Die Rückkehr der Gitarre


Sechs Saiten, die die Weit bedeuten? Lange Jahre bedeuteten sie nichts mehr, Charts, Tanzböden und Bühnen wurden von der kühlen Berechnung aus dem Musik- Computer regiert. Doch die Gitarre kommt wie- der, langsam, aber brachial, von Nirvana bis Guns N' Roses. Zeit also für ein „Special" über das Elektro-Brett — mit der Liebeserklärung eines deutschen Alt-Klampfenmeisters, mit ei- ner Übersicht der Star-Werkzeuge, Instrumen- ten-Features und News aus der Saiten-Welt.

Spielt Gott jetzt wieder eine Stratocastcr? Sind die neuen, ungewaschenen Saitenhelden aus Anti-Städten wie Seattle oder Atlanta die Prinzen, die nun alle verstaubten Fender Jaguars, Telecasters und Les Pauls aus ihrem Dornröschenschlaf wachküssen? Mein Dealer jedenfalls hat wiederHofinung:Nachdem er mangels Nachfrage schon überlegt hatte, die Strom-Gitarren aus dem Sortiment seines Musikalienladens ganz rauszunehmen, gingen 1 992 die Klampfen plötzlich wieder weg wie eine Lieferung Bananen in der alten DDR.

Ich (altgedienter deutscher Rocker, Baujahr ’50) hatte schon Schlimmstes befürchtet, als ich in den Achtzigern miterleben mußte, wie eine sich karnikkelmäßig vermehrende Schar von äußerlich eher unscheinbaren Musiker-Gnomen Charts. Diskotheken und Bühnen eroberte. Dicke Hornbrillen auf weißbestaubten Nasen konnten die roten Augen nur mühsam kaschieren, die sich diese forschflinken Programmierer in langen Nächten vor den Flimmerbildschirmen ihrer Atari-Computer müde geguckt hatten. Eher Knöpfchendrücker denn Musiker kommunizierten sie nicht mehr mit Band-Kollegen, sondern lieber via MIDI mit ihren teuren Digital-Kisten. Sie lieferten den passenden Soundtrack für kühle Eighties-Kids. die alles haben wollten, bloß ¿

keinen Schwitzfleck in ihrem Cushmere-Rolli. Pcip für die Well war die Folge: Weil Jedermann in jedem Land nun Zugriff auf die gleichen Synthie-Sounds hatte, die gleichen Drumcomputertakte. die gleiche Sequencer-Software. klang plötzlich jeder Song gleich, nur daß die Japaner japanisch, die Engländer englisch und die Finnen finnisch zu den fast identischen Backing-Tracks sangen. Musik für die McDonald-Generation. schmecken deren Hamburger doch in der Moskauer Filiale exakt wie die in der Nairobi-Niederlassung.

Gut. könnte man einwenden, aber es gab doch die wachsende Musiker-Betriebsgruppe“.IG Metal“. Warum also als Gitarrist in die innere Emigration gehen, wo doch Speed-Metal. Trash-Metal oder Death-Metal — allesamt Gitarren-Musik — blühte? Doch eben diese ,.schneller-dumpfer-tiefer“-Fraktion. all das sogenannte Neue, nein, das war auch nicht mein Ding.

Einzelne Lichtblicke wie etwa die Platten von Stevie Ray Vaughan & Double Trouble oder der unerwartet große Erfolg des späten Blues-Coming-Out von Gary Moore halfen mir zwar ein wenig über die schwersten Stunden hinweg, jedoch schien es mit der Vorherrschaft der Rock-Gitarre als das zentrale Instrument in der sogenannten Rockoder Pop-Musik ein für alle Mal aus sein. Doch: jeden Tag— mit Scheuklappen auf den Ohren — nur noch die alten Scheiben von Led Zeppelin. Black Sahbath und Deep Purple wie eine kultische Trotzhandlung abzunudeln. während der Rest der Welt ums goldene Kalb hippt und hoppt, da käme ich mir auch reichlich dämlich vor.

So dämlich zumindest, wie ein Saitenakrobat, der vor einer Horde gähnender Elektronik-Kids seine Stratocaster als den“.Phallus der Rebellion“ zwischen die Beine nimmt, ohne zu merken, daß sein Publikum denkt, .limi Hendrix sei der kleine Bruder von Troubadix. Höchstwahrscheinlich, so dachte ich resigniert, suchen auch die Kids der Neunziger — äußerst gelangweilt — entweder nach einer neuen Designer-Droge, die zum Gasmasken-Outfit für die ultimative Techno-Party paßt.

Bis ich neulich im Radio den musikalischen Jahresrückblick der US-Rock-Charts gehört habe: drei Stunden mit“.echt gespielter“ Rockmusik fast ganz ohne Synthesizer und ohne irgendwelche Sample-Spielereien. Vor allem gab es da überall laute, aufdringliche und „schmutzige“ Rock-Gitarren, fern ab von den Bastelkasten-Gitarrensamples. mit denen sich inzwischen die meisten Dance- oder Pop-Produktionen zieren — Klampfensounds c.imputergenau aus dem Sampler“.eingeflogen“. Wie wir alle wissen, wird Deutschland als zuverlässige Coca-Cola-Kolonie früher oder später sowieso alles übernehmen, was über den großen Teich zu uns herüberkommt. Hat also die ungebändigt-wild geschrabbte Stromgitarre vielleicht auch hierzulande doch noch eine Zukunft 0 In Amerika schon jetzt. Ehemalige Musikprovinzen wie Seattle und Atlanta, haben sich, zu Wiedergeburts-Stätten des ungehobelten, ungeschliffenen Rock gemausert. Was kann denn aus Seattle schon Großartiges kommen?, hieß es noch bis vor kurzem in den amerikanischen Plattenfirmen, die — natürlich — entweder in L.A. oder New York sitzen. Na gut. Hendnx kam aus Seattle, doch auch der mußte nach Europa, nach London, gehen, um es zu Ruhm und Ehre zu bringen.

