Themeninterview

Die Nerven über Millennials: „Jede Generation versucht sich selbst darzustellen“


Leistungsdruck, Hedonismus, Statussymbole – Begriffe, mit denen die sogenannten Millennials, junge Erwachsene, die zwischen dem alten und dem gegenwärtigen Jahrtausend aufgewachsen sind, assoziiert werden. Auch Die Nerven zählen zu den Jahrgängen der „Generation Y“ – eine Generation, getrieben von Zukunfts- und Bindungsängsten.

Findet ihr nicht, dass Menschen, die sich mit 30 noch mit Praktika durchschlagen, eher einen Bruchteil der Gesellschaft darstellen?

Rieger: Ich kann nur von unserem Bekanntenkreis berichten.

Knoth: Es gibt sicher eine Masse, die alles durchgeplant hat.

Rieger: Und dann gibt es noch sehr viele Traumtänzer. Leute, die Kunst machen und bei denen der Erfolg ausbleibt. Die es aber trotzdem schaffen, bis heute auf einem vertretbarem Level zu existieren. Dass ich vermehrt solche Menschen sehe, nimmt mir ein Stück weit die Angst.

Knoth: Solche Lebensgeschichten, wie Max sie angerissen hat, geben mir Sicherheit. Wir sind alle bescheiden. Wir brauchen keine Penthouse-Wohnung oder so einen Quatsch.

Ist euch eine Absicherung abseits der Musik wichtig?

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Rieger: Ich bin momentan schon in meinem dritten Studiengang, wurde bereits zwei Mal exmatrikuliert. Ich habe mich immer eingeschrieben, um versichert zu sein und mein Kindergeld zu erhalten, damit ich Musik machen kann. Anfangs war das die Möglichkeit, meine Eltern zu beruhigen: „Ich habe ja noch das Studium, sollte es nicht mit der Musik klappen.“ Totaler Bullshit.

Knoth: Meine Eltern haben mich immer unterstützt und mich machen lassen. Dass ich Musiker geworden bin, war für meine Eltern okay, weil Musik in unserer Familie immer eine große Rolle spielte. Meinen Eltern war es aber wichtig, dass ich studiere und das tue ich auch, zumindest nebenbei. Sie möchten natürlich, dass ich das Studium auch abschließe. Das ist ein wirklich schwieriger Konflikt für einen jungen Musiker. Du kannst nicht darauf vertrauen, irgendwann davon leben zu können. Wir können in der derzeitigen Phase auch noch nicht zu 100 Prozent von unserer Musik leben. Eigentlich haben wir keinen Plan B. Ich verspüre eine gewisse Ungerechtigkeit. Warum kann ich nicht einfach das machen, was ich liebe? Ich habe sogar Erfolg damit und kann trotzdem nicht davon leben.

Kuhn: Ich bin der Einzige aus der Band, der kein Abitur hat. Ich habe mit Ach und Krach meine Mittlere Reife geschafft. Ich war miserabel in der Schule. Meine Mutter hat mir klargemacht, dass manche Dinge sein müssen. Wenn mir diese Band etwas gegeben hat, dann ist es Hoffnung. Mit 22 habe ich Sachen nur gemusst und nicht gewollt.

 

Hendrik Otremba von der Band Messer hat vor einiger Zeit gesagt: „Ich glaube, dass viele Musiker nicht mehr so Bock auf Happy Indie haben, so voller Grinsen und Hedonismus.“ Würdet ihr das unterschreiben?

Rieger: Auf jeden Fall!

Knoth: Klar!

Rieger: Dieses Sich-selbst-Feiern ist einfach nicht das Richtige.

„Wir brauchen keine Penthouse-Wohnung oder so einen Quatsch.“ – Julian Knoth

Warum ist Hedonismus als Weltflucht für euch in der Form keine Lösung?

Rieger: Weil sich meine Realität nie so angefühlt hat. Ich würde mich ja selbst anlügen.

Knoth: Das ist eine Realität, die es so nur im Katalog gibt.

Ist Hedonismus etwas Verwerfliches?

Knoth: Nein, überhaupt nicht!

Rieger: Jeder soll leben, wie er es für richtig hält. Aber für mich, hat sich so etwas niemals richtig angefühlt. Ich bin sicher, dass es viele Leute gibt, die auf diese Art leben und denken. Es gibt eine große Zielgruppe dafür, aber ich gehöre ihr eben nicht an.

Ich habe von dir, Julian, ein Zitat gefunden, in dem du sagst, dass es auf der einen Seite diesen Druck gibt, dass man schon drei Jahre vorher wissen muss, was man nach dem Abi macht – und dem gegenüber steht dieser ungehemmte Hedonismus. Du sagst, ihr passt nicht in dieses Lebensgefühl. Muss man sich Die Nerven als Eremiten vorstellen, die Partys meiden und sich nur darauf konzentrieren, etwas von Wert zu erschaffen?

Rieger: Ich würde deine Frage direkt mit Ja unterschreiben.

Kuhn: Ich war früher definitiv ein Eremit. Jetzt bin ich eher ein Kautz.

Rieger: Andererseits: Was soll das denn eigentlich schon wieder bedeuten: „von Wert“?

Es ist doch ein Unterschied, ob man Musik des reinen Zeitvertreibs wegen praktiziert oder um damit Kunst zu schaffen, die bleibt.
rieger: Das ist doch der totale Widerspruch, den du da anführst.

Knoth: Finde ich überhaupt nicht. Ich mache Musik, weil sie aus mir herauskommt. Natürlich will ich Musik erschaffen, die als Kunst wahrgenommen wird. Ich will aber auch mal Musik machen, die nicht sonderlich wertig ist. Die darf dann auch gerne simpel sein und aus Krach bestehen