wohnt er mit Kai Havaii zur Miete, ganz normal. Aus ihrer früheren Wohngemeinschaft sind sie vor kurzem ausgezogen, weil sie schon ein schlechtes Gewissen hatten, wenn sie sich einen neuen Videorecorder aus der Stadt mitgebracht hatten, wo die anderen mal wieder ohne Job dastanden.

Ob er wieder Sozialpädagoge wird, wenn die Kohlen eines Tages nicht mehr stimmen sollten?

„Nein, da nehmen sie mich dann bestimmt nicht mehr. Ich werd‘ dann eher Sozialhilfeempfänger. Ich bin ja in keiner Richtung abgesichert, habe nie geklebt oder mich sonst wie um eine Altersversorgung gekümmert.“

Immerhin ist er krankenversichert – als Student: „Ich glaube, ich bin jetzt im 18. Semester, Lehramt für Sekundarstufe 2, Deutsch und Geschichte.“ Die Bochumer Uni hat er nur einmal von innen gesehen: „Da habe ich den richtigen Saal nicht gefunden, und als ich dann fast heulend in der Cafeteria saß, habe ich mir überlegt, daß ich doch lieber was Einfacheres machen sollte.“

Allein aufgrund des Ideal-Erfolges bis ans Lebensende Däumchen drehen, hält Conny Konzack nicht für möglich. „Da kommt natürlich ein ganz hübsches Sümmchen zusammen, aber durch fünf geteilt, ist das auch nicht mehr so aufregend.

Außerdem hätte ich auch gar keine Lust, mich jetzt aufs Altenteil zu begeben.“

Eine eher zynische Einstellung zum Geld hat Jim Rakete: „Weißt du, es gibt nur zwei Dinge auf der Welt, die Menschen wirklich verändern. Das ist nicht Liebe oder sowas, sondern Koks und Geld, und das passiert ganz schnell und nachhaltig. Mit beidem habe ich schlechte Erfahrungen gemacht, mit Drogen allerdings nur einmal Da hat die Nina Hagen mich mit Haschisch-Plätzchen gefüttert, und ich bin furchtbar auf den Horror gekommen. Seitdem lasse ich das besser, das ist nichts für mich, Alkohol genauso. Alle anderen Laster, fürchte ich, habe ich.

Vom Geld sollte man besser auch die Finger lassen. Andere arbeiten für Knete, ich arbeite ausschließlich für die Erregung. Dieses Geschäftliche, dieses Knete-aus-Musik-Quetschen, das ist nur notwendig, um zu überleben. Geld ist Benzin, um irgendwohin zu kommen, und ich hoffe nur, daß die Leute, die irgendwann mal an Benzin geraten, wissen, wohin sie wollen. „

Wie leicht man damit an gefährliche Abgründe geraten kann, zeigt die Entwicklung der letzten Monate recht deutlich. Im Herbst. 1982 starteten Hoppe, Konzack und Rakete unter ähnlichen Voraussetzungen in die neue Saison: Ihre drei Gruppen hatten eine sehr erfolgreiche Zeit hinter sich, die neuen LPs lagen zur Veröffentlichung bereit, Tourneen im Winter/Frühjahr 1983 sollten die Stellung auf dem Markt festigen.

Jim Rakete war der eindeutige Gewinner in diesem Spiel, denn sowohl Nena als auch Spliff wurden dem Nachnamen ihres Managers in vollem Umfang gerecht, während Conny Konzack und Jörg Hoppe wenig Anlaß zum Jubeln haben. Zwar konnten sich sowohl Ideal als auch Extrabreit in den Verkaufscharts bewähren, aber die Tournee der Hagener, vom Albatros-Konzertbüro alias Conny Konzack inszeniert, geriet durch astronomische Produktionskosten (man sprach von 25000 DM pro Konzert) und unterdurchschnittliche Besucherzahlen zum finanziellen Desaster.