Klar — nur fernab vom“.glatten“ Los Angeles, wo alle einfach nur schön und oder blond sind und mit einem Surfbrett vor dem Hirn rumlaufen, konnte eine neue.“.alte“ Qualität der Rockmusik entstehen. In Los Angeles, der“.City Of Anaeis“, wie es in dem Red~Hoi Chili Peppers-Song“.Under The Bridge“ so schön heißt, nannten sich die stereotypen Heavy-Bands dieser Tage mit den immer gut sitzenden Frisuren bislang z.B. „Pretty Boy Floyd“. Musikalisch und business-mäßig etwas weiter abseits, im kalifornischen Provinznest Isla Vista. nannten sich ihre frischen, frechen Gegenstücke dagegen „UglyKidJoe“.

Außerdem – wer schafft es denn heutzutage noch, die Stadien bei den Mammut-Open-Air-Konzerten mit Jung und Alt zu füllen? Das gelang bis vor kurzem doch nur noch Rock-Dinosauriern von Genesis bis Joe Cocker. Nun aber pilgert das Jungvolk in Scharen zu den Konzerten der neuen, nicht ganz so gut frisierten Rock’n’Roll-Heroes ä la Guns n‘ Roses, Metallica oder Nirvana. Auch wenn die Kids (die größtenteils noch gar nicht geboren waren, als dieses Lied das Licht der Welt erblickte) beim Chorus von“.Knockin‘ On Heaven’s Door“ den Bob Dylan-Song für eine waschechte Guns n‘ Roses-Nummer halten. Sollen sie! Slash steht doch auch nicht nur bei“.November Rain“ genauso da wie weiland Jimmy Page, und spielt stundenlange Soli auf seiner Les Paul(!). Slash hat.dubinichmirsicher. jedes verfügbare Led Zep-Video daheim intensiv studiert, von der ultimativen, grimmigen Rockstar-Pose bis hin zu Pages ganz tief hängender Les Paul-Gitarre. Außerdem ist Slash neben Keith Richards der einzige Rockgitarrist, der es schafft, sich die Haare mit Bier zu waschen, ohne daß die brennende Zigarette im Mund dabei naß wird.

Wo wir gerade bei würdigen Nachfolgern sind: Kim Thayil. der eigenwillige Gitarrist von“.Soundgarden“ aus Seattle, könnte — mit seiner Vorliebe für karierte Flanellhemden und Blue Jeans — ohne Probleme in die Fußstapfen von Rory Gallagher treten, wenngleich er garantiert heimlich im Wohnzimmer alle Black Sabbath-Riffs auswendig lernt.

Viele der“.neuen“ Bands, von denen nicht nur ich mir eine Wiederbelebung der Rockmusik verspreche, sind in jeder Beziehung ,.Low Budget“. Die Bühnenkleidung, die Gitarren, die Verstärker, ja. sogar die Produktionsmittel für die

Schallplattenaufnahmen, alles ist“.Low Budget“. Keine mehrjährigen Sludioaufenthalte in den besten Studios der Welt mit den teuersten Rock-Producers. so. wie z.B. bei Def Leppard. Nein — billige Vorortstudios, das ist der Stoff, aus dem der neue Rock-Sound geboren wurde. Ugly Kid Joe preßten gar ein Homestudio-Demo zur EP. Ich wage die kühne These, daß diese „billige“ Produktion gerade deshalb überall auf der Welt ein Hit war. weil sie — im Gegensatz zum Gros der meisten anderen Veröffentlichungen – einfach frisch, frech und überhaupt nicht kalkuliert klingt. Ich kann mir vorstellen, daß „Ugly Kid Joe“ als Live-Band nicht sehr viel anders klingt als auf Platte. Warum auch? Anscheinend will ein wachsender Teil des Publikums wieder echte grelle Farben, schrille Sounds und rebellische Texte. Ich habe das Gefühl, daß Plastik-Emotionen aus dem Madonna-Lager den Kids nicht mehr reichen. Sie wollen mehr, sie wollen Ekstase, sie wollen wieder das ganze Schwein. Sie wollen echten Schweiß, auf der Bühne »/»/auf ihrer Haut. Rockmusik ist, wenn sie echt sein soll. Schwerstarbeit. Niemand charakterisiert das besser als die auf ihre Instrumente einhämmernden Rock-Trommler. Bassisten und Gitarristen. Das war bei „Satisfaction“, „Smoke On The Water“ oder ,.My Generation“ nicht anders als nun bei“.Enter Sandman“. „Alive“ oder „Teen Spirit“. Kein Zweifel, die Gitarre kommt wieder, langsam, aber gewaltig. Denn wieviel Seele kann in 500 Gigabyte Computer-Sample schon sein, wenn man einmal Keith Richards gehört hat. wie er nur zwischen zwei Songs mal eben seine Telecaster stimmt‘.‘