Statt erwarteter und benötigter 2000 Gäste kamen meist nur wenig mehr als die Hälfte in die Extrabreit-Shows, die zu alledem noch unter dem Motto „Deutschland im Handstreich“ angekündigt waren, was manchen Kritiker zu sarkastischen Bemerkungen veranlaßte. „Diese Überschrift war natürlich als Selbstironie zu verstehen, so eine Art Galgenhumor vielleicht. Den Instinkt, daß die ganze Tour nicht läuft, hatten wir nämlich vorher schon. Ich war im Oktober mit Kai m Berlin, um bei Conny alles abzublasen. Unser Gefühl hat uns nämlich noch nie im Stich gelassen. Aber er meinte, man dürfe sich von der allgemeinen Weltuntergangsstimmung nicht runterziehen lassen.

Damit hat er dann praktisch sein Todesurteil unterschneben, bzw. einen großen finanziellen Verlust vorprogrammiert. Unser Anwalt hat dann auch noch ordentlich Kohlen ms Feuer gekippt, die Hallen wurden immer größer, weil die Gagenforderungen immer höher wurden. Aus der Band hat jemand gesagt: „Für 6000 DM fällt kein Ton. Und dann ging’s los, und es gab kein Zurück mehr. Das ist, als wenn du gerade auf der Sprungschanze gestartet bist. Da gibt es dann keine Bremse mehr, und dann kannst nur froh sein, wenn du halbwegs heil unten ankommst Irgendwann spielen die Interessen von fünf Musikern auch keine Rolle mehr, denn dann haben schon soviele Leute ihr Geld eingesteckt, das Ding darf dann einfach nicht mehr sterben, genau wie bei AEG.

Aber ich glaube, für uns war es gut Das war ein Denkzettel und genügend Anstoß, sich mal Gedanken darüber zu machen, was das hier eigentlich alles soll. Ich weiß nicht, ob wir nicht bei einem erfolgreichen Ausgang total ausgeklinkt wären.“

Letztlich spielte aber wohl auch der alte Rock ’n‘ Roller-Ehrgeiz des „Jetzt erst recht“ eine entscheidende Rolle. Zu viele Unkenrufe hatten schon ein jähes Ende von Extrabreit vorhergesagt, daß man sich gegenseitig mehr und das wäre wahrscheinlich auch eingetreten, wenn die Tour abgebrochen worden wäre. „Von diesem Schock hätten wir uns nicht wieder erholt“, meint Hoppe, „Aber jetzt wird es endlich wieder interessant. Jetzt kann ich beweisen, daß es uns ernst ist mit dem Aufbruch zu neuen Ufern. In den letzten Monaten ging es nur noch darum, Erreichtes zu verwalten und zu konservieren. Die Schule ist jetzt endgültig bis auf die Grundmauern abgebrannt, und sie wird nie wieder aufgebaut. Die Pubertät ist vorbei.“

Aufgrund der Verträge mit Albatros könne er sich eigentlich „lachend bergeweise Geld über den Kopf schütten“, sagt der Extrabreit-Manager, der sich laut Jim Rakete immer gern noch ein größeres Stück vom Kuchen abschneidet als nötig, aber: „Nee, sowas mache ich nicht. Es kommt immer darauf an, wen man vor sich hat, ob eine Plattenfirma, die genug Geld hat, um sich nicht vor ihren Verpflichtungen zu drücken, oder jemand wie Conny, wo ich umgekehrt bei ihm in die gleiche Situation hätte geraten können. Ich finde es normal, sich dann zu arrangieren. Wenn ich auf Einhaltung der Verträge drängen würde, wäre der Conny vielleicht ruiniert, also haben wir uns auf andere Bedingungen geeinigt „

Welche, das erfährt man natürlich nicht, wenn’s um Zahlen geht, sind die sonst so redseligen Gesprächspartner immer recht einsilbig. Wer seine Schätzungen aber bei mehreren 100000,- Verlust ansiedelt, dürfte der Wahrheit recht nahe kommen.

Wenn bei all den schwindelerregenden Geldsummen ein Mann wie Rakete noch sagt, er sei einer der unkommerziellsten Vertreter der Branche, dann mutet das zunächst wie Koketterie an, scheint aber so ganz aus der Luft gegriffen nicht zu sein: „Ich mache immer noch Sachen, die Spaß machen, aber sich nicht lohnen. Manchmal stoße ich leider mit dem Kopf an die Decke, dann bleibt einfach keine Zeit mehr. Ich träume immer davon, unterstützen würde. Ich weiß, die Sympathien unter den Musikern sind da, aber oft merkt der eine es vom anderen gar nicht mehr. Es wäre toll, wenn z. B. Maurenbrecher (ein Berliner Liedermacher, von Herwig Mitteregger produziert) mit Spliff als Backing-Band auftreten könnte.

Ich werde oft gefragt, warum wir hier kein eigenes Label aufmachen, was zeitweilig knallhart im Raum stand. Das wäre aber doch verlogen, sich mit Maurenbrecher an einen Tisch zu setzen und zu sagen: „Komm, Alter, wir erobern zusammen die Welt, und wenn’s Zuhörer für Zuhörer einzeln sein muß‘, um dann schnell zum anderen Tisch zu hechten und als Labelchef sagen zu müssen: , Tut uns leid, du lohnst dich für uns nicht.‘ Die Verantwortung könnte ich nicht tragen.“

Den Hang zu unkommerziellen Seitensprüngen teilt Jim Rakete mit Jörg Hoppe. Bis vor kurzem war dieser am „Tonträger 58“-Label beteiligt, das über einen Independent-Vertrieb „Produkte von Newcomern aus der mittlerweile zu Tode gehypten Hagener Szene veröffentlichte. Em Unternehmen, das sicher keine müde Mark einbrachte, aber jungen Gruppen immerhin die Chance bot, auf breiterer Ebene ihre Musik publik zu machen. Einige dieser Bands, wie Kein Mensch oder Erste weibliche Fleischergesellin nach 1945, haben ja auch zwischenzeitlich den Sprung zur Industrie geschafft; ob mit Erfolg, bleibt abzuwarten. Mit den Caprifischern, deren erstes Album Jörg Hoppe ebenfalls betreute, wagt nun Kai Havan einen zweiten Anlauf, indem er mit der Band einige neue Titel produziert.

Dieser, nennen wir es einmal menschlicher Aspekt, der das Engagement für Menschen, die einem liegen,und Dinge, die einfach nur Spaß machen, über finanzielles Kalkül stellt, ist sicher auch ein gewichtiger Unterschied zu den Alteingesessenen der Musikbranchen.

Der Glaube, von ihnen ganz unabhängig zu sein, sei allerdings nichts als eine schöne Illusion, meint Hoppe. Die Musik-Mafia habe überall ihre Hände im Spiel: „Wenn du die verschlungenen Kanäle bis zum Ende verfolgst, stößt du immer wieder auf dieselben Leute, egal ob bei BAP oder bei Nicole. Ab einem gewissen Level mußt du mit ihnen heulen, sonst bleibst du ewig vor der Tür.“

Auf die Frage, ob es Versuche gegeben hat, ihn auszubooten, ihn als unerwünschte Konkurrenz aus dem Markt zu drängen, zögert er zunächst mit der Antwort und bittet mich dann, den Kassettenrekorder abzuschalten; ein Thema, das offensichtlich wunde Punkte berührt.

Daß man sich von derlei Dingen trotzdem das Leben nicht schwer zu machen braucht, faßt Jim Rakete mit einem kurzen Satz zusammen: „Irgendwelche Post vom Finanzamt zu öffnen, das nehme ich doch nur in Kauf, weil das Andere mir so viel Spaß macht.“